Visionäre Klänge, tänzerische Rhythmen
Kantor Gottfried Mayer interpretiert fantasievolle Tonkunstwerke zum Thema „Auferstehung, Licht und Leben“ beim vierten Konzert des Internationalen Orgelzyklus in der Murrhardter Stadtkirche.
Von Elisabeth Klaper
MURRHARDT. In faszinierende, sphärisch schwebende, überirdisch wirkende Klangwelten entführt Kantor Gottfried Mayer viele Zuhörer beim vierten Konzert des Internationalen Orgelzyklus in der Stadtkirche. Sensibel, stilvoll und virtuos interpretiert er Werke vom Barock bis zum 20. Jahrhundert und bringt das enorm vielseitige Register-, Klangfarben- und Effekt-Instrumentarium der Mühleisen-Orgel zum Klingen.
Zur Einstimmung präsentiert Mayer eine Auswahl der heitersten Werke von Johann Sebastian Bach. Besonders reizvoll klingt die „Gavotte II ou la Musette“ aus der englischen Suite: Mit folkloristischen Elementen und liedhafter Melodik gestaltete Bach diese Gavotte als heiteren Schäfertanz. „Die Musette ist eine französische Form des Dudelsacks, und die Orgel verfügt über ein gleichnamiges Register, das dem lieblichen, aber auch rauen Klang dieses Instruments sehr nahekommt“, erläutert der Kantor in der kurzen Konzerteinführung.
Im Zentrum des Programms mit dem Thema „Auferstehung, Licht und Leben“ steht Sigfrid Karg-Elerts spätromantische, dritte Sinfonische Kanzone Opus 85,3 aus Fuge, Kanzone und Epilog für Orgel, Violine und vier Frauenstimmen. Ausgehend vom gregorianischen Gesang „Ich glaube an einen Gott“ als Kern vertont der Komponist in dieser Kanzone, einer liedhaften instrumentalen Tondichtung mit Vokalelementen, Anfang und Ende des Glaubensbekenntnisses. Gottfried Mayer gestaltet die vielschichtigen, harmonisch und melodisch überaus reich ausgearbeiteten Klangbögen mit einer Fülle verschiedenartiger Registerkombinationen. So entwickelt und steigert sich das Werk von ganz zarten und leisen, verträumt wirkenden Tonfiguren bis zum prächtigen, monumentalen Sinfonie-Orchester-Klang. Zum besonders eindrucksvollen Hörerlebnis wird das Werk, als im Epilog „Ich glaube an das ewige Leben“ zur Orgel eine Violine mit wunderschöner Kantilene hinzutritt. So vereinigen sich die ästhetischen Orgelharmonien mit Claudia Göltenboths innigem Violinspiel zu einer sphärischen Melodie über den Text, der das Thema des Konzerts vorgibt: „Deine Gnade wird mir geben Auferstehung, Licht und Leben“. Gegen Ende setzen vier engelhafte Frauenstimmen ein, die sich mit der Orgel und der Violine zu einer überirdisch schwebenden Harmonie verbinden. „Aus der Höhe“, vom Aufbau hinter der Orgel aus, singen die Kammerchorsopransängerinnen Rabea Vockeroth und Annika von Bock sowie die Altstimmen der Geschwister Hanna und Elisabeth Jetter ein ausgedehntes, kunstvoll figuriertes „Amen“. Dank dieser erweiterten Besetzung erreicht Sigfrid Karg-Elert eine neue Dimension für die klangliche Darstellung des himmlischen Lichts der Auferstehung, das die Finsternis des Todes erhellt.
Ähnlich visionäre Musik, aber in völlig anderer Form, bringt der Kantor der Stadtkirche zur Entfaltung in Olivier Messiaens „Freude und Klarheit“ aus dem Zyklus „Les Corps Glorieux“, Visionen vom Leben der Auferstandenen. Diese himmlische Freude macht Messiaen akustisch erlebbar in tänzerisch schwungvollen, rhythmisch akzentuierten Akkorden sowie klanglich überschäumenden, kreativen Melodie- und Harmoniegebilden über das Licht und die ewige Herrlichkeit.
In der Oberstimme entwickelt der Organist eine ekstatische, jauchzende Melodie, die zum Teil an exotische oder orientalische Klänge erinnert. Und die mitreißende Rhythmik weist Ähnlichkeiten zu temperamentvollen sakralen Tänzen mit schnellen wirbelnden Figuren und Drehungen auf. Hinzu kommt ein spannender motivischer Ideenaustausch zwischen den Registern Cromorne (Krummhorn) und Oboe, der auch einige dissonante Klangreibungen, chromatische schnelle Läufe und Figurationen einschließt.
Den krönenden Abschluss des Programms bildet eine Hommage zum 150. Geburtstag des Pariser Organisten und Komponisten Louis Vierne, dessen Werk eng mit der Kathedrale Notre-Dame in Paris verbunden ist. Die „Hymne an die Sonne“ ist eines von Viernes Fantasiestücken. Gottfried Mayer bringt ein majestätisches, breit gefächertes Melodie- und Harmoniespektrum zur Entfaltung. Die Komposition ist in noch traditioneller, aber impressionistischer und koloristisch reich ausgeschmückter Klangsprache gestaltet. In dieser Hymne verbindet Vierne seine stark erweiterte Harmonik mit einer Vielzahl von Klangfarbennuancen und facettenreichen, innovativen Akkordkombinationen. Hinzu kommen Erinnerungen an Musikstile früherer Epochen bis hin zur Gregorianik in Form von charakteristischen klanglichen und melodischen Details. Und als i-Tüpfelchen lässt der Kantor in der Schlusskadenz, die gleichsam die Strahlen der Sonne illustriert, die silberhellen Glockenspielelemente des Zimbelsterns glitzern, der sich drehend in der Mitte des Orgelprospekts emporbewegt.
Mit enthusiastischem Applaus dankt die große Zuhörerschar dem Organisten, der Violinistin und den jungen Sängerinnen für das grandiose Konzert.