Wo junge Texte wachsen und gedeihen

In der Grundschule Fornsbach gehört die Schuldruckerei von Anfang an zum Unterricht dazu. Die Kinder lernen durch das Setzen der einzelnen Buchstaben den Aufbau von Wörtern, Sätzen und Texten. Am Ende steht ein selbst gedrucktes Werk, das für die Klassen als Buch gebunden wird.

Von Christine Schick

Wo junge Texte wachsen und gedeihen

Für Schulleiterin Monika Pietron (links) und das Kollegium bedeutet die Integration der Schuldruckerei in den Alltag viel Mehrarbeit, aber die zahlt sich ihrer Einschätzung nach für die Kinder und den Lernprozess ganz klar aus. Fotos: Stefan Bossow

Von Christine Schick

Fornsbach. Leonie ist schon sehr weit, hat ihren Text fast fertig, stellt aber fest: „Ich brauch noch zwei Ls.“ Weil in ihrer Schriftgröße 28 gerade keine mehr verfügbar sind, schaut Monika Pietron, Leiterin der Grundschule Fornsbach, ob sich vielleicht auch Buchstaben eines ähnlichen Schrifttyps verwenden lassen. Nico steht an einem der großen Holzkästen, in denen die einzelnen Bleibuchstaben nach dem Alphabet einsortiert sind, und setzt sein Elfchen – ein kurzes Gedicht – über die Faschingszeit. Die einzelnen Buchstaben wandern nach und nach in einen Zeilenrahmen. Der wiederum liegt auf einer eingefassten Platte, die im Fachjargon „Schiff“ genannt wird.

Nico arbeitet konzentriert, das Zusammenfügen muss wegen des späteren Drucks ja spiegelverkehrt erfolgen. „Mit einem Spiegel kann er schauen, ob die Buchstaben alle richtig gesetzt sind“, erklärt Monika Pietron. Auch die anderen Erst- und Zweit- sowie Viertklässler werkeln an ihren Texten. Einzelne können sich später an den letzten Schritt – den Druck an der Presse – machen. In der Druckerei der Grundschule ist an diesem Vormittag jedenfalls eine Menge los. Für die Kinder und das Kollegium gehört das Tüfteln dort ganz selbstverständlich dazu, es ist Teil des Lernprozesses rund ums Lesen und Schreiben.

Die Kinder bauen die Wörter Buchstabe für Buchstabe und lernen Genauigkeit

Was sind die Vorzüge solch einer mittlerweile schon historisch anmutenden Technik? Für Monika Pietron ermöglicht das Arbeiten damit ganz grundlegende Schritte, die pädagogisch wertvoll sind und sich in dieser Intensität kaum anders vermitteln lassen. „Die Kinder bauen die Wörter Buchstabe für Buchstabe auf, lernen, welche Laute das Wort ausmachen. Das hilft auch bei der Rechtschreibung sehr“, sagt sie.

Hinzu kommen Regeln wie dass, wenn ein Vokal kurz gesprochen wird, zwei Konsonanten folgen, wie beispielsweise bei „Mutter“. Gerade der Aspekt, dass jeder einzelne Buchstabe mit der Hand hinzugefügt wird, macht das Wort auf dieser Ebene begreifbar(er). „So muss nicht alles nur übers Auge laufen. Nicht jeder hat ein starkes visuelles Gedächtnis und man kann sich die Buchstabenabfolge noch mal anders erarbeiten und merken.“ Auch wenn die Mädchen und Jungen damit die entscheidenden Schritte selbst und im eigenen Tempo machen können, braucht es viel Begleitung beim Arbeiten in der Druckerei sowie im Vorfeld. Das fängt damit an, dass die Texte der Kinder schon angeschaut, korrigiert und teils auch noch einmal inhaltlich überarbeitet sein müssen. „In der 4. Klasse tippe ich Aufsätze noch mal ab“, erzählt die Schulleiterin. „Und wir besprechen, wo es vielleicht Ergänzungen braucht, beispielsweise beim Anfang oder Schluss. So entstehen richtig gute Texte.“ Hinzu kommt die gestalterische Arbeit am späteren Werkstück, angefangen von der Frage nach der Druckfarbe über ein ästhetisches Schriftbild bis hin zu zusätzlichen passenden Bildelementen.

Das heißt, es bieten sich auch verschiedene weitere Techniken wie Linoleumschnitt oder Styropor-, Milchtüten- und Kordeldruck an. Dafür lassen sich auch ganz verschiedene Materialien verwenden; Monika Pietron zeigt auf Motive einer Tapete, die neue Kolleginnen bei einer Einführung rund um die Schuldruckerei ausprobiert haben. Ganz wichtiger Abschluss ist, dass die Werkstücke am Ende alle gesammelt und in einer gemeinsamen Fibel für die Klasse gebunden werden und so jedem Kind zur Verfügung stehen.

Eine erfahrene Kollegin begleitet zusätzlich an einem Vormittag

Um die Kinder möglichst gut zu begleiten, ist neben dem Kollegium der Schule zudem Elisabeth Reischl vom Förderprogramm ,,Lernen mit Rückenwind“ regelmäßig einmal die Woche mit von der Partie. Die pensionierte Lehrerin unterstützt die Mädchen und Jungen bei allen Schritten. Sie hat wie Monika Pietron den Einsatz der Schuldruckerei bereits an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg kennengelernt und selbst viele Jahre mit dem Konzept gearbeitet. „Die Kinder sehen später, was sie geschafft haben. Die Arbeit ist auch anstrengend, erfordert Konzentration und Ausdauer“, sagt sie. „Dass sie am Ende ein Buch in den Händen halten, ist für sie toll.“

Im Moment steht sie bei Lukas und Gwen aus der 4. Klasse an der Druckerpresse. Gwen fährt mit der Rolle über den fertigen Bleisatz, dessen Buchstaben danach leicht blau schimmern, dann zieht Lukas die Walze über das aufgelegte Blatt und wieder zurück. Der fertige Druck wird wie die anderen mit einer Wäscheklammer an einer Leine zum Trocknen aufgehängt. Daneben stehen Samuel und Jonas auf zwei Stühlen. Sie sind schon beim letzten Akt angelangt. „Wir setzen unsere Geschichte zurück“, erklärt Samuel. Das wiederum bedeutet, nun die einzelnen Wörter Buchstabe für Buchstabe auseinanderzunehmen und die Lettern in die jeweiligen für sie vorgesehenen Kästchen zu legen. Dabei lässt sich nebenbei lernen, dass man manche der Buchstaben wie E, N oder M viel öfters braucht. Während Nico mit Elisabeth Reischl seinen Text an der Presse einrichtet und zur letzten Kontrolle ein erster Probedruck gemacht wird, geht es für einige Kinder zurück in die Klassenzimmer. Dort warten neue Themen, von denen sich das eine oder andere vielleicht wieder in ein Elfchen oder eine Geschichte packen lässt.

Wo junge Texte wachsen und gedeihen

Elisabeth Reischl unterstützt bei der Arbeit.

Wo junge Texte wachsen und gedeihen

Das Werk ist vollbracht, jetzt muss die Farbe nur noch trocknen.

Die Schuldruckerei geht auf ein Konzept des französischen Pädagogen Célestin Freinet zurück

Konzept Die Schuldruckerei als pädagogisches Unterrichtsmittel geht auf den Pädagogen Célestin Freinet zurück. Er erwarb 1923 eine Druckpresse, um Texte der Schüler veröffentlichen zu können. In den Folgejahren baute er die Arbeit aus und nach und nach ersetzten diese freien Texte die herkömmlichen Schulbücher. Die Konzeption geht davon aus, dass Aspekte wie die Zusammenarbeit der Schüler sowie das genaue und spiegelverkehrte Arbeiten die geistige Beweglichkeit fördern. Nicht zuletzt unterstützt das Endprodukt das Dranbleiben nach dem Motto: Wer will schon einen fehlerhaften Text, einen Fehldruck, veröffentlichen?

Druckerei Die Grundschule Fornsbach verfügt seit rund 20 Jahren über eine Schuldruckerei. Ermöglicht wurde dies, als Susanne Bühler, damals Rektorin der Grundschule Oberrot, bei Monika Pietron anfragte, ob sie ihre Schuldruckerei übernehmen wolle. So kamen die Bestandteile der Druckerei, die früher bei der Gaildorfer Rundschau und Passauer Zeitung im Einsatz waren, nach Fornsbach. Beim Arbeiten tragen die Kinder einen Kittel oder andere ältere Textilien, die vor dem Raum bereithängen, denn die Druckerfarbe ist so gut wie nicht mehr aus den Kleidern zu entfernen. Ebenso zu beachten ist, dass sie sich nach der Arbeit mit den Buchstaben gründlich die Hände waschen, damit keine Spuren von Blei an der Haut zurückbleiben. Das ist besonders wichtig, wenn sie danach etwas essen.