Baubeginn wohl nicht vor zwei Jahren

Für das Hochwasserrückhaltebecken Gaab war zuletzt eine erneute Ausarbeitung der flankierenden Maßnahmen zum Artenschutz notwendig geworden. An aktuelle Infos der Planer und Fachleute schloss sich eine Rückschau und Diskussion im Gemeinderat an.

Der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling trägt die Pflanze im Namen, die für ihn wichtig ist: Die Schmetterlinge ernähren sich vom Nektar des Großen Wiesenknopfs, schlafen, balzen und paaren sich auf ihm. Die bedrohte Art kommt im Plangebiet des HRB Gaab vor. Archivfoto: Johannes D. Mayer/Fotolia

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Der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling trägt die Pflanze im Namen, die für ihn wichtig ist: Die Schmetterlinge ernähren sich vom Nektar des Großen Wiesenknopfs, schlafen, balzen und paaren sich auf ihm. Die bedrohte Art kommt im Plangebiet des HRB Gaab vor. Archivfoto: Johannes D. Mayer/Fotolia

Von Christine Schick

MURRHARDT. Der Name eines seltenen Schmetterlings, der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling, ist in Murrhardt mit den Bauplanungen für das Hochwasserrückhaltebecken (HRB) Gaab verbunden. Vor rund zwei Jahren hatte das Büro Arge Ziebandt Barth im Rahmen des landschaftspflegerischen Begleitplans festgestellt, dass die schützenswerte, bedrohte Art auf der für das HRB vorgesehenen Fläche vorkommt. Zwischenzeitlich hat es allerdings einen Wechsel der Zuständigkeiten gegeben: Die Ausarbeitung des Plans habe beim Umweltschutzamt viele Fragen aufgeworfen, erläutert die Stadtverwaltung in den Unterlagen. „Die Kapazitäten des Büros ließen damals nicht auf eine zeitnahe Erarbeitung der offenen Fragen hoffen, sodass die Zusammenarbeit beendet wurde.“ Übernommen hat das Backnanger Büro Roosplan, das gemeinsam mit dem Ingenieurbüro Riker und Rebmann den Gemeinderat auf den neusten Stand der Planungen brachte.

Julia Popp vom Ingenieurbüro Riker und Rebmann rief die Eckpunkte zum Beckenbau nochmals in Erinnerung. Die Stauanlage in der Nähe des Naturholzwerks Junginger ist auf ein 100-jährliches Hochwasser ausgerichtet, besteht aus einem Absperrbauwerk mit Haupt- und Seitendamm und fasst 447000 Kubikmeter. Die Ausdehnung in die Fläche ist mit 179000 Quadratmetern veranschlagt. Sollte das Hochwasser noch größere Ausmaße haben, kann das Becken weiter Wasser aufnehmen und wird dann auch über die Dammscharte abgegeben, die Schutzwirkung nimmt allerdings ab. Die Ingenieure gehen davon aus, dass bei einem weiteren Anstieg auf 50 Zentimeter und einer Ausdehnung auf 193000 Quadratmeter der Göckelhof aber nicht von Hochwasser betroffen ist, da das Gelände noch rund fünf Meter höher liegt. Um das HRB zu realisieren, sollen die Landesstraße1149 verlegt und zudem zwei Kreisverkehre gebaut werden – an der heutigen Göckelhofkreuzung sowie der Kreuzung von L1066 und der Gemeindeverbindungsstraße in Richtung Fornsbacher Bahnhof.

Den landschaftspflegerischen Begleitplan erläuterte Jochen Roos vom Büro Roosplan. Grundsätzlich gehe es darum, die Umweltverträglichkeit des Vorhabens zu prüfen inklusive Fragen des Artenschutzes. Was die Murr anbelangt, so erwartet er keine grundsätzliche Verschlechterung. Bei der Eingriffs- und Ausgleichsbilanzierung konnten die Planer auf die Ergebnisse des Vorgängers zurückgreifen. Mit Blick auf den Artenschutz wurden zwei Bauvarianten verglichen, die sich laut Roos aber wenig unterscheiden. Klar sei, dass mit dem Bau in ein Naturschutzgebiet eingegriffen wird. Dort kommen der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling und der Große Feuerfalter vor. Das sei nicht mit exotischen Gebieten wie der Serengeti vergleichbar, aber es handle sich durchaus um seltene Arten. Beim Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling, der auf den Großen Wiesenknopf als Pflanze genauso wie auf eine Ameisenart angewiesen ist, da er mit ihr in Symbiose lebt, schlagen die Planer vor, zweigleisig zu fahren. Zum einen soll ein Teil der Wiese vor dem Beckenbau herausgetrennt und an anderer Stelle in der Nähe wieder eingepflanzt werden, zum anderen der Große Wiesenknopf nach Abschluss an den Rändern ausgesät werden, um für den Schmetterling dort wieder gute Bedingungen für eine Ansiedlung zu schaffen. Aktuell liegen die geschätzten Kosten für den Beckenbau inklusive Straßenverlegung bei 13,3 Millionen Euro. Abzüglich der 70-prozentigen Landesförderung und der Beteiligung der drei weiteren Partner des Wasserverbands Murrtal bleiben für die Stadt Murrhardt 3,3 Millionen Euro. Die Planer rechnen – der nächste Schritt ist die Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens mit Beteiligung von Trägern öffentlicher Belange – nicht vor zwei Jahren mit einem Baubeginn, sodass die Fertigstellung frühestens 2025 erfolgt. Vielleicht könne man auch erst in drei Jahren starten, so Rebmann.

Ein Punkt, den Mario Brenner (CDU/FWV) an das Projekt Stuttgart21 erinnerte. Mittlerweile beschäftige man sich schon etwa 15 Jahre mit dem Thema, er sei trotzdem froh, wenn man nun einen Schritt weiterkomme. Mit Blick auf den Brückenneubau in Bartenbach mit Vollsperrung und einer weiteren Baustelle entlang einer Ausweichstrecke appellierte er an die Planer, das Vorhaben vorausschauend auch mit anderen abzustimmen. Edgar Schäf (SPD) kam auf weit über 20 Jahre, die man bereits über Hochwasserschutz spreche. Auch er hoffe, dass es nun vorangehe. Die Planung sei für ihn durchdacht. Zwar habe es anfangs Widerstände gegeben, weshalb man Alternativen geprüft habe. Allerdings wären dann drei bis vier Projekte notwendig geworden und infolge wären einem die Kosten davongelaufen. Wichtige Argumente für die aktuelle Planung sind für ihn eine bessere Verkehrsführung, dass der Göckelhof durch einen Rückstau nicht beeinträchtigt ist sowie dass infolge des Beckenschutzes auch verschiedene bauliche Maßnahmen innerhalb Murrhardts wieder möglich sind, die ansonsten blockiert werden müssten. Gerd Linke (MDAL/Die Grünen) ist bewusst, dass der Beckenbau zu sichtbaren Veränderung der Landschaft führt. Gleichzeitig setzt er darauf, dass durch ihn für die Bürger im Hochwasserfall auch über Murrhardt hinaus bis Backnang der geplante Schutz gewährleistet ist. „Die Bürger hier geben dafür ihren Boden, den sie zuvor genutzt haben“, sagte er und hoffe auf einen guten Ausgleich durch die Flurneuordnung für die Betroffenen. Er erinnerte auch daran, dass das Vorhaben über lange Zeit entwickelt worden sei und viele Besprechungen stattgefunden hätten. „Wir wünschen uns, dass das Projekt in absehbarer Zeit verwirklicht werden kann“, meinte Rainer Hirzel (UL). „Ich hoffe, ich erlebe es noch und dass nicht in der Zwischenzeit die Weststadt bei Hochwasser noch ein paar Mal absäuft.“ Rolf Kirschbaum (CDU/FWV) schlug vergleichsweise nachdenkliche Töne an. Er machte keinen Hehl daraus, sich zu sorgen, dass durch das gigantische Vorhaben mit einer Dammhöhe von rund 6,5 Metern das Landschaftsbild nachhaltig verändert werde.

Sorge ums Landschaftsbild und die Frage, ob es wirklich die günstigste und schonendste Variante ist.

Die Straßenverlegung bedeute für den Verkehr einen Umweg von rund einem halben Kilometer, rechnet man mit Hin- und Rückweg komme man auf einen Kilometer, was letztlich auch mehr Kraftstoffverbrauch bedeutet. Er sehe die Notwendigkeit des Hochwasserschutzes und wolle das Vorhaben nicht verhindern. Gleichsam hoffe er, dass die Planer recht haben, es sei die wirklich günstigste und schonendste Variante. Eine Absperrung der Seitentäler-Zuflüsse, die vor Jahren zu beurteilen gewesen war, sei nicht mit so gravierenden, sichtbaren Eingriffen verbunden.

Bürgermeister Armin Mößner ging daraufhin auf die weit zurückliegende Entwicklung ein, deren Beginn er im Jahr 1994 verortet. Nach einer ersten Untersuchung sei ein Polder bei Hausen mit einem zehn bis zwölf Meter hohen Damm vorgeschlagen worden, und nach einer Variante entlang der Landesstraße1066, die aber auch mit elf Metern Höhe veranschlagt gewesen sei, habe man auf die Konzeption Gaab umgeschwenkt mit besagten sechs Metern Dammhöhe. Was die Frage von dezentralen, kleineren Becken anbelangt, sind für Mößner zwei Parameter ausschlaggebend. Das Einzugsgebiet des Beckens – je größer dieses Gebiet ist, desto flächendeckender ist auch die Schutzwirkung, so Mößner. Und im Vergleich zu Gaab mit 28 Quadratkilometern sei die Alternative mit dezentralen Vorstaustufen im Bereich Mettelbach/Sauerhöfle/Käsbach und etwa neun Quadratkilometern die schlechtere. Dazu käme ein rund 20 Meter hohes Ablassbauwerk. Der zweite Parameter seien die Kosten gewesen, die deutlich höher ausgefallen wären. Insofern wolle man beim Standort Gaab bleiben. Mößner erinnerte an einen lang zurückliegenden Vorstoß, den Standort als Industriegebiet zu überplanen. Auch in dieser Hinsicht hält er das jetzige Vorhaben für besser. „Das mit dem Umweg ist richtig“, sagte der Bürgermeister, aber im Zuge der Zeit gebe es immer wieder Veränderungen auch bei Wegen und dies sollte kein Argument dafür sein, den Beckenbau zu verhindern. Der Mehrweg für eine Reihe von Menschen bedeute auch Hochwasserschutz für viele. Edgar Schäf ergänzte später zum Thema Umweg, dass aufgrund der Kreisverkehre aber auch ein besseres Durchkommen auf der Strecke und insofern wieder eine Kraftstoffersparnis gegenzurechnen sei.

Ralf Nentwich (MDAL/Die Grünen) gab zu Bedenken, dass die Verschiebung des Lebensraums für den Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling nicht ganz einfach sei. Für problematisch halte er in diesem Zusammenhang auch das mehrfache Mähen und Mulchen der Wiesenränder an der Straße, wo das Ausweichgebiet vorgesehen ist. Er befürchte, dass die Sache ähnlich wie für die Zauneidechsen bei Stuttgart21 ausgeht, von denen nur wenige überlebt hätten. Jochen Roos betonte, dass der Mahdzeitpunkt wichtig und die fachliche Handhabung zu kontrollieren sei.

Nach dem einstimmigen Beschluss mit einer Enthaltung ist die Stadt aufgerufen, das Planfeststellungsverfahren für das HRB Gaab einzuleiten und die Flurneuordnung beim Landratsamt anzustoßen.

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Erstellt:
26. September 2020, 06:00 Uhr

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