Volksfestumzug als Schatz kultureller Vielfalt

Brauchtum in schöner und amüsanter Form: 105 Gruppen und 4000 Mitwirkende sind beim traditionellen Korso durch Cannstatt dabei.

Von Heidemarie A. Hechtel

Auf dem Wasen grasen d’Hasen, heißt der alte Spruch. Nach der Landesstandarte, die den pünktlich um 11 Uhr am Sonntag gestarteten Cannstatter Volksfestumzug anführte, kam gleich der Wasenhasi, die Symbolfigur im Plüschfell. Nicht am Wasen, aber am Daimlerplatz, grasen derweil noch die 25 Schweine, die die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch-Hall mitgebracht hat.

Das farbenprächtige Spektakel ist eine Reise zurück in die Vergangenheit. Man schwelgt in Nostalgie beim Anblick der stolzen Stadtgarde zu Pferde und den roten Röcken, blauen Jackets und schwarzen Hüten der Damen.

Das Bürgerliche Schützencorps und der Musikverein von Bad Cannstatt haben im Gefolge der Ehrenkutsche mit OB Frank Nopper und Gattin ihren Auftritt und machen den Weg frei für die Festwagen von 1841, die zum 200-jährigen Volksfestjubiläum 2018 rekonstruiert wurden und als Glanzlichter gelten: Der Wagen mit der Fruchtsäule, der Hopfenwagen aus Rottenburg, der Heuwagen aus Göppingen, der Kräuterwagen aus Brackenheim oder Streuobstwiesenwagen aus Metzingen-Gems. Das alljährliche Aufsehen um den Preis der Maß beweist: Das Cannstatter Volksfest ist ein Fest des Bieres. Zwar präsentiert der Cannstatter Gartenbauverein den Festwagen mit der Kirbetrauben und auf dem Festwagen des Collegium Wirtemberg prangt die Grabkapelle vom Rotenberg. Aber es ist die Stunde der Brauereien – etwa mit einem prachtvollen Gespann, gezogen von sechs Apfelschimmeln.

Von den eleganten Uniformen über die Kleidung bürgerlicher und bäuerlicher Menschen lässt der Umzug alle Spielarten und Trends in den letzten zwei Jahrhunderten erleben. Das kann ein schlichtes Arbeitsgewand sein, wie es die Kartoffelbauern vom Veteranenclub Bretzenacker tragen.

Das kann aber auch schmuckverliebt sein, wie bei den Frauen von den Trachtengruppen Altburg, Schömberg und Würzbach zu bewundern ist, die den Nordschwarzwälder Hochzeitszug mit Aussteuerwagen samt großem Bett begleiten. Mit Reifrock setzen sich die Damen der einstigen adligen Gesellschaft in Szene, das Bürgertum im späteren 19. Jahrhundert gefiel sich nicht weniger prächtig.

Vom Oberrhein kommen die Markgräfler Trachtengruppe und aus Basel ein Hauch von Fasnacht und „Morgestraich“ mit der Pfeifergruppe „Naarebeinli Basel“ und der Basler Kellerwäntele Zunft. Die Züricher schickten ihre Grenadiermusik, die Elsässer ihre Trachtengruppe Sundgauvia. Nicht von weither anreisen mussten weder die Spanier, noch die Portugiesen, Kroaten, Slowenen und Letten: Sie gehören zu Stuttgart und Bad Cannstatt dazu.

150 Pferden, Ochsen, Kühen und zwei Eseln haben 25 Schweine eindeutig den Rang abgelaufen. „Sie waren bis heute morgen noch bei mir auf der Weide“, sag Rudolf Bühler, Gründer und Vorsitzender der Schwäbisch-Hällischen Erzeugergemeinschaft. Entspannt dürfen sie am Daimlerplatz das Grün aufwühlen, bis sie sich in den Zug eingliedern.

Dass hinter ihnen auf einem Metzgerswagen Kesselfleisch gesiedet wird, wissen sie zum Glück nicht.