Traumhafte Tongespinste treffen auf irdische Klänge

Beim Abschlusskonzert des Internationalen Orgelzyklus brilliert Stefan Engels insbesondere mit seinen Karg-Ehlert-Interpretationen.

Traumhafte Tongespinste treffen auf irdische Klänge

Stefan Engels ist ein Virtuose auf der Orgel und ein Spezialist, was den Komponisten Sigfrid Karg-Ehlert anbelangt. Er hat sein gesamtes Werk auf CD eingespielt. Foto: J. Fiedler

Von Miklos Vajna

MURRHARDT. Der im vergangenen Jahr nach der Einweihung der neuen Mühleisen-Orgel ins Leben gerufene Internationale Orgelzyklus trifft auf breite Resonanz im Murrhardter Musikleben. Waren es 2019 acht Konzerte, die immer gut besucht waren, so konnten dieses Jahr trotz der Coronapandemie immerhin noch sechs Konzerte stattfinden. Die Besucher haben sich seitdem problemlos an die veränderten Bedingungen angepasst: Man kommt rechtzeitig, um einen der limitierten Plätze zu erhalten, füllt fast schon automatisch den notwendigen Zettel mit den persönlichen Daten aus und nimmt dann, nach Eintritt und Platzsuche in der Kirche – ordnungsgemäß mit Mund-Nasen-Schutz ausgestattet – die im entsprechenden Abstand markierten Plätze ein. Der Veranstalter, die evangelische Kirchenmusik Murrhardt, kann ohne Weiteres, natürlich unter Beachtung der Hygienevorschriften, 100 Zuhörer unterbringen, und wenn dies wieder möglich ist, gibt es entlang der Seitenwände noch etwa 20 Plätze in Reserve.

Kantor Gottfried Mayer gestaltete die Einführung in den Abend – den „Ohrenöffner“ – zum sechsten und abschließenden Konzert des Internationalen Orgelzyklus in der Murrhardter Stadtkirche als Interview mit dem Organisten Stefan Engels, geboren in Nettetal-Kaldenkirchen bei Venlo, nahe der holländischen Grenze. Engels konnte trotz problematischer Umstände glücklicherweise dann doch für zwei Konzerte aus dem texanischen Dallas nach Deutschland einfliegen. Er berichtete über das reiche Kirchenmusikleben und das allmähliche Heranwachsen einer kirchenmusikalischen Tradition in seiner Wahlheimatstadt in Amerika und streute auch interessante Informationen zu den Werken und deren Komponisten des späteren Programms ein. Beachtenswert ist seine Einspielung der gesamten Orgelwerke von Sigfrid Karg-Ehlert auf 15 CDs.

Nach dem feierlichen sonntäglichen Glockengeläut begann das Orgelkonzert mit Toccata und Fuge e-Moll Opus 63 aus den Monologen von Max Reger. Deutlich hörbar wurde in der Toccata, dass sein Erschaffer auch ungestümer Improvisator war: eine Fülle an dicht aufeinanderfolgenden Einfällen, assoziiert und geleitet durch den Orgelklang, bereichert durch ineinander klingende Akkordfolgen.

Robert Schumann schrieb die vier Skizzen für Pedalflügel Opus 58 wohl aus Verehrung für Johann Sebastian Bach und auch, um sein Orgelspiel, besonders das Spiel mit den Füßen am Pedal, zu verbessern. Der Pedalflügel besitzt neben der normalen Tastatur, die mit den Händen gespielt wird, zusätzlich noch eine Klaviatur für die Füße, die entweder die vorhandenen Saiten nutzt oder eine entsprechende Anzahl an zusätzlich eingezogenen Saiten bedient. Auch Wolfgang Amadeus Mozart hat wie einige andere Musiker das Instrument geschätzt und es öfter in Konzerten gespielt. Die Aufführung der vier Skizzen mit der Orgel war nicht unproblematisch: Da Schumann als gelernter Pianist bei der Komposition vom perkussiven Charakter des Klaviertons ausging, ist gerade in den kräftigen, virtuosen und leidenschaftlichen Passagen die Realisation auf der Orgel unklar und verwaschen, und besonders die ganz leisen Bassmotive bleiben unverständlich. Das Besondere am Schumann’schen Klang und an seiner Musik konnte sich nicht entfalten und dem Zuhörer mitteilen. Manche Mittelteile hingegen, mit weichen und elegischen Anklängen, erhielten durch die Orgel eine zusätzliche, gänzlich andere Klangfarbe, die klanglich, durch geschickten Einsatz der Orgelregistrierung, einem großen Symphonieorchester gleichkam.

In dem Einleitungsstück der Toccata und Fuge F-Dur BWV 540 von Bach wechseln sich klare Linien in den Manualen, über einen liegenden Basston geführt, mit einer nur in den Pedalen gespielten Passage mehrmals ab, bis sich beide Elemente zu einem triumphalen Höhepunkt vereinen. Das Stück passt eigentlich gut zu der Orgel, da aber in der Fuge mit dem chromatisch absteigenden, in der Umkehrung dann aufsteigenden Thema die Steigerungen sehr ausladend sind, überlagerten sich die vom Komponisten geforderten Klangmassen zu einem minimalistisch stehenden lauten Höreindruck.

Der in der Einführung von Gottfried Mayer erwähnte Schweller (ein Mechanismus der Orgel, der durch Holzjalousien die Lautstärke beeinflussen kann) kam in der Sonatine a-Moll Opus 74 von Sigfrid Karg-Ehlert deutlich hörbar zum Einsatz. Tongespinste wie aus weiter Ferne, wie im Traum, wechselten sich mit direkten realen Klängen auf mehreren Klangebenen ab, die Musik wurde fließend lauter und leiser und endete schließlich in einem bombastischen Schluss.

Stefan Engels spielte mit meisterlicher Souveränität und vielfältigen einfallsreichen Registrierungen, behielt immer den Überblick und führte wie ein erfahrener Kapitän sein Schiff durch widrige Wetter und Untiefen sicher ans Ziel. Den herzlichen und ausgedehnten Applaus des beeindruckten Publikums gab der Organist dankend an die Orgel weiter.