Vor 65 Millionen Jahren

Vorfahren von Strauß und Emu konnten noch fliegen

Laufvögel wie Strauße, Emus und Nandus haben sich auf der halben Welt ausgebreitet, obwohl sie nicht fliegen können. Einer neuen Studie zufolge konnten ihre ältesten bekannten Vorfahren aber noch fliegen.

Vorfahren von Strauß und Emu konnten noch fliegen

Bis vor 65 Millionen Jahren konnten die Vorfahren der Strauße noch fliegen.

Von Markus Brauer/AFP

Laufvögel, zu denen afrikanische Strauße, australische Emus und Kasuare, neuseeländische Kiwis und südamerikanische Nandus gehören, haben die Wissenschaft lange vor ein Rätsel gestellt: Wie konnten sie sich auf der halben Welt ausbreiten, obwohl sie nicht fliegen können?

Eine am Mittwoch (17. September) im Fachmagazin „Biology Letters“ der britischen Royal Society veröffentlichte Studie gibt nun die Antwort: Die ältesten bekannten Vorfahren der Laufvögel konnten fliegen.

Steißhuhn kann als einiger Vertreter noch fliegen

Die Laufvögel gehören zu den Unterkiefervögeln. Der einzige noch lebende Vertreter der sogenannten Palaeognathae, der fliegen kann, ist das in Mittel- und Südamerika vorkommende Steißhuhn. Gut fliegen kann das kleine Steißhuhn allerdings nicht: Es legt allenfalls kurze Strecken fliegend zurück, wenn es fliehen oder ein Hindernis überwinden muss.

Die mit den Steißhühnern verwandten Strauße, Emus, Kasuare, Kiwis und Nandus können gar nicht fliegen. Trotzdem gibt es sie mit Ausnahme der Antarktis auf allen Kontinenten der Südhalbkugel. Früher vermuteten Wissenschaftler daher, dass sich ihre Vorfahren auseinander entwickelten, als der Großkontinent Gondwana vor 160 Millionen Jahren auseinanderzubrechen begann.

Genetische Untersuchungen hätten jedoch gezeigt, dass die „evolutionäre Aufspaltung“ der Unterkiefervögel erst „lange nach der Trennung der Kontinente stattfand“, erklärt Klara Widrig vom Smithsonian National Museum of Natural History in den USA, eine leitende Autorin der Studie.

Vor 66 bis 23 Millionen Jahren

Widrig und ihr Team untersuchten ein Fossil aus der Familie der Lithornithidae, den ältesten bekannten Unterkiefervögeln, die vor 66 bis 23 Millionen Jahren lebten. Die versteinerten Überreste des Vogels Lithornis promiscuus wurden im US-Bundesstaat Wyoming gefunden und befinden sich in der Sammlung des Smithsonian Museums.

Da Vogelknochen sehr empfindlich sind, gehen sie während des Versteinerungsprozesses oft kaputt. Nicht jedoch in diesem Fall: Die Forscher konnten an dem gut erhaltenen Fossil das Brustbein des Vogels untersuchen, an dem die Muskeln zum Fliegen befestigt waren. Sie wiesen damit nach, dass Lithornis promiscuus, also der gemeinsame Urahn aller Laufvögel, fliegen konnte - und damit auch Ozeane überqueren.

Warum haben die Vögel das Fliegen aufgegeben?

Diese Entdeckung wirft jedoch gleich eine neue Frage auf: Warum haben die Nachfahren dieser Vögel das Fliegen aufgegeben? „Vögel werden flugunfähig, wenn zwei wichtige Bedingungen erfüllt sind: Sie müssen in der Lage sein, ihre gesamte Nahrung am Boden zu finden, und es darf keine Raubtiere geben, die sie bedrohen“, erkläutert Widrig.

Ältere Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass Lithornithidae mit ihrem Schnabel wahrscheinlich sehr gut Insekten aufpicken konnten. Aber was ist mit der zweiten Bedingung, dem Fehlen von Raubtieren?

Umstellung vor 65 Millionen Jahren

Widrig vermutet, dass die Vorfahren der Unterkiefervögel das Fliegen nach dem Aussterben der Dinosaurier vor etwa 65 Millionen Jahren aufgaben. Mit den Dinosauriern seien ihre wichtigsten Fressfeinde wegfallen. Die am Boden nach Nahrung suchenden Vögel seien dann vermutlich ganz am Boden geblieben und hätten sich das energieintensive Fliegen gespart.

Einige kleine Säugetiere hatten den Asteroideneinschlag, der zum Aussterben der Dinosaurier führte, zwar überlebt. Es dauerte aber lange, bis sie sich zu Raubtieren entwickelten. Die Laufvögel auf den verschiedenen Kontinenten hatten also viel Zeit, sich anzupassen, wie Widrig erläuterte. Sie wurden entweder zu schnellen Läufern wie Strauß, Emu und Nandu oder „selbst gefährlich und einschüchternd“ wie der Kasuar.