Auf der Suche nach der Natur

Philosophische Marktstunde der Volkshochschule Murrhardt bietet Austausch über grundsätzliche Fragen und Themen der Zeit

Es ist eine neue Idee nach altem Vorbild: Der Philosoph Sokrates war einer, der am Morgen die Begegnung mit rede- und diskussionsfreudigen Athenern suchte und sich in Wandelhallen, Gymnastikstätten oder auf der Agora, also dem Markt, mit seinen Mitbürgern ins Gespräch vertiefte, um zentralen Fragen nachzugehen. Gute Idee, gute Vorlage, hat sich Kirstin Krack gedacht und mit Dorit Pusch ein neues Format für ein Volkshochschulangebot entwickelt.

Eine unberührte Natur gibt es so gut wie nicht mehr. Plastikmüll ist allgegenwärtig. Gleichzeitig ist die Trennung von Natur und Mensch, Wildnis und Zivilisation Teil eines alten, sehr dualistisch geprägten Denkens. Foto: Adobe Stock/ panaramka

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Eine unberührte Natur gibt es so gut wie nicht mehr. Plastikmüll ist allgegenwärtig. Gleichzeitig ist die Trennung von Natur und Mensch, Wildnis und Zivilisation Teil eines alten, sehr dualistisch geprägten Denkens. Foto: Adobe Stock/ panaramka

Von Christine Schick

MURRHARDT. Insgesamt sind es drei Gesprächsthemen, die bei der „Philosophischen Marktstunde“ in diesem Semester auf dem Programm stehen. Eingeladen zur freitäglichen Wochenmarktzeit von 10 bis 11 Uhr sind alle Neugierigen, die gemeinsam mit den beiden Fachfrauen Fragen, Haltungen und Phänomene der Zeit einmal genauer anschauen und diskutieren möchten.

Bei der Premiere im Zimmertheater der Volkshochschule stand die Frage „Versteht sich der Mensch (noch) als Teil der Natur?“ im Mittelpunkt. Schon in der Formulierung schwingt ein für das alltägliche Denken so typischer Gegensatz von Mensch und Natur mit. Doch Dorit Pusch erinnert daran, dass der im Grunde genommen passé ist. So etwas wie unberührte Natur gibt es nicht mehr, beide Kategorien scheinen sprichwörtlich zu verschwimmen. „Man findet Mikroplastik in der Antarktis und in den tiefsten Tiefen des Ozeans“, sagt sie. Ähnlich ist es beim Wetter. Ob Hitze oder sintflutartige Regenfälle punktuell noch natürlich sind oder schon zum menschengemachten Klimawandel gehören, lässt sich immer schwerer fassen.

Dorit Pusch und Kirstin Krack werfen ein paar Schlaglichter auf die Denkströmungen in der Philosophie, die Mensch und Natur als Gegensätze gesehen haben, um später moderne Ansätze anzureißen, die davon wieder wegkommen möchten. Vor allem aber soll die kleine Runde, die sich im Zimmertheater der Volkshochschule zusammengesetzt hat, sich austauschen und selbst ins Philosophieren kommen.

Die Abgrenzung des Menschen gegenüber der Natur ist alt. Schon Sokrates, Vorbild fürs neue philosophische Angebotsformat, hat auf die Vernunft im Sinn eines sprachlichen Austauschs gesetzt. „Felder und Bäume wollen mich nichts lehren, wohl aber die Menschen in der Stadt“, zitiert ihn Kirstin Krack.

Für Dorit Pusch steht Immanuel Kant genauso in der Tradition eines dualistischen Denkens, immer mit der Frage verbunden, was sich vom Menschen eigentlich wirklich erkennen lässt. Letztlich liest sie die Überlegungen schon als Zeichen dafür, dass der Kontakt abgerissen ist. Die Gefühle funktionieren noch nach dem Lustprinzip, aber in der Natur ist kein Platz für Freiheit. Denn auch wenn es gelingt, die innere Wildheit im Sinn eines zivilisierten Umgangs und der Moral zu zähmen, bleibt das Natur- und Vernunftwesen ein Gegensatz.

Andere Strömungen scheinen einen Ausweg aus dem Dilemma des Menschen, als Zwitterwesen unterwegs zu sein, gesucht zu haben – Kirstin Krack denkt an die Yin-Yang-Lehre, den Buddhismus oder den chinesischen Philosophen und Weisheitslehrer Laotse und verweist ebenso auf den zeitgenössischen italienischen Philosophen Emanuele Coccia, der sich ganz auf die Welt der Pflanzen, ihre Fähigkeiten und ihren nicht teilbaren Lebenskosmos der Umgebung einlassen will. Ihre Stichworte: eine Vermischung über den Atem, Symbiose, Kooperation.

„Das Bild, über das Atmen miteinander verbunden zu sein, gefällt mir“, sagt eine Teilnehmerin. „Eine Ökobilanz ist zwar technischer, aber der Grundgedanke ist ähnlich.“ Eine weitere Gesprächsteilnehmerin überlegt laut. Zwar sei der Mensch das einzige vernunftbegabte Tier, aber der damit verbundene Gestaltungs- und Herrschaftsanspruch berge große Zerstörungskraft. Eine Erinnerung an die Notwendigkeit des Austauschs und der Symbiose habe das Potenzial, gegenzusteuern und die Welt mit einer anderen Brille zu sehen. Die Diskussion bewegt sich allmählich in die Bereiche, in denen sich der Dualismus noch zeigt, und was sich daraus schlussfolgern lässt. Was bedeutet es für uns, wenn der Wolf wieder am Dorfrand auftaucht, was, wenn die Krabbe mit einem Stück Plastikbecher, der sich in ihrem Panzer verkantet hat, zurechtkommen muss? Empfinden wir uns noch als Teil der Natur?

Es wird zusammengetragen: Die Alterung des Körpers macht einem bewusst, Teil der Natur zu sein. Inwieweit ist der empfundene Schmerz, der bei in der Landschaft hinterlassenem Müll spürbar wird, dem alten Gegensatzdenken geschuldet und steht für ein romantisiertes Naturbild? Geht man vom Modell Coccias aus, das ein ständiges Sich-Vermischen voraussetzt, wäre auch ein Müllablagern eine radikale Form und Konsequenz davon. Was ist von dem Projekt zu halten, den Tod abschaffen zu wollen? Wer gewinnt langfristig die Überhand, wenn der Mensch die Kreisläufe so sehr missachtet und damit sich selbst abschafft?

Dorit Pusch stellt fest, dass das Bild einer guten, unterdrückten und geschändeten Natur möglicherweise eher dem menschlichen Denken entspringt, das vergessen hat, wie grausam sie sein kann. Durch Reflexion und die Praxis eines Dualismus besteht zumindest auch die Möglichkeit, manches abzumildern.

Was bleibt, ist der Wunsch, für die aktuellen Probleme wie Umweltzerstörung und aus der Balance gekommene Ökosysteme eine Lösung zu finden.

Ob ein Ansatz in der Auffrischung und Neugestaltung der Beziehung zur Natur liegen kann, muss sich weisen.

Info
Noch zwei Termine

Im laufenden Volkshochschulsemester besteht noch bei zwei Terminen Gelegenheit, philosophierend miteinander ins Gespräch zu kommen. Am Freitag, 29. November, um 10 Uhr trifft sich die Runde in der Stadtbücherei Murrhardt, Oetingerstraße 1, zum Thema „Was bedeutet Freiheit für mich?“. Das dritte Treffen ist am Freitag, 31. Januar, 10 Uhr. Diese philosophische Marktstunde findet in der Buchhandlung BücherABC, Grabenstraße 23, statt. Auf dem Programm steht dann die Frage „Was ist das wahre Leben?“.

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Erstellt:
13. November 2019, 06:00 Uhr

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