Wertschätzung und Verpflichtung zugleich

Die Murreder Henderwäldler zählen seit Herbst zu den Narrenzünften, die das Logos „Wissen.Können.Weitergeben“ tragen und mit ihm die schwäbisch-alemannische Fastnacht als nationales immaterielles Kulturerbe hochhalten und pflegen.

Wertschätzung und Verpflichtung zugleich

Das Zunftmeisterduo Diana Spreu und Matthias Schlichenmaier freut sich, dass die Henderwäldler Träger des Logos „Wissen.Können.Weitergeben“ sind. Es weist sie als Narrenzunft aus, die sich der schwäbisch-alemannischen Fastnacht als nationales immaterielles Kulturerbe verschrieben hat. Foto: privat

Von Christine Schick

MURRHARDT. Es wird also die erste Fasnet sein, die für die Murreder Henderwäldler auch im Zeichen des besagten nationalen immateriellen Kulturerbes steht. Sicher, die Umstände sind völlig anders als sonst. Die offizielle Verleihung des Logos konnte (noch) nicht stattfinden, aber die Murrhardter Narrenzunft zählt seit Anfang Oktober vergangenen Jahres zu den Trägern. „Im Rems-Murr-Kreis sind wir die Einzigen“, sagt Zunftmeister Matthias Schlichenmaier. Auch im Landesverband Württembergischer Karnevalvereine (LWK), in dem die Murreder Henderwäldler Mitglied sind, ist es ein überschaubarer Kreis: Neben den Murrhardtern haben die erste Fasnetzunft Neckarweihingen, der Narrenbund Neuhausen und die Freie Narrenzunft Kornwestheim das Logo erhalten. Den Prozess beschreibt der Zunftmeister als eine Art Bewerbung, bei der ein bestimmter Kriterienkatalog erfüllt sein muss. Wichtige Grundlage war dabei das Narrenbuch, in dem die Henderwäldler ihre eigene Geschichte und die Wurzeln der Fasnet in Murrhardt und Umgebung aufgearbeitet und dokumentiert haben.

„Wir fühlen uns schon geehrt, jetzt auch Träger des Logos zu sein, gemeinsam mit den großen Brauchtumszünften aus den Fasnetshochburgen, und in diesen Kreis aufgenommen zu sein“, sagt der Zunftmeister. Gleichzeitig solle dies aber überhaupt nicht ausschließend anderen Gruppen gegenüber gemeint sein. Vielmehr sähen sich die Henderwäldler in ihrer Vereinsarbeit bestätigt. „Die Verleihung bedeutet Wertschätzung, aber auch Verpflichtung“, stellt Matthias Schlichenmaier fest. Zu Letzterer gehöre auch, das Brauchtum vorzuleben und so weiterzugeben. Gemäß der deutschen Unesco-Kommission verbindet die schwäbisch-alemannische Fastnacht regionales Wissen, Kunsthandwerk und Laienkreativität, fördert den Ausdruck von Emotionen und wirkt als generationsübergreifendes Gemeinschaftserlebnis mit sozialer und integrativer Funktion.

In der aktuellen Situation wird für Vorstandsmitglied Alexander Irion auch deutlich, dass diese Ansprüche noch ein Stück weit breiter geworden sind. „Natürlich ist es auch ein Spagat, einerseits das Brauchtum zu leben und den Werten in diesem Sinne treu zu bleiben, andererseits in der Zeit der Pandemie beispielsweise mit Online-Veranstaltungen neue Formen zu finden“, sagt er.

Mit den Murreder Henderwäldlern hat sich Anfang der 1980er-Jahre eine Narrenzunft vor allem sehr junger Mitstreiter in Murrhardt formiert, die nach und nach auch regional verankerte, typische Figuren für sich entwickelt hat (Bericht folgt). Zu den Gründungsmitgliedern gehört Christian Schweizer, der sich ebenso über die Verleihung des Logos und die Aufnahme in den Kreis der Vermittler und Weitergebenden der schwäbisch-alemannischen Fasnet freut. Als Fachmann in Sachen Heimatgeschichte weiß er um die viel länger zurückreichende Geschichte anderer Vereine, gleichzeitig sagt er, könne das Alter von Masken und Häs nicht das alleinige Kriterium sein. „Kultur unterliegt auch dem Wandel, sie wird tradiert, ist aber nie abgeschlossen, sondern entwickelt sich weiter. Altes verschwindet, Neues kommt hinzu“, erläutert Christian Schweizer. Gleichsam gebe es bestimmte Fix- und Orientierungspunkte wie einen zeitlichen Rahmen und Ablauf der Fasnet, den Verhaltenskodex und historischen Kontext. „Die Fasnet in Murrhardt lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen“, sagt der Leiter des Carl-Schweizer-Museums. Wie überall habe die Reformation versucht, dem alten Fasnetsbrauch ein Ende zu setzen, doch in der ehemaligen Klosterstadt Murrhardt zog sich die Phase von Reformation und Gegenreformation über beachtliche Zeit hin, und insofern wagen die Henderwäldler die These, dass die Walterichstadt nie richtig reformiert worden sei.

Die Murreder Henderwäldler haben sich 1983 gegründet.

Auch später feierten die Murrhardter immer wieder Fastnacht. Aus Vereinsdokumenten weiß man, dass ab den 1880er-Jahren der Liederkranz, teils mit der Stadtkapelle und dem Turnverein, Aufführungen, Bälle oder Kappenabende veranstaltete. Christian Schweizer berichtet vom Verein „Gesellschaft zum Casino“, der 1884 gegründet wurde. Im selben Jahr fand auch der erste Fastnachtsumzug in Murrhardt statt. Knapp hundert Jahre später, 1983, fanden sich dann die Murreder Henderwäldler als Narrenzunft zusammen (siehe auch Bericht über die Anfänge des Karnevals in dieser Ausgabe).

Zwar sei es schon ein wenig traurig, dass die erste Fasnet für sie als Logo-Träger eine nicht direkt sinnlich erlebbare sein werde, aber Christian Schweizer sagt auch: „Die Fasnet hat Pest und Kriege überstanden, ihre Widerspenstigkeit immer weitergeführt, ich habe keine Angst um sie.“

Mit ihr transportiert sich über die Figuren besagtes regionales Wissen, das die Hästräger auch im Sinne des Kunsthandwerks pflegen. Bei den Gruppenfiguren der Murreder Henderwäldler sind es die Mitglieder, die sich um die konkrete Ausgestaltung der Kleidungselemente bis hin zur Maske kümmern. Anders als bei den Einzelfiguren, für deren Maske ein professioneller Schnitzer zuständig ist, bearbeiten sie beispielsweise ihre Rohlinge, um ihnen den Feinschliff zu geben. Bei den Umzügen sind Emotionen aufseiten von Narren und Publikum Teil des Geschehens, wobei die Henderwäldler hier auch Verantwortung tragen im Sinne der eigenen Regel „Jedem zur Freud’, keinem zum Leid“. Die Tatsache, dass Jung und Alt sowie auch immer wieder Kinder, Eltern bis hin zu Großeltern im Verein aktiv sind und gemeinsam Veranstaltungen auf die Beine stellen, steht schließlich für die soziale und integrative Funktion. Die möchten die Henderwäldler auch in Zeiten von Corona so gut wie möglich aufrechterhalten und haben sich in Sachen virtueller Veranstaltungen einiges einfallen lassen wie einen virtuellen Rathaussturm, Wettbewerbe und weitere Möglichkeiten des Austausches.

Immaterielle Kulturgüter sollen geschätzt und gefördert werden

Im Dezember 2014 hat die deutsche Unesco-Kommission die schwäbisch-alemannische Fastnacht zum nationalen immateriellen Kulturerbe ernannt. Ziel der Unesco ist es, das Bewusstsein für die Bedeutung der immateriellen Kulturgüter und ihre Wertschätzung auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene zu fördern. Hierzu hat die Unesco 2003 das Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes verabschiedet. Dieser völkerrechtlich verbindlichen Konvention sind mittlerweile 160 Staaten beigetreten. In Deutschland ist das Unesco-Übereinkommen 2013 in Kraft getreten.

Das Logo des nationalen immateriellen Kulturerbes „Wissen.Können.Weitergeben“ dürfen nach einer entsprechenden Prüfung Narrenzünfte tragen, die sich dem Erhalt und der Pflege ihrer heimatlichen Bräuche verschrieben haben und die Kriterien des zugehörigen Normen-Kodex erfüllen und befolgen.

Als immaterielles Kulturerbe werden lebendige Traditionen, Ausdrucksformen, menschliches Wissen und Können sowie darstellende Künste in aller Welt dokumentiert. Sie sind wiederum vom Weltkulturerbe abzugrenzen, das Baudenkmäler, Stadtensembles sowie Kultur- und Naturlandschaften umfasst. Beispiele für das Weltkulturerbe sind der Limes, der Kölner Dom oder das markgräfliche Opernhaus in Bayreuth, für das immaterielle Kulturerbe neben der schwäbisch-alemannischen Fastnacht die Falknerei, der Orgelbau und das Orgelspiel sowie das Skatspiel.