Wohlfühl- trifft Gemeinschaftsfaktor

Ehrenamtliche des Murrhardter Sommerpalasts erzählen, wie sich Festival und Großprojekt aus ihrer Sicht entwickelt haben

Hinter dem Sommerpalast stehen rund 300 ehrenamtliche Helfer. Nicht wenige nehmen in der Zeit des Murrhardter Kulturfestivals Urlaub, um in der Küche zu schnippeln, den Wok zu schwenken, bei den Bauigeln oder im Spültrupp zu arbeiten. Dieser kleine Kosmos, der über Jahrzehnte entstanden ist, hat keine Probleme, Ehrenamtliche zu finden. Wieso eigentlich? Ein Gespräch mit langjährigen Mitstreitern.

Der Sommerpalast in Murrhardt lebt von den ehrenamtlichen Helfern, die sich um den Auf- und Abbau sowie die gesamte Logistik rund um die Vorstellungen, Künstler, Versorgung und die exquisite Küche kümmern. Genau dieses gemeinsame Tun macht das Festival für sie zu einem ganz persönlichen und unverwechselbaren. Fotos: A. Becher(1)/J. Fiedler(2)/privat (1)

© Pressefotografie Alexander Beche

Der Sommerpalast in Murrhardt lebt von den ehrenamtlichen Helfern, die sich um den Auf- und Abbau sowie die gesamte Logistik rund um die Vorstellungen, Künstler, Versorgung und die exquisite Küche kümmern. Genau dieses gemeinsame Tun macht das Festival für sie zu einem ganz persönlichen und unverwechselbaren. Fotos: A. Becher(1)/J. Fiedler(2)/privat (1)

Von Christine Schick

MURRHARDT. Ganz zu Anfang waren es junge Erwachsene und Jugendliche, die den Sommerpalast als Festival entwickelt haben, dann haben viele selbst eine Familie gegründet und hatten ihre Töchter und Söhne im Schlepptau. „Mittlerweile sind es wieder die Kinder, die ihre Eltern mitbringen“, erzählt Mitbegründer Hardy Wieland. In einer kleinen Runde Ehrenamtlicher wird am Abend darüber sinniert, was den Sommerpalast ausmacht und was sein Geheimnis ist. Schließlich haben viele Vereine eher Probleme, Mitglieder zu halten und zu motivieren. Die Anfänge liegen in den 1990er-Jahren, als klar war, dass das Kino, damals noch Familienbetrieb, aufhören würde. Aus dem Wunsch einer Jugendzentrumsgruppe von Filmbegeisterten, den großen Filmprojektor zu retten, entwickelte sich schließlich das Projekt Kommunales Kino. Im ehemaligen Gebäude am Obermühlenweg entstand die Keimzelle – ein Teil der Engagierten wollte neben Filmvorführungen auch Kleinkunst auf die Beine stellen. Da die Organisation neben dem Kinobetrieb nicht ganz so trivial war, entstand die Idee, einmal im Jahr ein größeres Event zu planen. 1996 war es soweit und der Sommerpalast geboren.

„Das war eine Gruppe von vielleicht 20 Leuten“, erzählt Christopher Schnattinger, der von Anfang an dabei ist. Eine Reihe junger Erwachsener sowie Jugendliche im Alter zwischen 15 und 17 Jahren organisierten das erste Kulturfestival. Bei der zweiten Auflage ist auch die Stadtverwaltung als Veranstalter eingestiegen. Für Hardy Wieland liegt eines der Geheimnisse darin, die Helfer nicht zu überfordern, ihnen Druck zu nehmen und gleichzeitig Freiräume zu schaffen, sodass sie sich wohlfühlen und entfalten können. Dabei denkt er beispielsweise an die mittlerweile äußerst professionell organisierte Küche, bei der rund 1000 edle, selbst gemachte Gerichte pro Tag über den Tresen wandern.

Das Improvisieren und Integrieren neuer Ideen wird zur Routine

Sina Mohr, die heute Sonderpädagogik studiert, nickt. Sie gehört zur zweiten Generation, war sozusagen auch von Anbeginn mit von der Partie – über ihre Mutter. „Wenn ich anderen erzähle, dass ich beim Sommerpalast einfach arbeite, freiwillig über Tage in der Küche stehe, stoße ich manchmal schon auf große Verwunderung. Es ist aber auch schwer zu erklären, der Palast ist nicht nur ein Kulturfestival, sondern ein Gefühl und ein Gemeinschaftsevent.“ Sina Mohr ist mittlerweile im „Finish“ der Sommerpalastküche angekommen, sprich sie zeichnet für die Zusammenstellung der einzelnen Gerichte ganz zum Schluss verantwortlich, verleiht ihnen den letzten Pfiff.

Damit sie und andere diese kreative Freiheit haben, braucht es einen gut organisierten Ablauf, der sich über die Jahre eingespielt hat. Gisela Ott, die in der Festhallenküche die Regie hat, beschreibt das folgendermaßen: „Man erschrickt einfach nicht mehr, wenn was Neues auftaucht.“ Die langjährige Helferin und gelernte Hauswirtschaftsleiterin hat 2007 die Vorküche übernommen und ist entsprechend improvisationserprobt. Dass es in den hinteren Räumen der Festhalle nicht selten wie in einem Bienenstock zugeht, gehört für sie dazu. „Da ist Leben in der Bude, gleichzeitig kümmert sich jeder ganz selbstverständlich um seine Sachen.“ Meist braucht es nur noch Stichworte, dann wisse der andere Bescheid. Dazu gehört die Wertschätzung regionaler Lebensmittel genauso wie das Wissen, mit ihnen auch vegane und vegetarische Leckereien servieren zu können, ohne einen Verlust beim Geschmackserlebnis zu haben. Dass dabei schon Kinder und Jugendliche genauso wie Senioren mithelfen können, ist ebenso selbstverständlicher Teil des Sommerpalasts. Das Abzählen marinierter Steaks motiviert den Nachwuchs, die neuesten Literaturkrimitipps von Hardy Wieland die Runde der Seniorinnen beim Kartoffelschälen für die selbst gemachten Patatas. Und die Altgedienten freuen sich über die Sonnenscheine, die zu ihnen stoßen, wie Hardy Wieland sagt. Zu ihnen gehören beispielsweise der Spanier Pere Vila, seit über 20 Jahren dabei, oder Mohsen Arjomand Karimi, der anfangs durch seine freundliche Begrüßung an der Pfandrückgabe für Freude gesorgt hat.

Die Lust am gemeinsamen Tun packt auch mal die Künstler

„Diese Stimmung überträgt sich auch auf die Gäste, glaube ich“, sagt Gerhard Lehmann. Als seine Schwester ihm vor einigen Jahren erzählte, dass beim Sommerpalast Alt und Jung ganz selbstverständlich zusammenarbeiten, wurde er neugierig. Nun ist er seit sieben Jahren ruhender Pol bei den Bauigeln und als Messebauer mittlerweile Cheflogistiker, was die Hardware der Infrastruktur anbelangt. Die Lust am gemeinsamen Tun packt auch schon mal die Künstler. Gisela Ott berichtet, dass die Festhallenküche schon Musiker gesehen hat, die zwar ihre lange Mähne nach hinten binden mussten, sich dann aber hoch konzentriert ins Kartoffelschälen vertieft haben. In dieses Bild passt auch, dass sich viele Stadtverwaltungsmitglieder sowie Gemeinderäte in die Schichtpläne eintragen.

Also wie lautet die Zauberformel? „Es hat schon damit zu tun, dass einmal im Jahr die Hierarchien ausgeschaltet werden, Menschen, die im Alltag in ganz unterschiedlichen Kontexten unterwegs sind, sich auf Augenhöhe begegnen. Für eine begrenzte Zeit gibt es diesen kleinsten gemeinsamen Nenner. Für ein soziales Gefüge ist es auch wichtig, dass der andere mal von den Problemen des Gegenübers erfährt“, sagt Hardy Wieland.

Auch deshalb findet er es wichtig, dass der Sommerpalast bei bestimmten Dingen wie Details zur Umsetzung des Sicherheitskonzepts von der Stadtverwaltung unterstützt und die große Gruppe an ehrenamtlichen Helfern entlastet wird. „Ganz zu Anfang war das schon auch stressig, wir haben alles selbst gemacht, waren nicht ganz sicher, ob alles läuft, beispielsweise wenn etwas repariert werden musste“, sagt Christopher Schnattinger. Mittlerweile gibt es viele Experten in den eigenen Reihen.

Zudem muss keiner der Helfer ein schlechtes Gewissen haben, wenn er zu einem Festival seine Position einmal nicht ausfüllen kann. Die Gruppe kann das kompensieren, freut sich aber über die Wiederkehr. So viel zum Vorzeigemodell des Ehrenamts, das den Beteiligten einfach verdammt viel Spaß macht – so jedenfalls der Eindruck beim Gespräch.

Sina Mohr holt sich bei Hannes Dietrich Wokgemüse ab – sie hat sich beim Finish eingefuchst.

© Jörg Fiedler

Sina Mohr holt sich bei Hannes Dietrich Wokgemüse ab – sie hat sich beim Finish eingefuchst.

Rainer Jäger gibt als Bauigel alles – diese Gruppe sorgt für die Hardware des Festivals.

Rainer Jäger gibt als Bauigel alles – diese Gruppe sorgt für die Hardware des Festivals.

Gisela Ott und Heike Streubel (von links) beim Sortieren einer Lieferung in der Festhallenküche.

© Jörg Fiedler

Gisela Ott und Heike Streubel (von links) beim Sortieren einer Lieferung in der Festhallenküche.

Info
Eröffnung mit Klezmer

Wenn für die ehrenamtlichen Helfer, Unterstützer, Sponsoren sowie Vertreter der Stadtverwaltung die Zelttaufe am heutigen Mittwoch,17. Juli, über die Bühne gegangen ist, heißt es Vorhang auf für den Sommerpalast 2019. Dort lässt sich festlich speisen und um 20 Uhr eröffnet die „Amsterdam Klezmer Band“ den Reigen der abendlichen Kulturevents.

Weitere Infos rund ums Programm sowie die Angebote im Netz unter der Adresse www.sommerpalast.de.

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Erstellt:
17. Juli 2019, 06:00 Uhr

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