Warten auf Nachwuchs beim größten Schmetterling der Welt

Im Schmetterlingshaus der Wilhelma wird der stete Wandel der Natur erlebbar. Und mit viel Glück sogar der größte seiner Art, der Atlasfalter. Ein Besuch.

Warten auf  Nachwuchs beim größten Schmetterling der Welt

Gärtner Thomas Gengenbacher im Schmetterlingshaus der Wilhelma.

Von Iris Frey

Stuttgart - Der Schmetterling gilt als Symbol für die Verwandlung des Lebens. Die Sonne durchflutet das gläserne Haus in der Nähe der Damaszenerhalle der Wilhelma. Draußen ist es noch still. Kaum Besucher sind unterwegs. Im Schmetterlingshaus der Wilhelma herrscht schon fleißiges Treiben. Unzählige Falter flattern unter dem gläsernen Runddach in ihrer Buntheit herum oder sitzen Nektar trinkend auf unzähligen blauen und gelben oder lila Blüten. Nur ein Flughund ruht an einem Ast. In dieser Welt ist Gärtner Thomas Gengenbacher seit 23 Jahren zu Hause. Denn im Jahr 2002 wurde das Schmetterlingshaus eröffnet. Seit sieben Uhr ist er auf den Beinen und hat das Haus mit Kollegen geputzt, nach den Blühpflanzen geschaut und alles gepflegt. In der Wilhelma ist der Gärtner seit 37 Jahren tätig.

Bei Sonne blühen nicht nur die Pflanzen richtig auf, sondern auch die Tiere, die dann flatternd von Blüte zu Blüte dafür sorgen, dass die Pflanzen in ihrer Art weiter verbreitet werden. Die besondere Atmosphäre gefällt dem Gärtner zunehmend und fasziniert ihn. Das Kommen und Gehen der Falter, deren Leben verhältnismäßig kurz ist und oft nur zwei Wochen währt. Jetzt kurz nach Ostern erscheinen die tierischen Wunder der Verwandlung einmal mehr in neuem Licht.

Im Schmetterlingshaus, in dem kurze Zeit später wieder Groß und Klein über die Verwandlungskünstler staunen, sind derzeit rund 100 Tiere zu finden in fünf bis zehn verschiedenen Arten. Die warmen Temperaturen von derzeit 22 Grad und die hohe Luftfeuchtigkeit weist auf die Heimat hin: die Tropen. Ganz besondere Exemplare hat Gengenbacher mit Kollegen im März nach Stuttgart gebracht: 500 Schmetterlinge wurden schonend im Briefumschlag transportiert und dann frei gelassen, dazu viele Puppen. Davon sind einige schon geschlüpft.

Der Vielfalt nicht genug: So kommen wöchentlich etwa acht bis zehn Puppenarten dazu, die die Tierpfleger aus Holland beziehen, einer Zwischenstation. Ursprünglich stammen sie aus Südamerika.

Die Puppen, die Vorstufe der Schmetterlinge, sind in einem gläsernen Kasten an hölzernen Stangen aufgehängt, sodass die Besucher ihre Entwicklung genau verfolgen können. Die gehärtete schalenartige Struktur, die die Puppe umschließt, ähnelt oft trockenen Blättern.

Zu sehen ist die leere Puppenhülle etwa vom Großen Mormonen-Schmetterling, einer asiatischen Schwalbenschwanz-Schmetterlingsart aus Asien. Er ist schon geschlüpft. Am Fenster sind ein paar der besonderen Falter zu sehen: der große Bananenfalter, dessen Raupen zahlreich auch noch an der Bananenpflanze sitzen und fressen. Oder es ist ein Passionsblumenfalter zu sehen und ein Morpho-Schmetterling, der aufgeklappt leuchtend blaue Flügel besitzt und in Süd-Mittelamerika und Mexiko vorkommt. Die Paarung der Schmetterlinge erfolgt meist im Flug. Doch nicht bei jeder Art. Etwa beim größten Schmetterling der Welt, dem Atlasfalter. Drei entfaltete Exemplare gibt es gerade in der Wilhelma, zwei Weibchen und ein Männchen. „Letzten Dienstag ist ein weiblicher Atlasfalter geschlüpft und heute Morgen ein Männchen.“ Nun sind die Atlasfalter hinter den Kulissen zusammen. Auch Eier wurden schon gelegt. Die Wilhelma-Mitarbeiter hoffen, dass sie noch befruchtet werden und es Nachwuchs gibt.

Da die Schmetterlinge nur zwei Wochen leben, spielt die Zeit eine große Rolle. In der Zeit fressen sie nichts, sondern konzentrieren sich auf die Suche nach einem Partner, um sich zu paaren, bevor sie sterben. Die Eier werden dann vom Weibchen an der Annona-Pflanze abgelegt, die dann die ausgeschlüpften Raupen fressen, damit der Nachwuchs überlebt. Indes sind alle Stadien der Verwandlung im Schmetterlingshaus zu sehen: Auch an Säulen stehen Passionsblumen. Dort kriechen allerorten Raupen. Etwa des Passionsblumenfalters wie der Flammenfalter, die orangene Flügel haben und des Großen Kurier, der grauweiß gemusterte Flügel hat. „Sie fressen alles bis zum Herz“, zeigt Gengenbacher.

Die tropischen Schmetterlinge mögen neben der Passionsblume auch das Wolfsmilchgewächs Euphorbia Fulgens oder auch den Stern von Ägypten, auch Pentas Lanceolata genannt. In der Natur sorgen Schmetterlinge für die Verbreitung der Pflanzenarten. Während sie mit ihrem Rüssel den Nektar aufsaugen, bestäuben sie beim Flug die Blüten. Um Nektar zu saugen, bevorzugen die Tiere im Schmetterlingshaus besonders das gärende Obst wie Äpfel und Orangenstücke, die die Gärtner auf Tonschalen bereit gelegt haben. Auf dieses Obst ist auch ein besonderen Bewohner im Schmetterlingshaus scharf: die vegetarische Fledermaus, ein Flugfuchs. Auch dieser bevorzugt wie die Schmetterlinge gärende Melone, Gurke, Banane und Apfel, die am Fress-Stab hängen.

Während die Tierpfleger sich um den Kauf der Schmetterlinge kümmern, bekommen sie das Futter von Gengenbacher und seinem Team. Müsste es dem Gärtner nicht das Herz zerreißen, dass die Pflanzen hier abgefressen werden? Nein, sagt der 57-Jährige, „mich fasziniert es.“ Denn er weiß: Hinter den Kulissen hat er zwei Gärtnertische, an denen die Blumen wieder aufgepäppelt werden. Die Triebe werden zurückgeschnitten, die Pflanzen gedüngt und wieder hochgezogen, um wiederum als Nahrung für die Raupen zu dienen. So sorgen sie täglich für den Kreislauf: vom Ei zur Verpuppung bis zum Wunder der Entfaltung. Dazwischen ein buntes, kurzes Leben zwischen Nachwuchs schaffen und Vergänglichkeit. Leben und Natur in stetem Wandel. Ein Faszinosum im Großen wie im Kleinen.