Blatten im Wallis
Bergsturz erhöht Druck auf Gletscher oberhalb von Schweizer Dorf
Ein Berg macht seine „letzten Atemzüge.“ So beschreibt ein Experte die Lage am Kleinen Nesthorn. Was passiert, wenn die Schuttmassen ins Tal donnern?

© Jean-Christophe Bott/Keystone/dpa
Steine eines Felssturzes vom Kleinen Nesthorn stürzen auf den Birchgletscher im Loetschental, aufgenommen auf einer Alp über der Ortschaft Wiler. Das Dorf Blatten im Lötschental musste wegen der Gefahr eines Felssturzes komplett evakuiert werden. Betroffen sind rund 300 Personen.
Von Markus Brauer/dpa
Durch einen massiven Bergsturz in der südlichen Schweiz ist auch das Risiko eines Gletscher-Abbruchs in der Gefahrenzone gewachsen. Innerhalb weniger Tage habe sich die Geschwindigkeit des Gletschers oberhalb des Dorfes Blatten von 0,8 auf 1,5 bis 2 Meter pro Tag erhöht, sagt der Geologe Fabian Reist in einer Pressekonferenz der Behörden im Kanton Wallis.
Bisher drei Millionen Kubikmeter an Felsbrocken abgebrochen
Blatten liegt auf der nördlichen Seite des Rhonetals, oberhalb von Visp. Es ist das hinterste Dorf im Lötschental und liegt auf 1540 Metern über dem Meer. Es gibt dort unter anderem eine Gruppenunterkunft für Gäste mit 64 Schlafplätzen. Die Wanderwege in der Region waren bereits Ende vergangener Woche vorsorglich gesperrt worden.
Bislang sind von dem Kleinen Nesthorn in der Ferienregion Lötschental bereits zwei bis drei Millionen Kubikmeter an Felsbrocken abgebrochen und auf den Gletscher gerollt. Man könne hören, wie der rund 3300 Meter hohe Berg „seine letzten Atemzüge“ mache, sagte Reist zu den Geräuschen des zerfallenden Berges.
Unter der Abbruchzone herrscht Lebensgefahr
Alban Brigger, ein Experte des Kantons Wallis, warnt eindringlich vor Wanderungen in dem betroffenen Gebiet. „Das ist wirklich lebensgefährlich.“ Laut Brigger könnte bei einem Gletschersturz Eis und Geröll ins Tal stürzen. Dadurch könnte der Fluss Lonza aufgestaut werden, sagte er bei einer früheren Pressekonferenz.
Wegen der Gefahrenlage war das Dorf Blatten in der Ferienregion Lötschental bereits am Montag (19. Mai) kurzfristig ganz geräumt worden. Rund 300 Einwohner mussten ihre Häuser verlassen. Bislang hätten die Fachleute noch wenig Zeit gehabt, sich über die Ursachen dieses Bergsturzes Gedanken zu machen, erklärt Reist.
Felsen kamen 500 Meter vor dem Fluss Lonza zum Stehen
Der Felsabbruch hatte sich an einem Vorsprung unterhalb des knapp 4000 Meter hohen Berges Bietschhorn ereignet. Schon vor einigen Tagen kam es in dem Gebiet zu einem Felssturz, der einen Murgang auslöste. Das Geschiebe kam etwa 500 Meter oberhalb des Flusses Lonza zum Stillstand.
So etwas kann erneut passieren und das Dorf Blatten treffen. Es könnten im schlimmsten Fall fünf Millionen Kubikmeter Gestein den Berg hinab donnern, warnte Alban Brigger von der Abteilung Naturgefahren des Kantons Wallis.
Was sind die Ursachen für die Häufung von Felsstürzen?
Vielerorts in den Alpen lockert sich mit dem Klimawandel Gestein, weil die gefrorenen Felsschichten antauen oder weil eindringendes Wasser Druck in Spalten erzeugt, die früher ganzjährig von Schnee und Eis bedeckt und durch den Permafrost zusammengehalten wurden. Die Menschen sind alarmiert.
Das Abtauen des Permafrosts führt zu Rissen im Fels. Das könnte, so die Vermutung von Geologen, den Vorfall im Kanton Schwyz verursacht haben. Der Klimawandel macht Felsstürze sehr viel wahrscheinlicher. Wenn Permafrost auftaut, können Berge ihre Stabilität und damit Schutt und Geröll ihren Halt verlieren.
Hochgebirge werden vom Permafrost zusammengehalten, der dafür sorgt, dass das Gestein ganzjährig gefroren ist. Der Permafrost taut, und das Gebirge wird instabiler. Beim Schweizer Alpen-Club SAC heißt es, dass früher oft gegangene Touren heute im Sommer „Todesfallen“ seien. Loses Geröll und abgerutschte Blöcke „so groß wie Einfamilienhäuser“ machten das Gelände zu gefährlich.