Staatsgalerie Stuttgart
Bei „Über Kunst“ näher dran an Ben Willikens: Sind Räume Wesen?
Mit unserer Dialogreihe „Über Kunst“ in der Staatsgalerie Stuttgart sind Sie näher dran an den Stars der Kunstszene. Gast am 16. Januar 2026 ist Ben Willikens. Sie können dabei sein.
© Archiv Ben Willikens
Ben Willikens 2024 im Museum Schauwerk vor seinem berühmten Gemälde „Abendmahl“
Von Nikolai B. Forstbauer
Ein heller Bogen auf Grau. Kreidespuren, die ein Volumen bilden, ein fast greifbares Stück Stahl. Einer jener Wohlfühlausgüsse, die zu Tausenden Schwimmbad-Außenbecken in Wohlfühloasen verwandeln sollen? Ein Stück Bettgestell, wie sie heute nur mehr zur filmischen Illustration vormaliger Lazarett-Zeiten Einsatz finden? Diagonal durchziehen weitere Kreideakzente das Grau. Ein Raum bildet sich, die jeweils kurzen Bögen verraten sich als Bettgestelle. Gereiht. Wie eine gegenläufige diagonal gesetzte Folge weißer Tupfer. Keine Lampions. Kaltes Licht aus bedeutungslosen Lampen. Und doch ein Licht. „Archäologie des Schweigens“ nennt der Maler Ben Willikens die Serie, zu der auch diese Szenerie gehört. Blatt 034, „Kreide und Kohle auf grauem Karton“. Willikens ist am 16. Januar Gast in der Dialogreihe „Über Kunst“ unserer Zeitung.
„Ich wollte unbedingt wieder zeichnen“, sagt der als Maler großformatiger Raum- und Architekturszenerien bekannte Ben Willikens. „Zeichnung als etwas ganz Eigenständiges.“ Willikens kehrt in diesen Zeichnungen das Prinzip seiner Bilder, Distanz zu schaffen, um Klarheit zu gewinnen, um. Er schafft Nähe. Unbedingte Nähe. Und dies, um das Ganze erfassen zu können. Willikens legt hier nicht frei, sondern zeigt den Kern eines erst noch zu schaffenden Ganzen.
Zu sehen ist das Blatt 034, sind die neuen Zeichnungen von Ben Willikens in der jüngst in der Galerie Schlichtenmaier in Stuttgart eröffneten Ausstellung „Ben Willikens. Fenster. Archäologie des Schweigens“. Und der Kunsthistoriker Günter Baumann, im Schlichtenmaier-Team für die Schau verantwortlich, sagt: „Die Dinge brechen ihr Schweigen, sind plötzlich präsent.“
Und die Malerei? Die jüngsten Bilder verraten eine Zeitreise – zurück nach vorn. Noch einmal greift Ben Willikens auf seine Fotos aus einer psychiatrischen Klinik zurück, hält jedoch anders als in den frühen 1970er Jahren die Räume und ihre Dinge nicht auf Distanz. Jetzt sind sie Wesen, treten uns durchaus selbstbewusst entgegen. Hier erfindet sich ein Künstler mit 86 Jahren noch einmal neu – und bestätigt so auch das anhaltende Interesse großer Museen an jüngeren Willikens-Arbeiten.
Auch die Staatsgalerie Stuttgart lässt den gebürtigen Leipziger, der einst bei Heinz Trökes an der Stuttgarter Akademie studierte und dessen eigene Hochschullaufbahn ihn bis hin in eine glanzvolle Rektorenzeit an der Münchner Akademie führte, aktuell mit Wucht auftreten. Susanne Kaufmann-Valet, in der Staatsgalerie Stuttgart Kuratorin für die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts, zeigt Willikens’ Auseinandersetzung mit Kurt Schwitters’ Merzbau in der eindringlichen Sammlungsneupräsentation „This is Tomorrow“. Durchaus eine Verbeugung – und zugleich eine ungemein starke Setzung.
Großformatige Werke sind zu sehen; Leihgaben der Ulmer Sammlung Weishaupt. Arbeiten, die Willikens’ Bildidee wie auch ihre sozialen Hintergründe buchstäblich auf den Punkt bringen. „Mein Weg von der Geburt bis zum Beginn meiner Kunst“, sagt Willikens, „war ein Weg der mangelnden sozialen Beziehungen, der zwischenmenschlichen Kälte“. Und: „Ich brauche den Fokus auf den Menschen nicht. Mich interessieren die Spuren, die Raumspuren, die er hinterlässt. Und die sind verwirrend.“
Ben Willikens verarbeitet persönliche Erfahrungen
Sind Räume die besseren Menschen? „Die Verlässlicheren vielleicht“. Und das sagt einer, der doch seit Jahrzehnten als ungemein zugewandt erlebt werden kann? Doch da ist ein Grundton, den Willikens erst jetzt, in den Werken der neuen Serie „Archäologie des Schweigens“ umkehrt, dem er sich in der Nahaufnahme entgegenstellt. „Während meines einjährigen Aufenthaltes in einer geschlossenen Psychiatrie 1969“, sagt er, „fand ich die Formensprache für mein ganzes Leben. Eine persönliche Erfahrung, die mir zum Symbol wurde für ein kollektives Versagen einer Gesellschaft an der Bewältigung der jüngsten Vergangenheit.“
Diese als knapp 30-Jähriger unaushaltbar gewordene „jüngste Vergangenheit“, die zwölf Jahre Hitler-Diktatur und ihre mörderischen wie auch ihre gesellschaftlich lähmenden Folgen, verarbeitet Ben Willikens in den 1970er Jahren in für ihn „anderen Räumen“: „Vom Bunker zum Spital bis zur Folter – und zur Gaskammer. Von der Hölle bis zum Himmel und zurück.“
Die Dunkelheit bleibt; ja, fast scheint es, als wolle Willikens ihr in Serien wie der Auseinandersetzung mit realen architektonischen Zeugnissen der Machtdemonstration der Hitler-Diktatur malerisch auf den Grund gehen. Dafür braucht es Verbündete. Wie Hans J. Baumgart, der als erster Lenker der heutigen Mercedes-Benz Art Collection die „Orte“-Serie unterstützt. „Sich mit diesen Bildern zu beschäftigen“, sagt er, „heißt, auf Spurensuche zu gehen, die aber nie ein Ende findet.“ 2001 kaufte Daimler die „Orte“-Serie an – mit einem klaren Ziel: „Die Serie“, so Baumgart, „musste zusammen bleiben, sie braucht eine schützende Hand und gehört an einen unverfänglichen Ort.“ Als Dauerleihgabe ist sie seit 2005 Teil der Sammlung des Kunstmuseums Stuttgart.
Ben Willikens – international gefragt, in Stuttgart zu Hause
Ben Willikens hat im Palazzo Pitti in Florenz ausgestellt, im Busch-Reisinger Museum in Cambridge, im Deutschen Architektur Museum in Frankfurt oder in der Kunsthalle Weishaupt in Ulm. Und er arbeitet für seine Großformate seit 2009 vorzugsweise in einem ehemaligen Güterbahnhofs-Areal in Wallhausen im Hohenlohe. Und doch bleibt Stuttgart über das Atelierhaus im Kulturpark Berg „immer etwas ganz Besonderes“.
Ben Willikens ist am 16. Januar Gast bei „Über Kunst“
Was fasziniert Ben Willikens an der Malerei? Wie biografisch kann und darf Malerei sein? Was macht die Faszination Raum aus? Und wie wichtig ist für Willikens – nicht nur mit Blick auf die Auseinandersetzung mit Kurt Schwitters’ Merzbau – Malerei als Kunst über Kunst?
Über diese und andere Fragen sprechen wir demnächst in unserer Dialogreihe „Über Kunst“. Mit auf der Bühne dann: Staatsgalerie-Kuratorin Susanne Kaufmann-Valet sowie Günter Baumann, Geschäftsführer der Galerie Schlichtenmaier in Stuttgart und Grafenau.
Über Kunst. Freitag, 16. Januar 2026. Beginn im Vortragssaal des Stirlingbaus der Staatsgalerie ist um 19 Uhr. Der Eintritt ist frei, Ihre Anmeldungen nehmen wir gerne entgegen – unter: www.zeitung-erleben.de/ueberkunst
Ben Willikens erfindet sich neu
