Weissenhofsiedlung Stuttgart

Stuttgart versteckt die wichtigste Wohnsiedlung der Welt

In Stuttgart steht die renommierteste Wohnsiedlung der Welt, das 100-Jahr-Jubiläum wird groß gefeiert. Immer noch trägt nicht mal eine Haltestelle den Namen Weissenhofsiedlung. Warum?

Stuttgart versteckt die wichtigste Wohnsiedlung der Welt

Bis heute vermietet und im Besitz der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG): Wohnhaus, entworfen von Hans Scharoun in der Weissenhofsiedlung in Stuttgart.

Von Nicole Golombek

Wahrzeichen hat Stuttgart einige, manche allerdings sind gut versteckt. Fritz Leonhardts Fernsehturm sehen Besucherinnen und Besucher von weither, doch den Weg zu einer anderen Weltsensation – der Weissenhofsiedlung – müssen Stuttgarterinnen und Stuttgarter, erst recht auswärtige Besucher, mühsam suchen. Und wer von der Existenz der Häuser renommierter Architekten von Hans Scharoun bis Mies van der Rohe noch nie gehört hat, wird bei einer Stadterkundung vermutlich auch nichts davon erfahren.

Mit der Weissenhofsiedlung zu werben und sie auch jenen anzupreisen, die nicht wissen, dass Architekturgrößen 1927 diese von der Weltöffentlichkeit bestaunte Siedlung geplant haben – mit dieser Marketing-Idee ist bisher offenbar noch keine Werbeagentur durchgedrungen bei der Stadt.

Keine Haltestelle in Stuttgart

Ein Klick auf die offizielle Internet-Seite der Stadt stuttgart-tourist jedenfalls zeigt in der Rubrik „Öffentliche Führungen“ Entdeckungstouren zum Mercedes Benz Werk in Sindelfingen, „Prickelnde Sekttouren“ und „schwäbisch humorvolle“ Kehrwochen-Rundgänge. Auch unter der „Hop on Hop of-Bustour“ findet sich keine Station „Weissenhofsiedlung“.

Lediglich Kenner, die in der Suchmaske der Homepage den Begriff eingegeben, werden auf das Weissenhofmuseum im Haus Le Corbusier weitergeleitet sowie auf das Angebot zu einer Gruppenführung.

Kunstakademie und Killesberg sind die Stationen

Wer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln Stuttgart erkundet, entdeckt die Siedlung nicht auf dem Fahrplan. Bis heute existiert keine Haltestelle namens Weissenhofsiedlung. Nur wer bereits weiß, dass die Weissenhofsiedlung in Stuttgart ist, findet die Bus- und Stadtbahnlinien, wenn er die Adresse ins Suchfeld eingibt. Auszusteigen ist dann am „Killesberg“ (Stadtbahn U5) beziehungsweise an der „Kunstakademie“ (Bus 44).

Der Stuttgarter Architekturkenner und Bauhistoriker Dietrich W. Schmidt, der auch mehrere Werke zur Architekturgeschichte verfasst hat, sagt zu diesem Thema: „Dass die Bushaltestelle der Linie 44 ,Kunstakademie‘ heißt und nicht ,Weißenhofsiedlung‘ verkennt natürlich die internationale Bekanntheit der Werkbundsiedlung von 1927, die die Kunstakademie nicht besitzt“, so Schmidt. „Die Wohnhäuser der städtischen Siedlung gehören – unabhängig von ihrer architektonischen Qualität und bauhistorischen Bedeutung – zu einer anderen Wertekategorie als die staatliche Lehranstalt mit ihren Wurzeln im 18. Jahrhundert. Diese hieß 1927 ‚Staatliche Württembergische Kunstgewerbeschule‘ und erhielt ihren klangvolleren Namen ,Staatliche Akademie der bildenden Künste Stuttgart‘ erst 1941 durch den NS-Kultminister Christian Mergenthaler.“

Vorbehalte gegen die Stuttgarter Weissenhofsiedlung

Schmidts Vermutung für die Entscheidung der Haltestellen-Namensgebung zugunsten der Kunstakademie – Stuttgarter haderten mit der Architektur der Flachdachbauten der Weissenhofsiedlung, die den Maximen der Bauhauslehre verpflichtet sind: „Es war dieses (ästhetisch eher nachrangige) Gebäude am Weißenhof 1, erbaut 1912/13 von Eisenlohr & Pfennig, immerhin württembergisch-schwäbischen Ursprungs, ganz im Gegensatz zu den völlig ,unschwäbischen Kartonagen‘ der lange verfemten internationalen Werkbundsiedlung – mit nur zwei schwäbischen Architekten unter 21, Richard Döcker und Adolf Gustav Schneck. Deshalb fällt es heute Nicht-Stuttgartern schwer, die Weißenhofsiedlung mit dem öffentlichen Personennahverkehr zu finden.“

Jubiläum der Weissenhofsiedlung Stuttgart 2027

In zwei Jahren ist das 100-Jahr-Jubiläum der Weissenhofsiedlung, in dem Jahr findet die Internationale Bauausstellung IBA 27 statt. Die Organisatoren wünschen sich natürlich, dass dann viele Menschen den Weg auch zum bis dahin hoffentlich fertig gebauten IBA-Projekt Weissenhof.Forum am Eingang der Weissenhofsiedlung finden – am besten ökologisch mit Bus und Stadtbahn.

Und so sind sie auf die Stadt zugegangen: „Auf Initiative von IBA-Geschäftsführerin Gabriele König haben wir die Ergänzung der U-Haltestelle Killesberg um ‚Weissenhof‘ bei der Stadt und der SSB angeregt“, sagt IBA-Sprecher Tobias Schiller, „und tatsächlich ist diese Ergänzung zumindest schon mal in die Durchsagen in den Stadtbahnen eingeflossen, was uns sehr freut. Auch da ist also im wahren Wortsinn etwas auf dem Weg“.

Ansage Weissenhofsiedlung in Bus und Stadtbahn

Ob inzwischen mehr passiert ist? Eine Nachfrage bei der SSB ergibt – wenig. „Weitere Optionen sind derzeit noch nicht entschieden, werden aber geprüft“, teilt eine SSB-Sprecherin mit. Als Adresseingabe immerhin funktioniert der Begriff in den Apps von SSB und VVS.

Auch im Sinne der Anwohner (die für 2027 schon ein Auto-Park-Chaos fürchten, wie unsere Redaktion berichtete), dürfte es sein, dass die SSB die Prüfung mit einem Adresszusatz Weissenhof oder noch besser Weissenhofsiedlung für die Bus- und Stadtbahn-Haltestelle positiv entscheidet.