Aktivisten wollen Badeverbot im Neckar kippen

Mehrmals im Jahr lädt der Verein „Neckarinsel“ zur sogenannten Critical Nass ein: Dann paddeln die Teilnehmer in Schlauchbooten, auf SUPs oder in Kajaks über den Fluss.

Paddeln auf dem Neckar am Sonntagmittag

© Lichtgut/Christoph Schmidt

Paddeln auf dem Neckar am Sonntagmittag

Von Florian Dürr

Stuttgart - Ole und Tenny paddeln am Sonntagmittag in einem Schlauchboot über den Neckar: rund zwei Kilometer von der Neckarinsel in Bad Cannstatt flussabwärts unter der Eisenbahnbrücke hindurch bis zum Müllheizkraftwerk in Stuttgart-Münster – und wieder zurück. „Wir demonstrieren für das Baden im Neckar“, sagt Ole. Sein Wunsch: Der Fluss soll eines Tages ein echtes Stuttgarter Naherholungsgebiet werden. „Wir fordern mehr Freiheit für die Bevölkerung, den Neckar zu nutzen“, sagt Tenny. Die beiden Männer aus Bad Cannstatt sind zum ersten Mal bei der sogenannten Critical Nass dabei.

Nicht nur die beiden, auch weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer lassen am Sonntag direkt neben der Neckarinsel und dem Wasserkraftwerk Cannstatt ihre Schlauchboote, Kajaks und SUPs ins Wasser. Es ist ein Event, das der Stuttgarter Verein „Neckarinsel“ mehrmals im Jahr veranstaltet. Die Ehrenamtlichen wollen den Fluss wie in anderen Städten in Baden-Württemberg auch in der Landeshauptstadt mehr in das Stadtleben mit einbinden. „Wir wollen baden“, steht in roter Schrift auf einer der Flaggen am Ufer, an denen die Teilnehmer am Sonntagmittag vorbeipaddeln. Oben auf der Eisenbahnbrücke fahren alle paar Minuten S-Bahnen sowie Regional-und Fernzüge vorbei, am gegenüberliegenden Ufer verläuft die viel befahrene B 10, vom Wasserkraftwerk Cannstatt ist das Rauschen des Wassers zu hören.

Aber davon lassen sie sich hier nicht stören – das macht den Flair erst aus: „Man hat hier den ‚urban sound‘, ist umgeben von der Infrastruktur mitten in der Stadt und hat es trotzdem idyllisch. Das Wasser beruhigt“, sagt Hannah Pinell aus dem Vorstand des Vereins, der sich vor zwei Jahren aus einer Initiative gegründet hat. Jede Woche messen sie die Wasserqualität des Neckars. „74 Prozent unserer Proben sind mindestens gut“, berichtet Pinell.

Die rund 40 ehrenamtlichen Vereinsmitglieder wollen auf diese Weise herausfinden, an welchen Tagen das Baden problemlos wäre, eine Art Bade-Vorhersage-System wollen sie entwickeln. „Damit die Leute eigenverantwortlich entscheiden können, ob sie baden oder nicht“, erklärt Pinell. Erlaubt ist bereits heute das Paddeln in Schlauchbooten oder auf SUPs wie am Sonntagmittag, „aber das wissen nur wenige“, sagt Pinell. Das langfristige Ziel des Vereins lautet: das Badeverbot kippen.

Denn seit 1978 darf in Stuttgart offiziell nicht mehr im Neckar gebadet werden. Zu den Gründen zählte neben der Schifffahrt die niedrige Wasserqualität. Auch am Sonntag machen die Ehrenamtlichen darauf aufmerksam, dass sich die Teilnehmenden der „Critical Nass“ auf einer Bundesschifffahrtsstraße bewegen. Deshalb gelte: Schiffe haben Vorrang – und es herrscht wie im Straßenverkehr Rechtsfahrgebot. In vorderster Reihe gibt ein von Vereinsmitgliedern gesteuertes Elektroboot namens „Bernd, das Boot“ die Richtung vor.

Jetzt, nach der letzten „Critical Nass“ dieses Jahres, bereitet sich der Verein allmählich auf den „Winterschlaf“ vor. An zwei Sonntagen bis Ende September wird die Neckarinsel zwar noch einmal geöffnet. Aber dann ist Pause bis April – bevor es im nächsten Jahr wieder mehrere Tage geben soll, an denen auf dem Neckar gemeinsam gepaddelt wird. Ole und Tenny sind dann sicher auch wieder mit ihrem Schlauchboot am Start.

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Erstellt:
15. September 2025, 22:04 Uhr
Aktualisiert:
15. September 2025, 23:54 Uhr

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