Von Gegensätzen und gelebter Geschichte

Wasserfratz, Feuerbarthl und Tannenzapfenhurgler haben ihre ganz eigene Historie. Die Gruppenfiguren der Murreder Henderwäldler sind über ihre geschichtlichen Bezüge fest in Murrhardt verankert, aber auch dadurch, dass die Hästräger ihnen Leben einhauchen.

Von Gegensätzen und gelebter Geschichte

Der Feuerbarthl steht für den Stadtbrand, aber auch Wärme und Energie...

Von Christine Schick

MURRHARDT. Die Werkstatt des Carl-Schweizer-Museums und der Gasthof Engel sind zwei zentrale Entstehungsorte der Murreder Henderwäldler und ihrer Figuren. Christian Schweizer erzählt, wie sie damals als Schüler- und Freundesgruppe anfingen, sich für das Thema zu begeistern und schließlich wild entschlossen waren, eine Narrenzunft zu gründen. Auch die Söhne Oliver und Rüdiger des damaligen Engelwirts Wolfgang Bunk waren mit von der Partie. „Weil wir damals noch nicht volljährig waren, hatten wir ein Problem, und Wolfgang Bunk hat uns dann unterstützt und das ermöglicht“, erinnert sich Schweizer an die Gründung 1983. Die Werkstatt entwickelte sich als Ideenschmiede und Experimentierfeld. Die junge Truppe, unter ihnen neben Christian Schweizer und seinem Bruder Ulrich auch Uwe Jentzmik, Gerald Wurster, Thomas Ebinger, Siegfried Nentwich, Roland Raeder, Ingo und Uwe Ecke sowie Roger Kowalski, begann mit ersten Figuren zu experimentieren. Manche setzten sich durch, andere wurden wieder zur Seite gelegt.

Wasserfratz und Feuerbarthl sind seit Langem die zentralen Gruppenfiguren der Henderwäldler. Auch der Tannenzapfenhurgler tauchte früh auf, zuerst als Einzelfigur, und hat schließlich seinen Weg als dritte Gruppenfigur gemacht, aber dazu später. „Wir wollten einerseits einen Teufel, andererseits eine Figur mit einem guten Bezug entwickeln“, erzählt Schweizer. So entstand nach und nach der Feuerbarthl als Feuerwesen. Er verweist historisch auf den großen Stadtbrand 1765, nach dem Murrhardt praktisch komplett neu wieder aufgebaut werden musste. Gleichsam steht er auch symbolisch für Wärme und Energie, erinnert an die damaligen Möglichkeiten wie Pottasche-Herstellung, Köhlereien und Glashütten, wo das Feuer neben dem Wasser die einzige Energiequelle der armen Bevölkerung war. „Wo Feuer ist, ist auch Wasser, die Fasnet lebt von diesen Gegensätzen“, sagt Schweizer.

Der Wasserfratz steht für
eine alte Sagengestalt
des Schwäbischen Waldes.

Sprich hier kommt der Wasserfratz ins Spiel. Die Figur geht auf eine Sagengestalt zurück. Die Germanen, die nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches die Region besiedelten, fanden nicht nur die Ruinen und verfallenden Bauwerke ihrer Vorgänger unheimlich, sondern auch die sumpfigen, nebligen Wiesen, in denen sie Geister – Fratzen – ausmachten. Auf diese verweisen heute noch Flurnamen wie Fratzenbrünnele oder Fratzenwiesen. Somit steht der Wasserfratz für eine Gestalt, die typisch für den Schwäbischen Wald ist. Vielleicht ist es der Gesamteindruck des gutmütigen Quellgeistes mit Maske und Häs aus fischschuppenförmigen Filzblätzles in Grün- und Blautönen, der ihn zur beliebteren Figur unter den Mitgliedern macht. Zwischenzeitlich hatten die Henderwäldler sogar einen Aufnahmestopp für sie verhängt, um das Ungleichgewicht zwischen Wasserfratz und Feuerbarthl nicht zu groß werden zu lassen.

„Mir hat die Figur mit ihren grünen und blauen Farben einfach sehr gut gefallen“, sagt ein 27-jähriger Wasserfratz. Die junge Frau ist schon als Jugendliche, mit 14 Jahren, über Cousine und Cousin zum Verein gestoßen. „Am Anfang war es ungewohnt für mich, verkleidet zu sein, sodass die Leute einen nicht als Person erkannt haben“, erzählt sie. Aber dann entdeckte sie, wie viel Freude es macht, als guter Geist Schabernack mit Gästen eines Umzugs und auf weiteren Veranstaltungen zu treiben und so auch gute Laune zu schenken. Zur Freiheit des Narren gehört seit jeher, den Menschen den Spiegel vorzuhalten und sie unter Umständen auch zu rügen. Um sie sich zu erhalten, treten die Hästräger ganz bewusst nicht als Person in Erscheinung. Aus diesem Grund sind hier auch die Namen der Hästräger nicht genannt. Diese Tradition wird als Narrengeheimnis bezeichnet, das die Zünfte in den Hochburgen der schwäbisch-alemannischen Fastnacht besonders streng handhaben.

Für eine gestandene Mutter von drei Kindern war von Anfang an klar, dass ihr Herz für den Feuerbarthl schlägt. „Das Schwarze und etwas Verborgene, das bei der Figur mitschwingt, hat mir immer schon gefallen, aber auch das lachende Gesicht“, sagt die 47-Jährige. Viele Jahre hat sie die Fasnet in Murrhardt zunächst als Zuschauerin miterlebt, vor elf Jahren stieg sie dann in ihr feuriges Leben ein und erfüllte damit auch einen Wunsch ihrer Kinder. „Die Fasnet ist für die ganze Familie mit die intensivste Zeit, wir haben wunderschöne Umzüge zusammen erlebt.“ Nach umtriebigen Anfängen sei die Verbundenheit zum Verein gewachsen. Es entwickelte sich ein routiniertes Auftreten als Feuerbarthl, bei dem die 47-Jährige das Spiel mit den Zuschauern genießt: „Jemand erst sanft über den Kopf streichen und ihm dann doch ein wenig Konfetti in den Nacken rieseln zu lassen.“ Diese zwei Gesichter zu zeigen, macht ihr Freude. Genauso kostet sie es aus, dabei nicht wie sonst im Alltag als Frau, sondern als Feuerwesen jenseits der Geschlechter präsent zu sein. Dabei das richtige Feingefühl mitzubringen, beispielsweise ein schüchternes Kind nicht zu sehr zu erschrecken und einen Erwachsenen zu nichts zu drängen, gehört für sie genauso als wichtige Regel dazu.

Auch für einen 63-jährigen Murreder Henderwäldler ist die lebendige Interaktion mit dem Publikum ein ganz entscheidender Faktor. „Der eine weicht ein bisschen zurück, der andere freut sich und geht auf einen zu.“ Dass mit der Fasnet Farbe und Bewegung in die oft noch erstarrte Jahreszeit kommt, schätzt er ebenso sehr – was nun allerdings wegen Corona pausieren muss. Als erfahrener Wasserfratz seit 1996 nutzte er 2013 die Chance, die Entwicklung des Tannenzapfenhurglers mit zu begleiten – und zu einem zu werden. „Das war unheimlich spannend, das Häs zum Leben zu erwecken“, erzählt er. Angefangen bei den Beratungen mit dem österreichischen Maskenschnitzer Paul Wörle rund um die individuelle Ausgestaltung des Hurglerantlitzes über die Entscheidungen zum Häs mit schwarzer Cordhose, weißem Hemd und brauner Walkjacke bis hin zu den Besorgungen der Accessoires wie Stock und Tasche. Auch wenn der Tannenzapfenhurgler 2016 zur dritten Gruppenfigur gekürt wurde, ist die Anzahl mit zurzeit fünf Hästrägern überschaubar. Ihren Hintergrund bildet das Waldgewerbe. Anders als ein Pflücker steigt er nicht in luftige Höhen, sondern sammelt die Zapfen als Brennmaterial vom Boden auf. Als Neckname steht der Tannenzapfenhurgler einerseits für einen nicht immer ganz geschickten, auch arbeitsscheuen Gesellen, andererseits für einen ärmlichen, abgeschafften, älteren Bauern, der sich im Wald aus der Not heraus mit Nahrung versorgen muss. In einer Hintergrundanekdote berichtet das Narrenbuch (2016 zum 33-jährigen Bestehen der Henderwäldler erschienen) übrigens: Im Bürgermeisterwahlkampf 1986 in der Walterichstadt hat Helmut Palmer, auch bekannt als der Remstalrebell und Vater von Boris Palmer, die Murrhardter Wähler als Tannenzapfenhurgler bezeichnet, was wohl nicht unbedingt zum Stimmenfang beitrug. Der Wahlerfolg blieb aus.

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Freundliche Quellgeister: Der Wasserfratz ist als Gruppenfigur bei Mitgliedern sehr beliebt. Fotos: Murreder Henderwäldler

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...der Tannenzapfenhurgler für den Wald und ein ärmliches Auskommen.

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Narreneltern Jutta Trefz und Helmut Weisheit.

Die Narreneltern betreuen den Narrensamen und haben ein Auge auf das Wirken der Zunft

Eine weitere Besonderheit der Murreder Henderwäldler ist, dass die Zunft Narreneltern seit 1993 hat. Zwar gibt es in der schwäbisch-alemannischen Fasnet Narrenvater und Narrenmutter, beide werden aber klassischerweise von Männern repräsentiert, und nicht wie in Murrhardt als weiblicher und männlicher Part. Ihre Aufgabe ist, neben der Betreuung des Narrensamens, die Zunft zu repräsentieren, für Zusammenhalt zu sorgen sowie das Wirken zu begleiten und zu überwachen. Vor diesem Hintergrund haben sie als erfahrene und auf Lebenszeit Gewählte (sofern sie nicht vom Amt zurücktreten möchten) auch die Pflicht, bei Konflikten zu vermitteln. Erster Narrenvater war Fritz Meindl, nach seinem Tod übernahm Ewald Behr, auf den Helmut Weisheit folgte. Jutta Trefz ist seit 1993 als Narrenmutter im Amt.

Ein Jahr vor ihrem Amtsantritt entwarf Jutta Trefz auch ein Kinderhäs für den närrischen Nachwuchs, den Narrensamen. Die Tröpfle und Flämmle sind in ihrem Gewand an Wasserfratz und Feuerbarthl angelehnt, tragen aber keine Maske.

Zusätzliche Informationen zu den Murreder Henderwäldlern und ihren Figuren finden sich auf www.narrenzunft-murrhardt.de. Ein weiterer Bericht wird auf die Einzelfiguren der Henderwäldler eingehen.