Dass besonders Kinder nachts aus dem Schlaf schrecken oder herumgeistern, hat Gründe. Doch wie sollten Eltern reagieren? Wann ist es sinnvoll, einen Arzt aufzusuchen?
Wenn der Nachtschreck kommt. Plötzlich wach, aber irgendwie auch überhaupt nicht.
Von Sandra Markert
Das Kind sitzt im Bett, die Augen weit aufgerissen und brüllt wie am Spieß. Die Szene erinnert an einen Krimi, bei dem gleich ein Einbrecher mit gezücktem Messer ins Blickfeld rückt. Oder zumindest mal eine riesige Spinne über die Bettdecke krabbelt.
Doch im Zimmer ist nur das brüllende Kind, das auf keine Frage reagiert und nach den Eltern schlägt, wenn sie es beruhigen wollen. Verstörende Minuten vergehen, dann hört das Schreien schlagartig auf. Das Kind legt sich hin - und schläft einfach weiter. Den Eltern sitzt der Schreck noch längere Zeit in den Knochen. In diesem Fall ist es der Nachtschreck.
Aus dem Schlaf heraus
Der Nachtschreck gehört zu den sogenannten Parasomnien, das sind Ereignisse oder Verhaltensweisen, die im Schlaf oder aus dem Schlaf heraus erfolgen. Dazu zählen beispielsweise auch Sprechen im Schlaf, nächtliches Zähneknirschen oder Schlafwandeln. Sie treten typischerweise in den ersten Stunden nach dem Einschlafen auf.
„Möglich ist das, weil das Gehirn teilweise erwacht“, sagt Joachim Maurer, Leiter der Sektion Schlafmedizin am Universitätsklinikum Mannheim und Vorsitzender im Verband der Somnologen Baden-Württemberg. Dadurch können Kinder im Schlaf sprechen, Treppen laufen oder schreien – ohne dass sie es währenddessen merken oder sich am anderen Morgen daran erinnern können.
Delfine schwimmen im Schlaf
Manche Tiere sind auf die Möglichkeit eines solchen partiellen Wachzustands sogar angewiesen. „Delfine beispielsweise müssen ja auch während des Schlafs noch schwimmen und auftauchen, um Luft zu holen. Deshalb schläft immer nur eine Gehirnhälfte“, sagt Joachim Maurer.
Bei Kindern folgt die nächtliche Aktivität zwar keinem besonderen Zweck, kommt aber trotzdem ziemlich häufig vor: Rund 30 Prozent aller Kinder haben ein- oder mehrmals im Leben ein so genanntes partielles Erwachen. Oft hören es Eltern aber gar nicht, wenn der Nachwuchs nachts redet, weil sie dann selbst schlafen. „Und von dem, was wir als Schlafwandeln bezeichnen, passiert auch ganz viel nur innerhalb des Bettes, da merkt es dann in der Regel auch keiner“, sagt Joachim Maurer.
Besonders anfällig für den Nachtschreck sind Kinder im Alter zwischen zwei und sechs Jahren. Das Schlafwandeln tritt verstärkt zwischen dem vierten und dem zwölften Lebensjahr auf – und das nicht selten bei Kindern, die auch schon mit dem Nachtschreck zu tun hatten. „Da wir familiäre Häufungen beobachten, gehen wir schon auch von einer erblichen Veranlagung als einer Ursache für Aufwachstörungen aus“, sagt Oberärztin Sarah Braun, die im Olgahospital der Klinikums Stuttgart für das Kinderschlaflabor zuständig ist.
Dass vor allem Kinder davon betroffen sind, hat weitere Gründe. „Wir beobachten das partielle Erwachen vor allem in solchen Altersphasen, in denen das Gehirn eine besondere Entwicklung durchmacht“, sagt Joachim Maurer. Ab dem Alter von etwa 25 Jahren kommt Schlafwandeln oder Sprechen im Schlaf kaum mehr vor. Nur noch weniger als sieben Prozent der Erwachsenen sind davon betroffen.
Neben genetischen Veranlagungen kann hier dann Stress eine Rolle spielen. „Wir sehen auch bei Kindern, dass in Phasen, in denen sie viel zu verarbeiten haben, eher eine Aufwachstörung auftritt“, sagt Joachim Maurer. Er nennt Dinge wie den Start im Kindergarten, die Einschulung, den Übertritt auf eine weiterführende Schule, einen Umzug oder die Trennung der Eltern.
Auch fieberhafte Erkrankungen zählen dazu, weil sie die Phasen des Tiefschlafs erhöhen, in denen das partielle Erwachen vor allem auftritt. „In der Regel erleben wir es jeweils zu ähnlichen Zeiten in der ersten Nachthälfte im Übergang von der ersten Tiefschlaf- in die Leichtschlafphase“, sagt Sarah Braun.
Kommt es zu solchen Zeiten, einmal in der Nacht und in erlebnisreichen Lebensabschnitten zu Aufwachstörungen und sind diese Störungen in der Familie vielleicht auch schon in früheren Generationen aufgetreten, müssen sich Eltern deswegen keine Sorgen machen. „Dann liegt dem in der Regel keine Krankheit zugrunde und es ist auch meist nichts Therapiebedürftiges“, erklärt Sarah Braun.
Lieber einen Arzt aufsuchen
Wachen Kinder dagegen mehrmals pro Nacht schreiend auf, und besonders auch in der zweiten Nachthälfte, sucht man besser einen Kinderarzt zur Abklärung auf. „Dann kann in ganz seltenen Fällen auch so etwas wie eine nächtliche Epilepsie dahinter stecken“, sagt Sarah Braun. Auch Eltern, die nicht genau wissen, wie sie mit einem Kind beim Nachtschreck oder beim Schlafwandeln umgehen sollen, ermuntert Sarah Braun, mit dem Kinderarzt zu sprechen.
„Ganz grundsätzlich gilt der Rat, das Kind nicht aufzuwecken, sondern sich ihm ganz ruhig zu nähern und zu versuchen, es sanft zurück ins Bett zu begleiten“, sagt Joachim Maurer. Sowohl beim Schlafwandeln wie auch beim Nachtschreck haben die Betroffenen die Augen zwar geöffnet, weil sie sich ja auch bewegen. „Sie nehmen andere Menschen oder Gefahrenquellen deshalb aber trotzdem nicht bewusst wahr“, sagt Joachim Maurer.
Sobald Eltern also wissen, dass sie ein schlafwandelndes Kind haben, gilt es, nächtlichen Unfällen vorzubeugen. „Haustüren und Balkontüren abschließen, Treppen sichern, Stolperfallen im Kinderzimmer beseitigen, Messer in der Küche wegschließen“, nennt Sarah Braun einige Beispiele.
Eine gute Schlafhygiene
„Tagsüber kann man dann das Gespräch suchen und gemeinsam überlegen, ob es gerade etwas gibt, was das Kind besonders beschäftigt und vielleichte ein Auslöser für das nächtliche Verhalten sein könnte“, sagt Joachim Maurer.
Außerdem hilfreich: eine gute Schlafhygiene. „Dazu zählen ausreichend Schlaf, ein regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus, genügend körperliche Bewegung tagsüber und zwei Stunden vor dem Schlafengehen möglichst keine schweren Mahlzeiten sowie kein Medienkonsum mehr“, sagt Sarah Braun.
Insbesondere die Smartphone-Nutzung im Schlafzimmer sehen die Experten sehr kritisch. „Es gib Studien, die zeigen, dass wir schon kürzer und schlechter schlafen, sobald das Handy einfach nur im Zimmer liegt, selbst wenn es ausgeschaltet ist“, sagt Joachim Maurer.