Terror in Australien
„Absolute Hölle auf Erden“ – Augenzeugen zum Anschlag am Bondi Beach
Wo sonst Touristen flanieren, herrscht plötzlich Panik. Augenzeugen der Schüsse in Sydney berichten von Szenen wie aus einem Albtraum.
© AFP/MIKE ORTIZ
Die Menschen fliehen weg vom Strand.
Von Barbara Barkhausen
Es ist die vorläufige Bilanz eines Massakers, das Sydney im Mark erschüttert: Mindestens zwölf Menschen, darunter einer der mutmaßlichen Täter, sind bei einem Angriff am Bondi Beach in Sydney ums Leben gekommen. Ein zweiter mutmaßlicher Schütze befindet sich in Polizeigewahrsam, sein Zustand ist bisher unklar. Zahlreiche weitere Menschen wurden verletzt, darunter zwei Polizeibeamte. Zudem wurde am Tatort ein mutmaßlicher improvisierter Sprengsatz (IED) entdeckt, der derzeit vom Bombenentschärfungsdienst untersucht wird.
Was sich in diesen nüchternen Zahlen zusammenfasst, begann an einem Sommerabend, der kaum australischer hätte sein können. Der Bondi Beach ist einer der beliebtesten Strände Sydneys. Er war an diesem Sonntag – bei rund 30 Grad und schon tief stehender Sonne – eigentlich ein Bild der Idylle. Familien saßen im Sand, Kinder spielten am Wasser, Touristen schlenderten entlang der Promenade, als Schüsse die Strandidylle zerrissen.
Hunderte Menschen feierten zusammen das jüdische Lichterfest
In sozialen Netzwerken verbreiten sich Videos vom Tatort: Menschen rennen vom Strand weg, andere liegen am Boden, Ersthelfer knien neben Verletzten. Szenen, die sonst eher mit den USA als mit Australien verbunden werden – einem Land mit strengen Waffengesetzen und vergleichsweise wenig Schusswaffengewalt.
Der NSW-Rettungsdienst wurde nach eigenen Angaben um 18.45 Uhr (Ortszeit) alarmiert. Zunächst bestätigte der Dienst, dass sechs Menschen mit Schussverletzungen in umliegende Krankenhäuser gebracht worden seien. Später folgte die Korrektur, und die Zahlen der Toten und Verletzten stiegen dramatisch an. 25 Rettungseinheiten waren im Einsatz, darunter Hubschrauber.
Besonders brisant ist der Kontext. Zum Zeitpunkt der Schüsse fand am Strand eine Veranstaltung der jüdischen Gemeinde statt, organisiert zur ersten Nacht von Chanukka, dem jüdischen Lichterfest. Hunderte Menschen waren zusammengekommen, viele Familien mit Kindern.
„Die Leute fingen einfach an zu rennen, ihre Kinder zu schnappen“
Alex Ryvchin, Co-Geschäftsführer des Executive Council of Australian Jewry (ECAJ), sagte im Radiosender 2GB, die Schießerei habe sich während dieser Veranstaltung ereignet. Der Mediendirektor der Organisation sei verletzt worden. „Hunderte von Menschen waren versammelt. Es ist eine Familienveranstaltung“, sagte Ryvchin. „Sie hörten dutzende knallende Geräusche. Und die Leute fingen einfach an zu rennen, über Absperrungen zu rennen, ihre Kinder zu schnappen. Es war Chaos.“ Und weiter: „Ich glaube nicht, dass dies ein Angriff war, der zufällig am Bondi Beach stattfand. Ich denke, das war sehr bewusst und sehr gezielt.“
Augenzeugenberichte zeichnen ein Bild von Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten. Ein Zeuge sagte dem öffentlich-rechtlichen Sender ABC, die Schüsse hätten etwa zehn Minuten lang angedauert – „absolute Hölle auf Erden“. Er habe Menschen in Blutlachen liegen sehen. Ein anderer Mann berichtete gegenüber ABC, er habe zwei schwarz gekleidete Schützen auf einer Fußgängerbrücke nahe einem Parkplatz gesehen, die auf die im Park versammelten Menschen gefeuert hätten.
Auch weiter oben, in den Restaurants mit Blick auf den Strand, griff die Panik um sich. Elizabeth Mealey, ehemalige Journalistin und Anwohnerin aus Randwick, saß im Restaurant Icebergs, als sie die Schüsse hörte. „Wir dachten, es sei Feuerwerk, aber das war es nicht. Es war etwas viel Schlimmeres“, sagte sie der ABC. „Die Leute fingen an, den Strand hochzurennen. Es war Panik.“ Premierminister Anthony Albanese sprach noch am Abend von „schockierenden und verstörenden“ Szenen. Auch der Premier von New South Wales, Chris Minns, zeigte sich „zutiefst verstört“ angesichts der Berichte und Bilder aus Bondi.
Im August hatte Australien den iranischen Botschafter ausgewiesen
Die Gewalttat trifft Australien in einer angespannten sicherheitspolitischen Lage. Erst im August hatte Albanese einen diplomatischen Schritt von historischem Ausmaß verkündet: Australien wies den iranischen Botschafter aus – erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg. Zugleich schloss Canberra seine Botschaft in Teheran.
Nach Angaben der Regierung soll der Iran mindestens zwei Angriffe auf jüdische Einrichtungen in Australien gesteuert haben: auf die Adass-Israel-Synagoge in Melbourne sowie auf das Restaurant Lewis’ Continental Kitchen in Sydney. Teheran wies die Vorwürfe zurück. Ob die Schüsse von Bondi in direktem Zusammenhang mit diesen Vorwürfen stehen, ist nicht bekannt. Die Polizei äußerte sich dazu nicht. Doch der Zeitpunkt – am ersten Abend von Chanukka – und der Ort lassen viele Fragen offen.
