Der Liebesentzug der Amerikaner und die Bedrohung aus Russland zwingen Europa und Großbritannien zum Überdenken ihrer Beziehung. Nun gibt es einen Deal.
Die EU und Großbritannien haben sich auf einen Deal zur engeren Zusammenarbeit geeinigt.
Von Von Christoph Meyer und Marek Majewsky, dpa
London/Brüssel - Beim ersten Gipfel zwischen Großbritannien und der EU seit dem Brexit sind sich beide Seiten wieder ein gutes Stück nähergekommen. Die Weltlage mit Krieg in der Ukraine und der Abkehr der US-Regierung unter Donald Trump ließ ihnen kaum eine Wahl.
Nach dem bitteren Rosenkrieg der Brexit-Jahre spielt auch die Symbolik eine große Rolle. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident António Costa wurden zur Unterzeichnung des Deals im prunkvollen Lancaster House in London empfangen. Von der Leyen schwärmte von einer "historischen" Vereinbarung. Starmer sprach von "einer neuen Ära" – trotzdem gibt die Vereinbarung in erster Linie den Rahmen für weitere Verhandlungen vor.
Ist das der erste Schritt für eine Rückkehr der Briten?
Nein. Zwar spricht sich laut Umfragen inzwischen eine Mehrheit der Briten für einen Wiedereintritt in die EU aus, doch die politischen Parteien in Großbritannien fassen das Thema Brexit noch immer mit spitzen Fingern an.
Zu groß ist die Angst vor dem Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage. Der hatte kürzlich bei Kommunalwahlen in England einen Achtungserfolg erzielt. In Umfragen liegt Reform in der Wählergunst sogar vor den regierenden Sozialdemokraten von Labour und den Konservativen.
Gibt es einen Verteidigungspakt?
Ja. London und Brüssel wollen künftig vor allem in Sachen Sicherheit und Verteidigung enger zusammenarbeiten. Ein neues Partnerschaftsabkommen soll hier unter anderem den regelmäßigen Austausch, einfachere Verlegung von Material und Truppen sowie eine Beteiligung britischer Unternehmen an dem 150 Milliarden schweren geplanten Aufrüstungsprogramm der EU ermöglichen. Auch bei der Unterstützung für die Ukraine wollen beide Seiten noch enger als bisher kooperieren.
Dürfen EU-Bürger auf Visa-Erleichterungen hoffen?
Hier gibt es noch keinen weißen Rauch. Die Bundesregierung pocht schon lange auf ein Programm für junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren, um in Großbritannien zumindest für begrenzte Zeit studieren und arbeiten zu können.
Den Vorstoß der EU-Kommission für ein Youth Mobility Scheme lehnte die inzwischen regierende Labour-Partei noch im April vergangenen Jahres brüsk ab. Man werde nicht zur Personenfreizügigkeit zurückkehren, durch die sich EU-Bürger ohne weiteres in Großbritannien niederlassen konnten, hieß es damals.
Auch jetzt scheint das Thema weiter schwierig zu sein. Immerhin einigten sich beide Seiten darauf, weiter darüber zu sprechen. Auch eine Rückkehr der Briten in das Erasmus-Austauschprogramm für Studierende wird in Aussicht gestellt.
How much is the fish?
Fischerei war schon während des Brexit-Referendums ein großes Thema – obwohl die Branche nur 0,4 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung ausmacht. "Wir haben unseren Fisch zurück. Es sind jetzt britische Fische und dafür umso bessere und glücklichere Fische", jubilierte der Tory-Abgeordnete Jacob Rees-Mogg, nachdem die Quoten für EU-Fischer in den fischreichen britischen Gewässern durch den endgültigen EU-Austritt Anfang 2021 deutlich sinken sollten.
Die derzeit gültige Verteilung sollte im kommenden Jahr auslaufen. Nun will man sich bis Mitte 2038 vollen gegenseitigen Zugang zu Fischereigewässern gewähren.
Wo ziehen beide Seiten eine rote Linie?
Die britische Regierung legt weiterhin viel Wert darauf, möglichst wenig Angriffsfläche für Farage und seine Partei Reform UK zu bieten. Eine Rückkehr in den Binnenmarkt oder die Zollunion gibt es vorerst nicht – obwohl das den größten Schub für die Wirtschaft brächte.
Aufseiten Brüssels gibt es weiterhin die Sorge, Großbritannien könne durch "Rosinenpicken" Begehrlichkeiten bei anderen Partnern wecken, sich Privilegien zu verschaffen, ohne dafür Verpflichtungen einzugehen. Ohne Beiträge zum EU-Haushalt und Arbeitnehmerfreizügigkeit dürfen sich die Briten kaum Hoffnungen auf weitreichende Erleichterungen beim Marktzugang zur EU machen.
Welche No-Gos sind gefallen?
Ein paar heilige Kühe der Brexit-Puristen werden geschlachtet, etwa das Nein zur dynamischen Angleichung an EU-Regeln für Lebensmittelstandards und die Ablehnung des Europäischen Gerichtshofs als Schiedsrichter bei gemeinsamen Vereinbarungen. Das soll den Handel mit Lebensmitteln über den Ärmelkanal und auch zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs wieder erleichtern.
Wo wird die Zusammenarbeit sonst noch enger?
Grundsätzlich beschwören London und Brüssel mit dem Abkommen auch ihr Bekenntnis zum freien Welthandel und den Regeln der Welthandelsorganisation WTO – und positionieren sich damit gegen die Linie von US-Präsident Donald Trump.
Ebenfalls Annäherungen soll es bei den Themen Energie und Emissionshandel sowie im Kampf gegen irreguläre Migration geben. Auch hier ist die Vereinbarung aber nur die Grundlage für weitere Verhandlungen.
Der Gipfel in London war der Erste seit dem EU-Austritt Großbritanniens.
Enger kooperiert werden soll unter anderem bei den Themen Sicherheit und Verteidigung, Lebensmittelstandards, Energie, Migration.