Diese Boxen helfen, das Klima zu retten: Mit Containern werden Schiene und Straße perfekt kombiniert. Zum Tag der Schiene zeigt das Umschlagterminal, warum das nicht einfach ist.
Lange Reihen und hohe Stapel von bunten Boxen – der Blick vom Kran im Terminal Kornwestheim.
Von Andreas Geldner
Von der Krankabine in zehn Metern Höhe aus gesehen, füllen braune, orangene, grüne, gelbe und pinkfarbene Blechkisten das ganze Blickfeld. Direkt unter dem Portalkran liegen die Gleise mit langen Reihen bunt beladener Waggons, daneben lagern weitere Container. Rechts im Hintergrund sieht man Leercontainer, die wie Legosteine bis zu acht Etagen übereinander gestapelt sind.
Hunderte von Lastwagen am Tag
Kornwestheim ist in Deutschland nur ein mittelgroßer Umschlagplatz. Aber auch hier rollen täglich drei- bis vierhundert Lastwagen zum Umladen an. Im Gegensatz zum sonstigen Bahngüterverkehr stehen die Zeichen auf Wachstum. Vor dem Kran wirbt ein großes Poster für das dritte Modul des Umschlagbahnhofs, das die Kapazität von 175 000 auf 248 000 Container im Jahr steigern soll. Ende November geht es in Betrieb. Zum Tag der Schiene öffnet das Terminal am 19. und 20. September seine Pforten. Das Interesse an dem Thema ist groß: Die Touren waren im Vorfeld ganz schnell ausgebucht.
Eigentlich ein Patentrezept: Die Stärken von Straße und Schiene verbinden und gerade auf langen Strecken Umwelt und Klima schonen. Containerzüge fahren elektrisch und sie können so viele Container befördern wie 50 bis 60 Lastwagen. Doch ein neuer Italienverkehr namens „Stuttgart Express“, der Mitte September von Kornwestheim aus dreimal in der Woche an den Start geht, zeigt die Kluft zwischen ökologischer Theorie und ökonomischer Praxis.
Schiene statt Schiff
Vor zwei Jahren nahm der in Singapur beheimatete Hafenterminalbetreiber PSA schon einmal einen Anlauf zu einem Zug nach Genua am Mittelmeer. Bisher führen von Stuttgart aus die Wege zur Nordsee, nach Hamburg, Bremerhaven, Wilhelmshaven oder Rotterdam. „Alle haben gesagt, dass sie nur auf so etwas gewartet haben“, sagt Dirk Mrotzeck, der für PSA den deutschen Markt betreut.
Das Mittelmeer ist so nah wie die Nordsee
Genua ist mit knapp 700 Kilometern nicht weiter weg als Hamburg – und von dort ist über den Suezkanal etwa der Weg nach Asien kurz. „Wenn man aber potenziellen Kunden mit Italien kommt, dann ist das ungewohnt“, sagt Mrotzeck. Alle Zusagen und Ankündigungen halfen nichts, am Ende fehlten die Kunden. Aber nun, so glaubt der PSA-Vertreter, sei die Zeit reif. Die Häfen an der Nordsee seien überlastet, der Rhein führe wegen des Klimawandels weniger Wasser – schlecht für Container-Binnenschiffe zur Nordsee. „Generell will man heute krisenfester sein und sucht Alternativen“, sagt Mrotzeck. Er erinnert daran, wie 2017 in Rastatt der Einsturz eines neuen Tunnels beim Ausbau der Rheintalbahn die wichtigste Container-Transportachse in Europa von heute auf morgen für Wochen kappte. Eröffnet ist das Bauwerk selbst acht Jahre nach dem Desaster noch nicht. Auch das neue Terminal in Kornwestheim stieß auf Proteste der Anwohner.
Italien legt bei der Infrastruktur vor
Die Italiener laufen gleichzeitig den Deutschen bei der Infrastruktur den Rang ab. Genua besitzt einen recht neu ausgebauten Containerhafen. In zwei Jahren wird eine neue Bahnstrecke zwischen Genua und Mailand eröffnet. Zudem erhöhe Deutschland die Schienen-Maut für Güterzüge massiv, sagt Mrotzeck: „Wir sind froh, dass unsere Strecke in Deutschland kurz ist und wir schnell in der Schweiz sind.“
Cargobeamer fährt seit Februar
Und noch etwas spricht für den Weg nach Süden: Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) liegen auf der Verbindung bei 88 Prozent Pünktlichkeit. Bei der Deutschen Bahn sind aktuell nur zwei von drei Güterzügen pünktlich. PSA teilt sich den Zug mit einem Kooperationspartner, der Dreiviertel der Waggons im Zug stellt. Das Partnerunternehmen Cargobeamer aus Leipzig fährt schon seit Februar von Kornwestheim aus nicht ans Mittelmeer aber ins norditalienische Domodossola an der Schweizer Grenze. Dort werden nun die Container Richtung Genua umgeladen.
Neuartiges Zug-Sharing
Die Besonderheit: Cargobeamer bietet eine innovative Ladetechnologie an, die es erlaubt, dass auch die 95 Prozent der Lastwagenauflieger, die nicht fürs Umladen per Containerkran geeignet sind, auf den Zug können. Noch gibt es in Kornwestheim keine voll ausgebaute Verladeanlage, man nutzt hilfsweise eine Art Gabelstapler. „Da wir Sattelauflieger nicht stapeln können, brauchen wir Platz – aber dafür ist unser Umschlag sehr leise“, sagt Raua Auat der Verkaufs-Repräsentant von Cargobeamer.
Deutsche Verspätung bei Innovationen
Verspätungen kennt man bei Cargobeamer nicht nur von Zügen. „In Deutschland haben die Controller die Macht übernommen. Was nicht binnen zwei bis drei Jahren zum Produkt gereift ist, hat kaum eine Chance.“ Das sagte der Mannheimer Ingenieur Michael Baier, der das Unternehmen mitgegründet hat: „Hier zu Lande treffen sie die Leute, die sozusagen die ersten Zweiten sein wollen: Erst wenn es funktioniert, interessieren sie sich dafür.“
Das war vor 20 Jahren, im März 2006, als er dies im Gespräch mit unserer Zeitung beklagte. Baier warb damals vergeblich um Fördergelder des Verkehrs- oder Forschungsministeriums. Bis zu seinem Ruhestand vor zehn Jahren hat er abseits einer kurzzeitigen Pilotanlage bei VW von 2013 bis 2016 keine Eröffnung eines voll ausgestatteten Terminals erlebt.
Zwei Jahrzehnte langer Atem
Dass die Technologie am Ende doch den Durchbruch geschafft hat, lag am französischen Staat. Der förderte 2021 die erste Umschlaganlage in Calais. Noch einmal vier Jahre später soll nun der Bau des ersten voll ausgebauten deutschen Terminals beginnen, in Kaldenkirchen an der deutsch-niederländischen Grenze.
Jetzt gibt es auch in Deutschland 50 Millionen Euro Fördergelder, die vier Fünftel der Kosten abdecken. Er sei zuversichtlich, dass nun der Durchbruch geschafft sei, sagt Cargobeamer-Vertreter Auat.
Events zum „Tag der Schiene“
Bahn-ErlebnisweltAm 20. September gibt es auch in der Stuttgarter Königstraße eine Erlebniswelt rund um den Nah- und Regionalverkehr, die von den Nahverkehrsakteuren in der Region, unter anderem der Landes-Mobilitätsmarke „Bwegt“, dem Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS), der S-Bahn Stuttgart oder den Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) veranstaltet wird.
Verlosung für Leser Exklusiv für Abonnentinnen und Abonnenten unserer Zeitung verlost die Landes-Mobilitätsmarke Bwegt auch zehn Deutschlandtickets, die ein volles halbes Jahr gültig sind – ein Gegenwert von 348 Euro.
Um an der Verlosung teilzunehmen, muss man eine der teilnehmenden Zeitungen der Zeitungsgruppe Stuttgart abonniert haben, also etwa die Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten, die Esslinger Zeitung/Cannstatter Zeitung/Untertürkheimer Zeitung oder die Kreiszeitung Böblingen sowie andere Blätter der Region. Man kann dafür jederzeit noch ein Abo abschließen, auch nur für online, und ist dann teilnahmeberechtigt. Bedingungen sind hier zu finden: https://www.zeitung-erleben.de/schiene
Links ausgeladene oder zur Beladung bereitstehende Container, in der Mitte die langen Gleise mit den Güterzügen.
Ein Kranführer braucht eine ruhige Hand und einen präzisen Blick,
LKW stellen sich unter dem Kran an.
Das Umladen dauert kaum länger als eine Minute.
Die innovative Ladetechnik von Cargobeamer: Wannen, die jeden beliebigen LKW-Aufleger verladbar machen.
Ein LKW bringt (an einem anderen Standort) einen Auflieger zum Waggon.
Ein Cargobeamer-Zug auf dem Weg nach Italien – mit Schweizer Alpenpanorama.