Maria Würth, Enkelin des Unternehmers Reinhold Würth, leitet seit 1. Juli das Gesamtfeld „Kultur bei Würth“. Mit welchen Zielen? Und was macht C. Sylvia Weber künftig?
Maria Würth und C. Sylvia Weber in der Ausstellung „Emil Nolde – Welt und Heimat. Sammlung Würth und Leihgaben der Nolde Stiftung Seebüll“ im Museum Würth 2 in Künzelsau. Werke: „Harmonie A“, 1946, „Harmonie der Gegensätze B“, 1946, „Harmonie C“, 1946. © Nolde Stiftung Seebüll 2025.
Von Nikolai B. Forstbauer
Maria Würth, Enkelin des Unternehmers Reinhold Würth, leitet seit 1. Juli das Gesamtfeld „Kultur bei Würth“. Mit welchen Zielen? Und was macht C. Sylvia Weber künftig? Wir haben nachgefragt.
Frau Würth, seit 1. Januar lenken Sie die Kunstaktivitäten der Würth-Gruppe, darunter die 15 Museen und Kunstkabinette. Hat die neue Aufgabe Ihren Blick auf die Würth-Kunstbühnen verändert?
Maria Würth: Ich bin quasi mit dem Unternehmen aufgewachsen und habe so bereits vor Beginn meiner beruflichen Tätigkeit viele der Dependancen kennengelernt. Jedes Haus hat seine ganz eigene Atmosphäre und Geschichte. Besonders beeindruckt mich, wie sehr sich die Teams vor Ort engagieren und die Besucherinnen und Besucher mit der Kunst begeistern. Mit der Vielfalt der Sammlung, von den Alten Meistern bis zur Gegenwartskunst, entstehen regelmäßig neue spannende Verbindungen. Diese Energie und Offenheit nehme ich aus jedem Haus mit – und das motiviert mich, die Sammlung weiterzuentwickeln.
Seit 1. Juli haben Sie die Gesamtverantwortung für die Kunst- und Kulturaktivitäten der Würth-Gruppe. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Maria Würth: Es ist ein geregelter Übergang. Ich arbeitete seit 2018 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sammlung, 2021 übernahm ich die stellvertretende Leitung der Kunst- und Kulturaktivitäten in der Würth-Gruppe – im engen Austausch mit meinem Großvater und Sylvia Weber. Durch das tägliche Geschäft habe ich über die Jahre das Team und die vielfältigen Aufgabenbereiche sehr gut kennengelernt und verinnerlicht. Zudem bin ich seit Jahren als Mitglied des Kunstbeirats und im Vorstand der gemeinnützigen Stiftung Würth unmittelbar in die aktuellen Entwicklungen eingebunden. Auch Gremienarbeit andernorts, wie im Stiftungsrat der Stiftung Semperoper oder im Vorstand der Gesellschaft zur Förderung des Landesmuseums Württemberg, ist hilfreich. Insofern würde ich sagen: Ich bin gut vorbereitet.
Frau Weber, umgekehrt kann man sich Kultur bei Würth ohne Sie, ohne die Frau mit mindestens zwei Telefonen im Dauereinsatz, kaum vorstellen. Wie leicht oder schwer fällt das Loslassen?
C. Sylvia Weber: Es freut mich sehr, dass mit Maria Würth ein Mitglied der Familie die Verantwortung für die Kunst -und Kulturaktivitäten bei Würth übernehmen wird. Das ist für mich die schlüssige Antwort auf die oft gestellte Frage, wie es denn mit der Sammlung Würth nach mir einmal weitergeht. Ich werde auch zukünftig als Mitglied des Kunstbeirats in der Würth-Gruppe unterstützen. So ist auch im Kunstbereich die Kontinuität gesichert, was Herrn Professor Würth schon immer ein hohes Anliegen war und ist. Sie sehen also, dieser Weg war lange beschrieben und für mich nicht plötzlich neu – Maria und ich arbeiten ja schon einige Zeit eng und vertraut zusammen.
Das klingt nach einem lautlosen Übergang ...
... ja, und natürlich haben sich in 40 Jahren sehr viele schöne und professionelle Kontakte aufgebaut, die ich sehr gerne an Maria weitergebe. Inwieweit man diese Kontakte aufrecht hält und pflegt, liegt auch immer an einem selbst. Eine ganz klassische Rentnerin werde ich – wie vermutlich kaum jemand aus dem Kulturbetrieb – ohnehin nicht werden. Ein bisschen mehr Zeit für Themen und gute Bekannte, die bisher vielleicht etwas zu kurz kamen, darauf freue ich mich. Alleine wieder Ausstellungen der Kolleginnen und Kollegen länger als eine Stunde genießen zu können, wird ein neuer Luxus.
Frau Weber, zugleich bleiben Sie klangvoll an Bord – mit Verantwortung für die Klassik bei Würth. Heißt das zugleich, dass Kultur bei Würth die Felder Musikerlebnis und Musikförderung ausbaut?
C. Sylvia Weber: „Tatsächlich gibt es bei Würth seit vielen Jahren einen klassischen Teil im Kulturprogramm. Seit 2017 haben wir mit der Gründung der Würth Philharmoniker, was auf die Initiative von Prof. Würth zurückgeht, und der Eröffnung des Carmen Würth Forum ein richtiges Saisonprogramm, das übrigens von über 400 Abonnenten mit beinahe so langer Warteliste gebucht wird. Dass ich das als Intendantin – natürlich in Abstimmung mit den hausinternen Gremien – maßgeblich erfinden durfte, zählt in der Rückschau sicherlich zu den ganz besonderen Erfahrungen.
Wie oft sind die Würth Philharmoniker denn zu erleben?
Wir spielen pro Jahr insgesamt rund 40 Konzerte in Künzelsau selbst oder auch an Orten wie Baden-Baden, Stuttgart, Salzburg, Bukarest und in diesem Jahr Berlin. Wir hatten viele renommierte internationale Gäste auf der Bühne: Gastorchester wie die Berliner Philharmoniker, das Luzerner Sinfonieorchester, die Dresdner Staatskapelle und, und, und. Zusätzlich werden die Ensembles der Würth Philharmoniker oft gebucht – auch von anderen Unternehmen und kulturellen Einrichtungen. Ich würde nicht von einem Ausbau des Angebots sprechen, sondern von einer Verstetigung.
Sie setzen auf langfristige Sicherung?
Auch dieser Bereich muss finanziert werden – was zu einem großen Teil aus dem Unternehmen heraus geschieht. Wo wir noch sichtbarer werden könnten ist im Bereich der Musikvermittlung. Es gibt bisher schon regelmäßig Familien- und Schülerkonzerte. Erste Erfahrungen sammelten wir durch Projekte mit Schulen und Kitas – gerade in der frühkindlichen musikalischen Entwicklung steckt viel Potenzial. Auch hier im ländlichen Raum kann dauerhaft noch mehr bewegt werden.
Auch durch Kooperationen?
Schön ist auf jeden Fall die immer engere Verzahnung mit dem Hohenloher Kultursommer, der Jeunesses Musicales Deutschland und der TauberPhilharmonie in Weikersheim. Das ist ein wunderbares Miteinander für ein großartiges Kulturangebot in Hohenlohe ohne Konkurrenzgebaren, insbesondere wenn man auch noch die Freilichtbühnen Schwäbisch Hall und Jagsthausen mit einbezieht.
Frau Würth, Frau Weber, eigentlich sprechen wir ja von einer doppelten Zäsur. Sie haben, Frau Weber, die Kulturaktivitäten stets unmittelbar mit Reinhold Würth abgestimmt. Zudem spiegelten die Kulturaktivitäten den stetigen Wachstumskurs der Würth-Gruppe. Wie muss man sich künftig die Rollenverteilung zwischen der Würth-Stiftung und der Verantwortung für die Kulturaktivitäten vorstellen?
Maria Würth: Auf eines kann sich das Publikum verlassen: Kontinuität. Die Sammlung, die Museen, das vielfältige Veranstaltungsprogramm mit Kunst, Musik, Literatur bleiben Aktivitäten der Würth-Gruppe. Bewährtes werden wir fortsetzen und mit Sorgfalt weiterentwickeln – das ist Teil unserer Identität. Die Stiftung Würth konzentriert sich im Feld Kunst und Kultur weiter auf die Förderung herausragender Talente: Sie vergibt vier Preise, darunter der renommierte Robert Jacobsen Preis.
Und ist da auch Raum für etwaige neue Ideen? Aktuell bilden Kunst, Literatur und Musik die Stützen der Kulturaktivitäten. Die Würth Open Air-Veranstaltungen brachten bereits einen neuen Ton. Sind weitere „Öffnungen“ angedacht?
Maria Würth: Kunst, Literatur, Musik bleiben der Kern. Zum guten Ton der Vielstimmigkeit gehört ja bereits jetzt, immer wieder Reizvollem aus anderen Sparten eine Bühne zu geben, sei es Ballett oder Film.
Frau Weber, Sie haben sehr viel bewegt und sehr viel erlebt. Gibt es den einen unvergesslichen Moment?
C. Sylvia Weber: Da gibt und gäbe es viele. Alleine die persönlichen Begegnungen mit den unterschiedlichen Künstlerinnen und Künstlern, auf die sich einzulassen viel vom besonderen Klima der Kunst bei Würth ausmacht. Die Betreuung unserer besonderen Gäste, überhaupt die Begegnungen selbst waren inspirierend. Mentoren wie Stephan Waetzoldt und Otto Breicha oder auch Robert Jacobsen, der Bildhauer, waren zu Beginn sehr bereichernd, rückten Anschauungen zurecht. Christoph Graf Douglas trug dazu bei, auch mal anders zu denken.
Inwiefern?
Gerade die Aufnahme der Fürstenbergischen Sammlung und der Holbein-Madonna hat die Kollektion enorm geprägt – zuvor hatten wir uns mit der Renaissance, dem Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, wenig beschäftigt. Generell, die Sammlung wachsen zu sehen von 500 auf 21 000 Exponate empfinde ich als großes Geschenk. Dafür danke ich Reinhold Würth sehr, dessen kontinuierliches Anliegen, etwas gut und immer besser zu machen, seine tolerante großzügige Weltoffenheit gegenüber Menschen und so Vielem war und bleibt mir ein Vorbild.
Frau Würth, Sie haben „Kultur bei Würth“ als glänzendes Gesamtportfolio kennenlernen dürfen. Haben Sie einen Lieblingsort für ihre Entdeckungen in den Sammlungen, in den Museen, in den Ausstellungen, in den Konzerten und Lesungen?
Maria Würth: Für mich sind es weniger bestimmte Orte, die die eigentlichen Entdeckungen ermöglichen, sondern vielmehr die Begegnungen und Gespräche mit Menschen, die mich inspirieren. Der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen im Büro, die vielfältigen Stimmen der Besuchenden im Museum, bei Konzerten oder in der Bibliothek – ihre Erfahrungen, ihr Wissen und ihre Begeisterung eröffnen immer wieder neue Perspektiven.
Und welchem Bereich würden Sie gerne mehr Scheinwerferlicht wünschen?
Maria Würth: Mein Großvater gibt durch sein Credo des freien Eintritts jedem die Möglichkeit, sich an der Kunst zu erfreuen, und in unseren Museen Orte zu schaffen, an dem alle Menschen die gleichen Rechte haben. Unsere Idee von Kunst ist, zu verbinden und nicht zu trennen. In diesem Sinne möchte ich die Türen noch weiter öffnen.
Auf welche Weise?
Es ist beispielsweise richtig, das gesamte Spektrum der Kunstvermittlung anzubieten, unter anderem mit digitalen Möglichkeiten. Wir haben dies etwa mit großem Zuspruch im Museum Würth 2 in der Hockney-Ausstellung 2023 mit eigener iPad-Malerei oder bis zum Frühjahr diesen Jahres mit dem interaktiven Zugang zu Anselm Kiefers Studienreisen angeboten. Wir wollen allen, die Freude am Sehen und Entdecken haben, egal ob Kenner oder Neugierige, zwanglose, bereichernde Begegnungen mit der Kunst und mit anderen Menschen ermöglichen. Mit so vielen eindrucksvollen Kunstwerken in der Sammlung sind wir in der glücklichen Position, hier aus dem Vollen schöpfen zu können.
Frau Würth, Frau Weber, Reinhold Würth hat immer klar kommuniziert, dass die Kulturaktivitäten kein Selbstzweck sind. Es ging von Beginn an um Mitarbeiterbindung, um das Ausbilden einer besonderen Würth Identität am Standort, die Kunstwerke stehen allesamt in den Büchern, die Literaturförderung vernetzt Würth mit den Universitäten und vieles mehr. Wo sehen Sie einen künftigen Mehrwert der Kulturaktivitäten für die Würth-Gruppe?
Maria Würth: Diese Punkte sind nach wie vor zentral. Was in diesen unruhigen Zeiten um uns herum zusätzlich noch wichtiger sein wird, ist die aufbauende Kraft von Kunst und Kultur. Mein Großvater sagte erst bei der jüngsten Vernissage, er wünsche sich, dass alle Besuchenden mit einem Smiley auf dem Gesicht aus der Ausstellung gehen. Und eben die verbindende Kraft: Kunst hat schon immer dazu beigetragen, gesellschaftliche und politische Strömungen einzuordnen, zur Reflektion angeregt. In den herausfordernden Zeiten, in denen wir uns im Moment bewegen, wird Kunst diesen Auftrag für sich neu entdecken – in die Öffentlichkeit, aber eben auch ins Unternehmen und die Mitarbeiterschaft hinein.
C. Sylvia Weber: Der immaterielle Mehrwert von Kunst und Kultur wird vermutlich in den kommenden Jahren verstärkt werden, und er muss als fester Bestandteil in der Gesellschaft, in einer Demokratie und genauso in einem Unternehmen gelebt werden.
Frau Weber, Verlässlichkeit und Freude verbinden sich als Grundtugenden mit der, nennen wir es mal ruhig so, Ära Weber. Welche Rolle spielten und spielen diese Tugenden tatsächlich für Sie?
C. Sylvia Weber: Tatsächlich wurde ich mit diesen Eigenschaften schon familiär in meiner Kindheit und Jugend geprägt, hatte hierfür also vermutlich ganz taugliche Voraussetzungen. Ergänzt durch Disziplin, die bekanntlich auch Reinhold Würth besonders wertschätzt, empfand ich meine Arbeit nie oder nur gaaanz selten als Last. Kurt Schwitters hat das sehr schön in Worte gefasst: „Die Gazelle zittert, weil der Löwe brüllt. Die Hyäne wittert. Doch die Kunst erfüllt.“
Das klingt im besten Sinn erfüllt ...
.. ich schaue mit sehr viel Zufriedenheit und Dankbarkeit zurück. Ja, mein Tun hat mich erfüllt. Gemeinsam im Team tolle Projekte zu realisieren, auch mal was denken, was man sich zunächst gar nicht vorstellen kann, hat immer großen Spaß gemacht. Wer hätte 2001 gedacht, dass David Hockney in Schwäbisch Hall ausstellt? Und 2023 gleich nochmals im Museum Würth 2? Oder 1991 bei der Eröffnung des Museum Würth, dass hier vier Jahre später Christo und Jeanne-Claude eine große Inneninstallation realisieren würden mit 85 000 Gästen? Oder dass 2012 mit der Holbein-Madonna eines der größten Meisterwerke der deutschen Renaissance in der Johanniterkirche in Schwäbisch Hall seine Heimstatt finden wird?
Und welche Rolle hatte Reinhold Würth hierbei?
Die Einlassung auf die Kunst war dank Reinhold Würth immer ernst gemeint und nicht etwa nur ein Marketing-Instrument. Diese Ernsthaftigkeit, dieses Wachsen waren mir Ansporn.
Frau Würth, hat sie recht?
Maria Würth: Ohne jeden Zweifel. Sylvia Weber hat über vier Jahrzehnte die Würth-Gruppe weit über Kunst und Kultur hinaus geprägt. Davon zeugen nicht nur über 11 Millionen begeisterte Besucherinnen und Besucher in unseren Häusern, auch das gesamte Team und ich sind ihr sehr dankbar für ihre Handschrift, die sie an so vielen Stellen hinterlassen hat.
Frau Würth, am Anfang hat man ja mitunter Wünsche oder gar Träume. Wenn es welche gibt, verraten Sie uns drei Wünsche?
Maria Würth: Wünsche würde ich es nicht nennen, eher Ziele: dass unsere kulturellen Aktivitäten immer wieder neu inspirieren – sowohl unsere Mitarbeitenden als auch die vielen Besucherinnen und Besucher. Es ist ein Privileg, daran mitarbeiten zu dürfen, das kulturelle Erbe meines Großvaters für weitere Generationen zu bewahren. Dafür arbeite ich.
Frau Weber, und was wünschen Sie sich für „Kultur bei Würth“?
C. Sylvia Weber: Da würde ich doch gerne Iris Apfel, die jüngst 102-jährig verstorbene Mode-Ikone und Innenarchitektin, zitieren. Sie sagte einmal: More is more and less is a bore. Mehr ist mehr und weniger ist langweilig. Ich kann mir gut vorstellen, dass das auch für die Würth’sche Kunst und Kultur so eintrifft.