Berechtigtes Parkkonzept oder Abzocke?

Seit Februar gilt auf den Stellplätzen vor der Murrhardter Lidl-Filiale eine Parkzeit von einer Stunde, bei Überschreitung droht eine saftige Gebühr. Der Discounter hat dafür einen externen Dienstleister beauftragt. Nicht bei allen Kundinnen und Kunden kommt das gut an.

Gar keine schlechte Idee: Wenn es möglich ist, zum Einkauf einfach mit dem Fahrrad kommen. Foto: Christine Schick

Gar keine schlechte Idee: Wenn es möglich ist, zum Einkauf einfach mit dem Fahrrad kommen. Foto: Christine Schick

Von Christine Schick

Murrhardt. Hardy Wieland hat vor einiger Zeit vom neuen Park(platz)konzept der Lidl-Filiale an der Fornsbacher Straße erfahren. Zufällig und schmerzlich, ließe sich zusammenfassen. Er erzählt, dass er sich mit seiner Frau an einem Sonntag zu einem Spaziergang entschlossen hatte. Da die beiden mit dem Auto aus verschiedenen Richtungen kamen, haben sie sich auf dem Parkplatz getroffen, ihre Wagen abgestellt und sind von dort aus in Richtung Murrhardt-Alm zu Fuß gestartet. Auf die Idee, dass das irgendwie problematisch sein oder werden könnte, sind sie nicht gekommen.

„Sonntag, Lidl geschlossen, Parkplatz leer“, ihre beiden Autos ausgenommen, erinnert sich Hardy Wieland. Das Ehepaar hat seinen Ausflug genossen – eine Thermoskanne mit Kaffee im Gepäck – und kehrte nach rund drei Stunden zurück. Was folgte, waren allerdings zwei Rechnungen, eine pro Auto, über 35 Euro von der Firma Parkdepot, die den Parkplatz als Dienstleister für Lidl bewirtschaftet. „70 Euro, ein teurer Spaziergang“, stellt Wieland trocken fest und schiebt noch hinterher: „Lieber Lidl, lass doch deinen Parkplatz leer stehen, ich geh eh lieber zum Rewe.“ Mittlerweile weiß er von nicht wenigen Murrhardterinnen und Murrhardtern, die Post von Parkdepot erhalten haben. Die Strafgebühren und Parkplatzbewirtschaftung sind Thema in der Stadt, sagt er.

Vor Ort weisen Schilder auf die Situation hin. 60 Minuten ist die Höchstparkdauer, wird sie überschritten, winkt eine Gebühr von mindestens 20 Euro. „Das ist rein rechtlich alles in Ordnung“, so Hardy Wieland. Ihre Wagen seien auch genau – Typ und Farbe – beschrieben worden. Er gehe davon aus, dass der Platz kameraüberwacht ist. Verstehen könne er auch, dass ein Unternehmen auf seine Kundinnen und Kunden angewiesen ist und insofern darauf achtet, für genügend Stellplätze zu sorgen beziehungsweise diese frei zu halten. „Aber sonntags, wenn der Parkplatz komplett leer ist?“ Als Inhaber einer Kommunikationsagentur kommt er zu dem Schluss, dass „das keinem guten Marketing und keiner guten Unternehmenskultur“ entspricht. Auch unter der Woche sei zu überlegen, ob es die Beschränkung auf die Zeit von einer Stunde braucht. Ein Bekannter jedenfalls habe sich sehr geärgert, als er bei seinem Einkauf länger gebraucht und später entsprechende Post erhalten habe.

Jetzt ließe sich sagen, gut, im Durchschnitt reicht möglicherweise eine Stunde für den Einkauf aus. Aber was, wenn es doch mal länger dauert, beispielsweise vor Feiertagen beziehungsweise wenn viele Menschen in der Filiale sind? Sieht Lidl da nicht möglicherweise auch die Gefahr, seine Kundinnen und Kunden durch solch eine Strafgebühr zu verärgern oder gar zu vergraulen? Isabel Lehmann von der Pressestelle lässt dazu wissen: „Die Kundenzufriedenheit steht für Lidl an erster Stelle. Daher ist es uns wichtig, unseren Kunden während der gesamten Öffnungszeit einen schnellen und bequemen Einkauf sowie ausreichend Parkmöglichkeiten zu bieten. Zu diesem Zweck halten wir entsprechend gekennzeichnete Parkplätze für unsere Kunden frei.“ Auch an Sonn- und Feiertagen gilt diese Regelung „beispielsweise für Warenanlieferungen in unserer Filiale“. Letztere Begründung wirkt allerdings nicht sehr stichhaltig. Die Laderampe vor Ort hat eine direkte Zufahrt, die zwar über den Parkplatz führt, aber nicht über die Stellplätze selbst. Die Pressesprecherin erläutert, dass bei wenigen Filialen die Parkplätze von externen Dienstleistern bewirtschaftet werden, dies und die Bedingungen wie kostenlose Parkzeit durch gut sichtbare Schilder kommuniziert würden. Kundinnen und Kunden müssten dann mit einer Parkscheibe arbeiten, was von Mitarbeitern des Dienstleisters überprüft werde. In der Walterichstadt ist dieses System noch moderner: „An ausgewählten Standorten – wie Murrhardt – ist eine Auslage der Parkscheibe für unsere Kunden nicht mehr notwendig, da ein neues System die Parkdauer mithilfe von Sensoren im Boden erfasst. Bei einer Überschreitung der Höchstparkdauer wird der externe Dienstleister automatisch über das System informiert.“ Darüber könne er auch die Auslastung des Parkplatzes ablesen.

Dass die Bearbeitungspauschale des Dienstleisters bis zu 30 Euro betragen könne, sei Regelungen des öffentlichen Verkehrs angepasst. Dies beziehe sich aber auf eine deutliche Überschreitung der Parkzeit. Das trifft wohl auf den geschilderten Fall von Hardy Wieland zu, allerdings lag da die Bearbeitungspauschale bei 35 Euro.

Isabel Lehmann führt noch Karenzzeiten ins Feld, die es über die freie Parkzeit hinaus ermöglichten, Ergänzungseinkäufe in den nahe gelegenen Einzelhandelseinrichtungen sowie längere Einkäufe an sich zu erledigen. Zwar macht sie zu diesen Karenzzeiten keine konkrete Angabe, erläutert aber auch, dass die Gebühr im Zweifelsfall auch storniert werden kann, „sollte durch den Lidl-Kassenzettel eine längere Einkaufsdauer nachgewiesen werden können“.

Also vielleicht zur Sicherheit die Kassenzettel längere Zeit aufbewahren. Gibt es Bedenken, dass bei manchen Kundinnen und Kunden vielleicht doch der Eindruck entstehen könnte, die Sache riecht ein wenig nach Abzocke, und die Praxis fürs Image möglicherweise doch nicht so zuträglich ist? Die Pressesprecherin lässt jedenfalls noch wissen: „Die vollständige Abwicklung aller im Zusammenhang mit dem Verwarnungsgeld stehenden Modalitäten erfolgt dabei ausschließlich durch den Dienstleister. Lidl profitiert nicht von dem Verwarnungsgeld. Mit dieser Vorgehensweise, zwischen Lidl-Kunden und Falschparkern zu differenzieren, haben wir gute Erfahrungen gemacht.“ Zu letzterem Punkt sollte man wissen, dass das beauftragte Unternehmen dieses Argument in den Mittelpunkt stellt. Ein Scannersystem erfasst durchgehend (Stichwort 24/7) die Kennzeichen der Fahrzeuge bei Ein- und Ausfahrt. „Dabei wird die maximale Parkdauer automatisiert ermittelt und Nichtkunden werden herausgefiltert. So wird auch zu Stoßzeiten wertvoller Parkraum für Ihre Kunden freigehalten“, heißt es auf der Homepage.

Bleibt die Frage, wie die Kundinnen und Kunden diese Praxis wahrnehmen. Eine Stichprobe, die natürlich nicht repräsentativ ist, vermittelt den Eindruck, dass es drei Fraktionen gibt: Kundinnen und Kunden, die das Parkkonzept nicht groß stört, und solche, die das Vorgehen nicht gut finden. Eine dritte Gruppe hat noch gar nicht bemerkt, dass sich dort seit 16. Februar etwas verändert hat. Zu Letzterer gehört Martin Stierand, auch Stadtrat in Murrhardt, der zufällig vorbeikommt. Er ist überrascht über die Parkzeitbegrenzung und spürbare Gebühr bei Überschreitung. Das erinnere ihn an die Regelung bei Rossmann in Backnang. „Die haben aber auch relativ wenig Parkplätze, das ist hier anders. Ich finde das nicht nötig, das steht nicht im Verhältnis“, sagt er und ergänzt, kein eigentlicher Kunde der Filiale zu sein.

Nadine Wiederhöft, die aus der Nachbargemeinde Großerlach zum Einkaufen kommt, findet diese Praxis nicht gerade freundlich. „Andere Märkte stellen ihre Fläche ja sogar zur Verfügung, dass dort beispielsweise ein Flohmarkt stattfinden kann“, sagt sie. Die Folge von solchen Reglementierungen könne sein, dass der Parkdruck auf Wohngebiete weiter wächst, und das Unternehmen sollte im Gegenteil helfen, dass genau das nicht passiert.

Ein Kunde aus Murrhardt sagt im Vorbeigehen: „Eine Stunde ist okay, so viel Zeit will ich beim Einkaufen in der Filiale ja gar nicht verbringen.“ Auch eine Kundin aus dem Teilort Alm kommt mit der kostenlosen Parkdauer zurecht, sie schätzt, dass sie rund 20 Minuten für den Einkauf braucht. Eine Fornsbacherin, die durch die Frage auf die Situation aufmerksam wird, differenziert. Oft müsse es im Alltag beim Einkaufen schnell gehen, da sei das kein Problem. „Aber bei einem Großeinkauf und wenn ich mit den Enkelkindern unterwegs bin, könnte das knapp werden“, sagt sie und dass ihr das überhaupt nicht passe.

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Erstellt:
23. Juni 2022, 06:00 Uhr

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