Mit Tierzähnen verzierte Taschen

Warum Toten in der Steinzeit Babytragen ins Grab gelegt wurden

Bestattungsrituale sagen viel über Kulturen aus – wie ein Brauch in der jungsteinzeitlichen Baalberger-Kultur. Verstorbenen Frauen wurde aufwendig verzierte Taschen ins Grab gelegt.

Warum Toten in der Steinzeit Babytragen ins Grab gelegt wurden

Ein schnurkeramisches Frauengrab mit zahlreichen Tierzähne .

Von Markus Brauer

Die SuedOstLink-Stromtrasse verläuft von Wolmirstedt bis Droyßig in Sachsen-Anhalt. Auf 170 Kilometern führt die Trasse durch das Altsiedelland. In dieser fruchtbaren landwirtschaftlichen Region ist die Zahl an archäologischen Fundstellen aus der Steinzeit außergewöhnlich groß.

Spatenforscher graben derzeit entlang der gesamten Trasse, unter anderem in der während der Jungsteinzeit intensiv genutzten Siedlungskammer zwischen Osterfeld und Weißenfels, die jetzt interessante Befunde erbracht hat.

Kulturlandschaft der mittleren Jungsteinzeit

Während der Baalberger Kultur vor rund 6000 Jahren wurde auf einer markanten, nördlich des heutigen Krauschwitz gelegenen Anhöhe eine Siedlung errichtet. In deren unmittelbarer Nähe wurde der Verstorbenen gedacht. Diese wurden einzeln in Grabgruben beigesetzt. In einigen Fällen wurde eine trapezförmige Hütte aus Holz über der Grabgrube errichtet.

Diese Totenhäuser, die gelegentlich auch mehrere Gräber umschlossen, wurden mit Erdmaterial, unter anderem Löss, überdeckt und hoben sich deutlich in der Landschaft ab. Bei Krauschwitz konnten fünf dieser Hügel nachgewiesen werden. Eines dieser Grabmonumente mit zwei Bestattungen liegt mittig im zukünftigen Stromtrassenverlauf.

Totenhäuser der Baalberger Kultur

Dank der zur damaligen Zeit geschaffenen Sichtachsen war der Blick zu weiteren, nur wenige Kilometer entfernt gelegenen und ebenfalls mit hellem Lössboden überhügelten Grabstellen möglich. Insgesamt kamen im Zuge der Untersuchungen am SuedOstLink mehr als 15 baalbergezeitliche Trapezhütten zum Vorschein.

Heute zeichnen sich die ehemals mehrere Meter hohen, künstlich aufgeschütteten Hügel nicht mehr im Gelände ab. Nur die Fundamentgräben der aus Holz errichteten Hütten und die in deren Innenraum tief in den Boden eingebrachten Bestattungen sind als archäologische Quelle Zeugnis der Glaubenswelt zur Zeit der Baalberger Kultur.

Die Menschen dieser Kulturstufe haben mit den Grabmonumenten nicht nur ihre Ahnen verehrt, sondern vielmehr auch ihre Macht deutlich sichtbar zum Ausdruck gebracht. Selbst mehr als tausend Jahre später zogen diese Symbole die Menschen der Schnurkeramischen Kultur an.

Bestattungen der Schnurkeramischen Kultur

Die Schnurkeramische Kultur ist vom Elsass bis zur Ukraine und von Südskandinavien bis zu den Alpen hin verbreitet. Auch bei Krauschwitz wurde die Anhöhe erneut als Siedlungsplatz ausgewählt.

Entlang der zahlreichen Grabhügel aus der zurückliegenden Baalberger Kultur entstand ein neues Bestattungsfeld, von dem 15 Grabstellen im Bereich der neuen Stromtrasse liegen. Es sind die für die Schnurkeramische Kultur typischen Einzelbestattungen. Gelegentlich kommen auch Doppelbestattungen vor.

Die Toten wurden stets mit Blick nach Süden beigesetzt. Meist achtete man bei der Ausrichtung der Toten darauf, dass männliche Individuen auf der rechten Körperseite und weibliche Individuen auf der linken Körperseite ruhend bestattet wurden.

Männliche und weibliche Insignien

Auch bei der Ausstattung zeichnen sich überregional verbindliche Sitten ab. Neben den aus Keramik gefertigten Gefäßen, zumeist Becher und Amphoren, die beiden Geschlechtern mit ins Grab gegeben wurden, gilt vor allem die Steinaxt als männliche Insignie, während Bestandteile von Schmuck und Tracht im weiblichen Ausstattungskanon im Vordergrund stehen.

Vor allem im mitteldeutschen Raum sind zudem durchbohrte Zähne, meist von Hunden, häufig anzutreffen. Entsprechend der jeweiligen Fundlage im Grab zeigen die Beigaben die einstige Existenz längst vergangener organischer Materialien – wie Textil oder Leder – an. Dabei könnte es sich um Decken mit Borte, bestickte Tücher, Gürtelgehänge, Mantelbesätze, bestickte Hauben, Armbänder und vieles mehr gehandelt haben.

Aufwendig verzierte Taschen als Tracht von Frauen

Zwischen den Flüssen Unstrut und Weißer Elster mit Ausläufern bis an die Sangerhäuser Mulde und das Untere Saaletal waren aufwendig verzierte Taschen ein regelmäßiger Bestandteil der Tracht junger erwachsener Frauen, die einer elitären Gesellschaftsschicht angehört haben dürften. Drei der bei Krauschwitz entdeckten Bestattungen liefern Hinweise auf solche Taschen.

Das organische Material der Taschen – Leder oder Stoff – ist längst vergangen, die durchbohrten Tierzähne, die aufgenäht waren, haben sich jedoch bis heute erhalten. Dachziegelartig gestaffelt waren auf die Frontfläche der Taschen die oberen und unteren Eckzähne sowie Schneidezähne von Hunden aufgestickt.

Reparatur mit Fuchs- und Wolfzähnen

Der Taschenboden war meist ungefähr 30 Zentimeter lang. Die Höhe betrug mindestens 20 Zentimeter. Bei vollbestickten Taschen wurden fast 350 Zähne benötigt. Es handelt sich bei den Hunden um eine mittelgroße Rasse, ähnlich dem heutigen Kleinen Münsterländer, die wahrscheinlich speziell für die Herstellung der Taschen gezüchtet wurden.

Nur bei Reparaturmaßnahmen an den Taschen wurde ausnahmsweise zum Beispiel ein Fuchszahn oder ein aus Knochen geschnitztes Imitat verwendet. Getragen wurden die beutelförmigen Taschen an einem breiten Gurtband, auf das oftmals Wolfszähne aufgenäht waren.

Zu Lebzeiten getragene Taschen als Grabbeigabe

Die Taschen scheinen – entsprechend ihrer Lage im Grab – zu Lebzeiten vor dem Körper getragen worden zu sein. Sie könnten, wie vereinzelt darin erhaltene Säuglingsknochen anzeigen, eine Art Babytrage darstellen. Beinchen, Ärmchen und der Kopf ragten heraus und wurden mit einem feinen Tuch zusätzlich geschützt. Der 20 Zentimeter breite Schal war mit Pailletten bestickt und mit Molaren von Hunden gesäumt.

Da auch jungen Frauen, die während der Schwangerschaft verstorben waren, eine Tasche mit ins Grab gelegt wurde, ist davon auszugehen, dass diese Taschen persönliche, nicht vererbbare Habe waren. Der Besitz der arbeits- und kostenintensiven, reich verzierten Taschen war sicherlich einer eng definierten, elitären Gesellschaftsschicht vorbehalten, zu der auch die Krauschwitzer Gemeinschaft gehörte.

Bei 20 Prozent der Frauenbestattungen wurde eine solche Babytrage gefunden. Im nur 1,7 Kilometer entfernt gelegenen Nessa wurde eine Frau der gehobenen Gesellschaftsschicht im Zuge der kurz vor dem Abschluss stehenden Ausgrabungen innerhalb des Baufelds der Starkstromtrasse im Block geborgen. Zu ihrer Grabausstattung gehörte ebenfalls eine solche Tasche, die die sterblichen Überreste eines Fötus oder Neugeborenen enthielt.

Info: Baalberger Kultur

Steinzeit Die früheste Epoche der Menschheitsgeschichte ist durch den Gebrauch von Steinwerkzeugen gekennzeichnet, die bereits von frühen Vertretern der Gattung „Homo“, dem „Homo habilis“ und „Homo erectus“ hergestellt wurden. Die Steinzeit begann vor 2,6 Millionen Jahren in Afrika und in Europa vor 1,1 Millionen Jahren und endete vor 2200 v. Chr.. Die Steinzeit wird in drei große Perioden unterteilt:

Altsteinzeit Die Altsteinzeit (Paläolithikum) beginnt mit dem Altpaläolithikum (vor 2,6 Millionen bis 300 000 Jahren), gefolgt vom Mittelpaläolithikum (vor 300 000 bis 40 000 Jahren) und endet mit dem Jungpaläolithikum (vor 40 000 bis 10 000 Jahren). Die Menschen waren Jäger und Sammler, zusammengesetzte Jagdwaffen aus Holz und Stein und das Feuer waren ihnen bekannt.

Mittel- und Jungsteinzeit Mit dem Ende der Eiszeit beginnt in Europa die Mittelsteinzeit (Mesolithikum, 9600-4500 v. Chr.). Der Übergang von der Jäger- und Sammlerkultur zu Ackerbau und Viehzucht markiert den Beginn der Jungsteinzeit (Neolithikum, deshalb auch Neolithische Revolution genannt). In Mitteleuropa beginnt sie um 5600 bis 4900 v. Chr. und endet um rund 2150 v. Chr..

Baalberger Kultur Die Baalberger Kultur war eine frühe jungneolithische Kultur um etwa 4200 bis 2800 v. Chr. mit Fundstätten in Mitteldeutschland und Böhmen. Benannt wurde sie nach dem Erstfund im Schneiderberg bei Bernburg (Salzlandkreis) in Sachsen-Anhalt. Sie wird zu den Trichterbecher-Kulturen gerechnet und ist in Deutschland deren fundreichste Erscheinung.Im nördlichen Mitteleuropa, im mittleren Osteuropa, in Dänemark und in Südskandinavien ist die Trichterbecher-Kultur die erste vom Ackerbau geprägte bäuerliche Kultur des nordischen Frühneolithikums. Sie folgt im Norden der mesolithischen Ertebølle-Kultur (5100 bis 4100 v. Chr).

Kupfer- und Bronzezeit Das Ende der Steinzeit wird eingeläutet durch den in Ägypten, Südosteuropa und Vorderasien aufkommenden Kupferbergbau und die ersten Techniken der Metallurgi – Kupferzeit. Der bekannteste Mensch der Kupferzeit ist der als Kältemumie erhaltene Ötzi (um 3300 v. Chr.). Mit der Bronzezeit, in der Metallgegenstände vornehmlich aus Bronze (einer Legierung von Kupfer und Zinn) hergestellt werden, endet endgültig die Steinzeit.