Eine Nachbarin fühlt sich bedroht, eine alleinerziehende Mutter klopft an eine Wohnungstür – wenige Sekunden später liegt das Leben einer Frau in Trümmern. „The Perfect Neighbor“ wirft ein Schlaglicht auf einen tödlichen Schuss und stellt die Frage: Wer war hier Opfer – und wer Täterin?
Wer ist Susan Lorincz aus "The Perfect Neighbor"?
Von Katrin Jokic
Mit der Veröffentlichung von „The Perfect Neighbor“ auf Netflix ist die Geschichte von Susan Lorincz weltweit bekannt geworden. Die Doku, die am 17. Oktober 2025 erschien, erreichte rasch einen Spitzenplatz in den globalen Netflix-Charts. Laut Netflix wurde sie allein in der ersten Woche über 16,7 Millionen Mal geschaut – ein klarer Hinweis darauf, wie sehr das Thema Menschen bewegt.
Worum geht es in „The Perfect Neighbor“?
Das Herz der Doku bildet eine Nachbarschaft im Ort Ocala im Süden Floridas, in der Susan Lorincz und ihre Nachbarin Ajike „AJ“ Owens lebten. Lorincz hatte seit Anfang 2021 wiederholt die Polizei gerufen – wegen spielender Kinder, weil sie sich bedrängt fühlte, weil sie das Grundstück vermeintlich für sich beanspruchte.
Am Abend des 2. Juni 2023 eskalierte der Konflikt: Owens, eine alleinerziehende Schwarze Mutter von vier Kindern, klopfte an Lorincz’ Tür. Zuvor soll Lorincz ein Paar Rollschuhe nach Owens‘ Sohn geworfen und ihn damit verletzt haben. Lorincz, die sich bedroht fühlte, feuerte eine Kugel durch die geschlossene Tür und traf Owens tödlich.
Die Doku setzt auf Polizeikamera- und Bodycam-Material, Original-911-Anrufe sowie Nachbarschaftsaufnahmen.
Wer ist Susan Lorincz, was hat sie getan – und wo steht sie heute?
Susan Louise Lorincz war zum Zeitpunkt des Vorfalls 58 Jahre alt und lebte zur Miete in einem Apartmentkomplex in Ocala. Der Öffentlichkeit gegenüber stellte sie sich als engagierte Nachbarin dar – laut Ermittlungsakten jedoch rief sie mehrfach die Polizei, weil Kinder auf einer angrenzenden Wiese spielten, die nicht ihr Eigentum war.
Laut ihrem eigenen Geständnis und dem Polizeibericht benutzte auch sie rassistische Ausdrücke gegenüber den Kindern von Owens.
Der Tat- und Gerichtsverlauf
Am 2. Juni 2023 rief Lorincz gegen 21 Uhr die Polizei wegen angeblichem Hausfriedensbruch („trespassing“), wenig später feuerte sie durch ihre verschlossene Tür – obwohl bereits Hilfe unterwegs war. Owens starb noch in derselben Nacht.
Lorincz wurde fünf Tage später, am 7. Juni 2023, verhaftet. Im August 2024 wurde sie von einer sechs-köpfigen Jury wegen fahrlässiger Tötung mit Schusswaffe schuldig gesprochen. Im November 2024 erhielt sie eine Haftstrafe von 25 Jahren.
(Bild: Netflix)
Strafvollzug und heutiger Stand
Aktuell befindet sich Susan Lorincz im Gefängnis – im Florida Department of Corrections-System im Homestead Correctional Institution in Florida. Ihr voraussichtliches Entlassungsdatum ist laut offiziellen Angaben der 8. April 2048.
Während des Prozesses führte ihre Verteidigung eine Vorgeschichte mit Missbrauch, PTSD und instabiler Kindheit an – das Gericht wertete dies jedoch nicht als mildernden Umstand. Der Richter stellte klar: „Die Tür war verschlossen. [Lorincz] hatte bereits die Polizei verständigt. Sie wusste, dass die Beamten unterwegs zu ihr waren.“
Der Streit um Floridas „Stand-your-Ground“-Gesetze
Der Fall Susan Lorincz hat die Diskussion um Floridas sogenannte Stand-your-Ground-Gesetze erneut entfacht – Regelungen, die es Bürgern erlauben, tödliche Gewalt anzuwenden, wenn sie „vernünftigerweise davon ausgehen“, dass dies zur Verteidigung notwendig ist.
Ursprünglich 2005 eingeführt, sollten sie das Recht auf Selbstverteidigung stärken. Kritiker sehen darin jedoch eine Einladung zu willkürlicher Gewalt, insbesondere in Situationen, in denen rassistische Vorurteile oder subjektive Angst eine Rolle spielen.
(Bild: Netflix)
Auch im Fall Lorincz sahen viele Beobachter genau dieses Problem: Eine weiße Frau fühlte sich von einer Schwarzen Nachbarin bedroht – obwohl diese unbewaffnet war und lediglich an ihre Tür klopfte.
Der zuständige Sheriff stellte später klar, dass das Gesetz in diesem Fall keine Anwendung finde: „Das war keine Selbstverteidigung, das war ein unbegründeter Schuss.“ Der Fall gilt inzwischen als Beispiel dafür, wie schwammig der Begriff „Bedrohung“ im amerikanischen Waffenrecht ausgelegt werden kann – und wie schnell daraus tödliche Konsequenzen entstehen.
Selbstverteidigung, Rassismus und Waffengesetze in den USA
Der Fall Susan Lorincz bleibt ein prägnantes Beispiel für die gesellschaftlichen Spannungen rund um Selbstverteidigung, Rassismus und Waffengesetze in den USA. Die Netflix-Dokumentation „The Perfect Neighbor“ beleuchtet nicht nur den tragischen Verlauf eines jahrelangen Nachbarschaftskonflikts, sondern stellt auch Fragen nach Verantwortung, Angst und rechtlicher Grauzone.
Lorincz verbüßt derzeit eine 25-jährige Haftstrafe, während die Familie von Ajike Owens weiterhin für rechtliche Reformen und ein Bewusstsein für die Folgen von Gewalt plädiert. Die Debatte über den Fall zeigt, wie tief die Auseinandersetzung um Sicherheit und Gerechtigkeit in der amerikanischen Gesellschaft verankert ist.