Blick in den Organismus
Wie Altern das Blutsystem von Menschen verändert
Das Reservoir an Blutstammzellen schrumpft mit dem Alter. Es wird zunehmend von Stammzellen dominiert, die mit chronischen Entzündungen in Verbindung stehen.

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„Unsere Blutstammzellen konkurrieren ums Überleben. In der Jugend entsteht durch diesen Wettbewerb ein reichhaltiges, vielfältiges Ökosystem, während im Alter einige vollständig ausfallen“, heißt es in der Studie.
Von Markus Brauer
Eine neue Studie in der Fachzeitschrift „Nature“ erklärt, wie die menschliche Alterung das Blutsystem umgestaltet. Sowohl bei Menschen als auch bei Mäusen verdrängen einige wenige Stammzellklone ihre Nachbarn und übernehmen nach und nach die Blutproduktion.
Das Reservoir an Blutstammzellen schrumpft und wird von Klonen dominiert, die eine Vorliebe für die Produktion von myeloischen Zellen haben, also Immunzellen, die mit chronischen Entzündungen in Verbindung stehen.
Nature research paper: Clonal tracing with somatic epimutations reveals dynamics of blood ageinghttps://t.co/HbGmaOunTt — nature (@Nature) May 21, 2025
Schon ab 50 beginnen die Veränderungen
Die Veränderungen waren im Alter von 50 Jahren nachweisbar. Im Alter von 60 Jahren wurden sie bei fast allen Probanden beobachtet.
Die Forscher vermuten, dass der Verlust der Klonvielfalt dazu beitragen kann, das „Inflammaging“ zu erklären, die anhaltende chronische Entzündung, die im Alter auftritt und uns anfälliger für Krankheiten machen kann. Das Team beobachtete dieses Muster sowohl bei Mäusen als auch bei Menschen. Das deutet darauf hin, dass die Ergebnisse ein grundlegendes Merkmal der Blutalterung bei verschiedenen Spezies sind.
„Unsere Blutstammzellen konkurrieren ums Überleben“
Die Arbeit könnte zu neuen Strategien führen, mit denen Frühwarnzeichen für ungesunde Alterung lange vor dem Auftreten von Symptomen erkannt werden können, um so Krankheiten wie Krebs oder Immunerkrankungen vorzubeugen. Sie eröffnet auch Möglichkeiten zur Untersuchung der Wirksamkeit von Verjüngungstherapien beim Menschen, die bisher vor allem an Tieren untersucht wurden.
„Unsere Blutstammzellen konkurrieren ums Überleben. In der Jugend entsteht durch diesen Wettbewerb ein reichhaltiges, vielfältiges Ökosystem, während im Alter einige vollständig ausfallen“, erklärt Lars Velten, Gruppenleiter am Centre for Genomic Regulation (CRG) in Barcelona und einer der Studienleiter.
Einige wenige Stammzellen würden die Kontrolle übernehmen und besonders hart arbeiten, um dies auszugleichen. Dadurch verringere sich die Vielfalt, was sich negativ auf die Widerstandsfähigkeit des Blutsystems auswirke, so Velten weiter. „Vielfältige Stammzellen können auf unterschiedliche Belastungen reagieren, sodass die Dominanz einer Handvoll Klone das gesamte System anfälliger macht.“
Chemische Markierungen an der DNA im Fokus
In jungen Jahren besitzt jeder Mensch zwischen 50.000 und 200.000 aktive Blutstammzellen, die täglich zwischen 100 und 200 Milliarden neue Blutzellen bilden. Die Wissenschaftler konzentrierten sich auf die Epimutationen. Dabei handelt es sich um Veränderungen der chemischen Markierungen an der DNA – auch DNA Methylierung genannt. Sie hinterlassen einen permanenten, natürlichen „Barcode“, den Forscher auslesen können, um die Position jeder Zelle im Stammbaum zu bestimmen.
„Unsere Zellen tragen genetische Veränderungen, die uns zu einzigartigen Individuen machen. Aber wir sind auch ein Mosaik aus epigenetischen Veränderungen“, erläutert Alejo Rodriguez-Fraticelli, ebenfalls einer der Studienleiter.
Gruppen von Zellen, auch wenn sie letztendlich unterschiedliche Aufgaben erfüllten, würden Methylierungs-Barcodes tragen, die sie mit einer gemeinsamen Vorläuferstammzelle verbinden. „Wir sind endlich in der Lage, den epigenetischen Stammbaum zu erstellen, indem wir Informationen lesen, die direkt in die DNA jeder Zelle geschrieben sind.“
Binärcode für Blutzellen
Die Forscher entwickelten eine neue Technik namens EPI-Clone, mit der Methylierungs-Barcodes einzelner Zellen gelesen werden können. Mit ihrer Hilfe rekonstruierten sie die Geschichte der Blutbildung bei Mäusen und Menschen und konnten so nachvollziehen, welche Stammzellen zur Blutbildung beitrugen und welche im Laufe der Zeit aus dem Rennen ausgeschieden waren.
„DNA-Methylierung funktioniert wie eine Art Binärcode. An jeder Position im Genom ist eine Stelle entweder methyliert oder nicht, wie eine 1 oder eine 0“, berichtet Michael Scherer, Bioinformatiker und Co-Erstautor der Studie.
In jungem Blut trugen Tausende verschiedener Stammzellen zu einem reichen und vielfältigen Pool an roten und weißen Blutkörperchen sowie Blutplättchen bei. EPI-Clone zeigte jedoch, dass bei älteren Mäusen bis zu 70 Prozent der Blutstammzellen zu nur wenigen Dutzend großen Klonen gehörten, verglichen mit etwa 50 Prozent bei jüngeren Mäusen.
Mit 50 übernehmen Klone die Oberhand
Bei Menschen ist das Bild ähnlich, obwohl der genaue Prozentsatz bei den zwölf gesunden Spendern (Alter zwischen 35 und 70 Jahre), die an der Studie teilnahmen, variierte. Die Forscher zeigten, dass mit 50 Jahren viele Blutstammzellen zu verschwinden beginnen und größere Klone die Oberhand gewinnen, während sich dieser Wandel mit 60 Jahren und später noch deutlicher abzeichnet.
„Der Wechsel von Vielfalt zu Dominanz ist nicht zufällig, sondern erfolgt wie ein Uhrwerk“, betont Indranil Singh, Co-Erstautor der Studie. „Mit 50 kann man bereits sehen, wie es beginnt. Nach 60 ist es fast unvermeidlich.“
Wozu die Forschung dienen kann
Ärzte könnten eines Tages, nach entsprechender klinischer Forschung, das Verhalten der Klone zur Früherkennung heranziehen. Sie hätten so die Möglichkeit, die Alterung des Blutstammzellpools einer Person zu überwachen – schon Jahre vor eventuellen Ausbruch einer Krankheit. Menschen mit einem schnelleren Verlust der Diversität könnte zu vorbeugenden Maßnahmen geraten werden.
Die Forscher beobachteten zudem, dass sowohl bei älteren Menschen als auch bei Mäusen viele der dominanten Klone eine Präferenz für die Produktion von myeloischen Zellen zeigen. Dabei handelt es sich um Immunzellen, die mit chronischen Entzündungen in Verbindung stehen.
Präzisionsmedizin gegen das Altern
Frühere Studien an Mäusen hatten gezeigt, dass die selektive Entfernung myeloisch prädominanter Stammzellen ein jüngeres Profil der Blutstammzellen wiederherstellen, die Produktion von infektionsbekämpfenden Lymphozyten ankurbeln und die Immunantwort verbessern kann.
„Wenn wir über generische Anti-Aging-Behandlungen hinausgehen und zu einer echten Präzisionsmedizin gegen das Altern gelangen wollen, ist dies genau das Werkzeug, das wir brauchen“, sagt Lars Velten. „Wir können nur reparieren, was wir sehen können, und EPI-Clone macht dies zum ersten Mal für den Menschen möglich.“
„Wir haben gezeigt, was möglich ist“, resümiert Rodriguez-Fraticelli. „Jetzt geht es darum, EPI-Clone zu verfeinern, um entsprechende Strategien in der klinischen Forschung zu testen.“