Amphetamine und Kokain übers Darknet bestellt

Feinwerktechniker wegen Erwerbs und Besitzes von Drogen zu Bewährungsstrafe verurteilt – Angeklagter zeigte sich gesprächig

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG/MURRHARDT. Es ist nicht einzusehen, warum man sich zum Erwerb von Drogen zur Aufhellung des faden Alltags in Gefahr begeben sollte. Gefahr durch abgelegene Treffpunkte oder Misstrauen erregende Kontaktleute, die einem das Zeug angeblich verkaufen können. Es geht doch heute viel einfacher. Das dachte sich ein 26-jähriger Feinwerktechniker aus Murrhardt. Heute wird doch alles vom heimischen PC bestellt und dann frei Haus geliefert. Und so ließ er sich Amphetamine, Marihuana und Kokain zuschicken. Dummerweise flog die Sache auf, und er handelte sich damit eine Anklage vor dem Schöffengericht Backnang ein. Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Wobei das mit dem Bestellen ja gar nicht so einfach ist. Man muss sich dazu auskennen. Doch was der eine nicht kann, kann der andere. Ein guter Freund des Feinwerktechnikers half. Übers Internet ist nahezu alles zu haben. Aber weil Erwerb oder Besitz erwähnter Substanzen per Gesetz verboten ist, darf man keine Spuren hinterlassen. Deshalb trägt dieser Teil des Internets auch die Bezeichnung des Dunklen. Darknet nennt man es auf Neudeutsch.

Im Januar 2016 fing der Feinwerktechniker an. Und im November 2017 bezog er zum letzten Mal Ware über das Darknet. Erst kleinere Mengen zum Probieren. Dann, wenn sich die Ware als gut erwies, wenn sie glitzerte (bei Kokain) und gut roch, wenn sie gut wirkte, bestellte er auch größere Mengen. Gerade gute Ware, so gab der Angeklagte an, lasse sich in den Hinterhöfen seines Wohnorts nicht ergattern. Man ist geradezu auf das Darknet angewiesen. Ein Kinderspiel sei die Bestellung keineswegs. Man muss Bescheid wissen. Bei der Bezahlung fängt man mit Euros nichts an. Bitcoin ist die Darknet-Währung. Ferner müsse auf dem eigenen PC ein Online-Banking-Zugang eingerichtet sein.

Und auch dies machte der Feinwerktechniker deutlich: Er brauchte die Ware. Gern habe er am Wochenende gefeiert, die Nächte durchgemacht. Und wenn er dann am Montag wieder zur Arbeit gehen sollte und die Müdigkeit von dem durchzechten Wochenende drückte, half etwas Amphetamin, um wieder richtig wach zu werden. Dabei habe der Joint bei ihm genau die umgekehrte Wirkung gehabt: Er half ihm, nach Aufregungen runterzukommen und wieder Gelassenheit zu entwickeln.

Angeklagter gab an, Drogen inzwischen den Kampf anzusagen

Geradezu gesprächig ist der Angeklagte, erzählt offenherzig und detailreich, wie er sein Verlangen nach Drogen gestillt habe. Wie denn gegenwärtig sein Drogenkonsum sei, will die Richterin wissen. Seit Dezember 2017 konsumiere er nichts mehr. Die Bob-Marley-Stimmung sei verflogen. Mittlerweile, so sagt er, finde er „Drogen scheiße“. Er habe ihnen den Kampf angesagt. Ja, er versteigt sich sogar zu dem Satz: „Ich hasse Drogen.“ Er wisse, über die Jahre gehe man daran kaputt. Für Drogen will er nicht mehr sein Geld vergeuden.

Zugegeben, er habe durch seine Abstinenz Freunde verloren. Und ehrlich gesagt: Wenn einer in seiner Gegenwart einen Joint rauche, da werde er auch heute immer noch schwach und bitte darum, auch mal drei Züge tun zu dürfen. Aber danach bereue er es meist gleich, ärgere sich darüber, dass er sich wieder verführen ließ. Auch seinen Zigarettenkonsum will er aufgeben. Denn das Zigarettenrauchen sei dem Jointrauchen zu ähnlich. Und während er dies alles bereitwillig preisgibt, sitzt der Angeklagte, sicherlich unbewusst, mit gefalteten Händen neben seinem Verteidiger.

Ein Polizist, der zu den Ermittlungen aussagt, lüftet das Geheimnis, wie man trotz Bestellung im Darknet auf den Angeklagten kam. In Ulm war es der Polizei gelungen, einen Darknet-Händler zu identifizieren. Auf dessen Kundenliste war auch der Murrhardter gestanden. Bei einer Wohnungsdurchsuchung beim Angeklagten wurde allerdings nur Marihuana gefunden. Es habe sich kein Hinweis ergeben, dass der Angeklagte mit den Rauschmitteln gehandelt habe.

Als die Richterin den Angeklagten zur Person befragt, gibt er an, dass er Probleme mit seiner Lunge habe, eventuell Asthma. Bei vielen größeren und bekannteren Firmen im Rems-Murr-Kreis sei er als Leiharbeiter tätig gewesen. Sein gegenwärtiger Arbeitsvertrag laufe mit dem Verhandlungstag aus. Aber er wolle nun „auf Dauer erwachsen werden“. Nein, so antwortet er der Richterin, einen professionellen Entzug habe er nicht versucht, sondern es mit eigener Willenskraft versucht. Bis auf die wenigen Momente, wo er durch Marihuanaduft schwach werde.

Das Plädoyer des Staatsanwalts fällt milde aus. Der Angeklagte habe sich des Erwerbs und des Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig gemacht. Er sei geständig, habe keine Vorstrafen und der Erwerb der Betäubungsmittel diente nur dem Eigenkonsum. Niemand anderes sei zu Schaden gekommen. Weiter lägen die Straftaten lange zurück.

Strafe muss auch Hilfe sein, ins Leben wieder zurückzufinden

Aber der Gesetzgeber habe nun mal den Erwerb und Besitz von Rauschmitteln dieser Art unter Strafe gestellt. Ein Jahr Gefängnis fordert er, natürlich auf Bewährung. Dazu als Auflage Drogenberatungsgespräch und das Ableisten gemeinnütziger Arbeit. Der Verteidiger hat dem nicht viel hinzufügen. Die Strafforderung des Staatsanwalts bejaht er. Und im Übrigen habe sein Mandant heute „geplaudert wie ein Wasserfall“.

Beim Schöffengericht geht es mit einer äußerst kurzen Beratung ab. Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln wird mit einem Jahr Gefängnis auf Bewährung geahndet. Sechs Termine bei der Suchtberatung soll der Verurteilte wahrnehmen, dazu 80 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Es ist zu spüren, was der Rechtsanwalt des Angeklagten zuvor betont hatte: Eine Strafe müsse Hilfe sein, um wieder ins Leben zurückzufinden.

Zum Artikel

Erstellt:
4. Juni 2019, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Lesen Sie jetzt!

Murrhardt und Umgebung

Ein Treffpunkt in stetigem Wandel

Kommunalwahl 2024 Die Stadt versucht, Handel, Dienstleister und weitere Innenakteure zu unterstützen – beispielsweise mit einem Programm für Neugründungen. Auch Aktionen, Veranstaltungen und gute Rahmenbedingungen sollen das Zentrum stärken und attraktiv halten.

Murrhardt und Umgebung

Das Rathaus hatte auch einen Tanzboden

Beim ersten Geschichtstreff des Jahres berichtet Historiker Andreas Kozlik über seine aktuellen historischen Forschungen zur Stadt Murrhardt in der Zeit zwischen dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs 1648 und dem Stadtbrand 1765. Ein Steuerbuch erweist sich als ergiebige Quelle.

Murrhardt und Umgebung

Junge Zukunftsvisionen für ein buntes Europa

Bei der Preisverleihung zum 71. Europäischen Schülerwettbewerb werden 14 Mädchen und Jungen der Walterichschule Murrhardt und 15 der Gemeinschaftsschule Sulzbach an der Murr für kreative Werke zu verschiedenen Themen ausgezeichnet.