Arbeiten wir zu wenig?

Könnten wir auf einen Feiertag verzichten? Die Idee ist unbeliebt – das spricht nicht gegen sie.

Von Eidos Import

Hand aufs Herz: Wer kann aus dem Stegreif die Emmaus-Geschichte erzählen? Wer da passen muss, offenbare eine „erschreckende kulturelle Ahnungslosigkeit“. Zu diesem Urteil kommt Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa. Sie kritisiert mit theologischer Spitzfindigkeit Nicola Leibinger-Kammüller, Chefin der Firma Trumpf, weil diese laut darüber nachgedacht hat, den Ostermontag als Feiertag zu streichen. Christen erinnern an diesem Tag mit Prozessionen an jene biblische Geschichte. Für die Prozessionen interessiert sich kaum noch jemand – den Feiertag nehmen aber alle gerne in Kauf.

Darauf bezieht sich die Unternehmerin. Feiertage, von nur wenige noch wissen, weshalb es sie überhaupt gibt, sind fragwürdig. Sinnvoller wäre es, solche Terminen mit Arbeit zu verbringen. Das würde allen nutzen. Wenn möglichst viele sich mehr anstrengen, könnte Deutschland wieder wettbewerbsfähiger werden, so lautet ihr Kalkül. Ist das eine Sünde?

Die schrille Kritik der Sozialfunktionärin erscheint aus zwei Gründen scheinheilig: Zum einen zählt Leibinger-Kammüller zu der kleinen Minderheit, die zu der einleitenden Frage Profundes zu sagen hätte. Zum anderen sollte allen, denen am Ostermontag gelegen ist, eher die „erschreckende kulturelle Ahnungslosigkeit“ der vielen zu denken geben, die an solchen Tagen gerne frei nehmen, aber sich keinen Deut um den Anlass scheren – geschweige denn eine Messe oder eine Prozession besuchen.

In der Sache zielt Leibinger-Kammüllers Vorschlag auf einen wunden Punkt: Was die Arbeitszeiten angeht, ist Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig. Schweizer arbeiten aufs Jahr gerechnet 200 Stunden länger als wir, Amerikaner 400 und Chinesen sogar 800 Stunden. Deutschland hat die meisten Urlaubs- und Feiertage. Allein schon der Verzicht auf den Ostermontag könnte das für 2026 vorausgesagte Wirtschaftswachstum glatt verdoppeln.

Der sogenannte Kalendereffekt – der Begriff bezeichnet den Umstand, dass Feiertage aufs Wochenende fallen – ist größer als die erwartete Wachstumsrate im kommenden Jahr. Schon dies macht deutlich, wie miserabel es um die deutsche Wirtschaft bestellt ist. Es gibt also handfeste Gründe, darüber nachzudenken, wie sich dieser Zustand wieder ändern ließe. Ein Vorschlag wäre: Indem sich alle, denen das möglich ist, etwas mehr Arbeit zumuten.

Mehr als die Hälfte der Bundesbürger fände das prinzipiell gar nicht schlecht. 56 Prozent stimmten bei einer Allensbach-Umfrage der Aussage zu, „dass wir mehr und härter arbeiten müssen, um den Wohlstand zu erhalten“. Allerdings verflüchtigt sich die Begeisterung recht schnell, wenn es um den eigenen Komfort geht. Nur elf Prozent der Befragten wären für eine längere Wochenarbeitszeit – nicht mehr als sechs Prozent könnten sich damit anfreunden, einen Feiertag zu streichen.

Der von Nicola Leibinger-Kammüller formulierte Denkanstoß ist durchaus heikel – am wenigsten wahrscheinlich wegen sakraler Vorbehalte. Die sind für die allermeisten nicht ganz so wichtig wie die eigene Work-Life-Balance. Dazu kommt: Steuerliche Fehlanreize vergällen vielen die Mehrarbeit. Andere würden gerne länger arbeiten, finden aber keinen Vollzeitjob – oder keinen Kitaplatz für die fragliche Zeit.

Dennoch hat die Firmenchefin recht: Wir müssen uns ernsthaft fragen, ob Deutschland sich den gewohnten Lebensstandard auf Dauer leisten kann, wenn wir deutlich weniger arbeiten als andere. Das gilt zumal dann, wenn die Konkurrenzfähigkeit auch im Hinblick auf andere Produktionskosten, das Bildungsniveau und den Erfindungsreichtum zu wünschen übrig lässt.

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Erstellt:
1. Dezember 2025, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
2. Dezember 2025, 20:44 Uhr

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