Brasilien

Blutige Drogenrazzia in Rio hat politisches Nachspiel

Mehr als 60 Tote: Die Bilanz der blutigsten Polizeiaktion gegen Banden in der Geschichte Rio de Janeiros wird zum Zankapfel der Politik.

Favela „Complexo Alemao“: Polizisten gehen am Tag danach an einem verbrannten Auto vorbei.

© dpa/Silvia Izquierdo

Favela „Complexo Alemao“: Polizisten gehen am Tag danach an einem verbrannten Auto vorbei.

Von Tobias Käufer

Aus der Favela „Complexo Alemao“ steigen Drohnen mit Sprengsätzen auf. Sie fliegen Angriffe auf die Sicherheitskräfte, die wiederum das hochgerüstete Drogenkartell „Comando Vermehlo“ angreifen. Busse und Autos werden angezündet und als Straßenblockaden aufgebaut. Das Zentrum der brasilianischen Metropole ist verwaist, Läden und Restaurants haben geschlossen. Zehntausende stranden, weil ihr Heimweg plötzlich unpassierbar ist. Freunde und Familien informieren sich in größer Sorge gegenseitig, wo gerade eine Schießerei im Gange ist. Die brasilianischen TV-Sender übertragen live.

Es ist die größte und tödlichste Anti-Drogenrazzia in der Geschichte Rio de Janeiros. Am Ende dieses historischen Einsatzes in einem der gefährlichsten Armenviertel Brasiliens stehen mindestens 64 Tote, darunter vier Polizisten. Mehr als 80 Menschen werden verhaftet, die Straßen gleichem einem Schlachtfeld. Der Tag ist eine Zäsur in der Geschichte der Olympiastadt.

Präsident Lula äußert sich missverständlich

Die Razzia hat sofort eine Debatte über die innere Sicherheit in Brasilien ausgelöst, die nun zu einem der entscheidenden Themen der Präsidentschaftswahlen in knapp elf Monaten werden dürfte. Präsident Luiz Inacio Lula da Silva, auf dem Rückweg aus Asien, ordnete noch von Bord des Regierungsfliegers eine Krisensitzung an. „Die Operation in Rio bringt eine Debatte über den „Drogenterrorismus“ in die Wahlen 2026 und ist eine Bombe für Lula“, kommentiert die Zeitung „O Estadao“ aus Sao Paulo. Lula, der am Montag 80 Jahre alt wurde, hatte erst vor wenigen Tagen seine Bereitschaft bekundet, erneut zu kandidieren.

Die Steilvorlage für die Debatte lieferte Lula da Silva mit einer Aussage von vor wenigen Tagen selbst. Er hatte erklärt, dass „Drogenhändler Opfer der Konsumenten sind“. Sofort brach eine riesige Protestwelle in den sozialen Netzwerken über den Präsident ein, dem die Kritiker eine Täter-Opfer-Umkehr vorwarfen. Dann ruderte Lula zurück. Er habe sich unglücklich ausgedrückt. „Ich möchte klarstellen, dass ich mich ganz eindeutig gegen Drogenhändler und das organisierte Verbrechen ausspreche“, sagte er. Doch nun ist das Zitat in der Welt und entfaltete angesichts der Bilder noch einmal eine ganz andere Wirkung in den sozialen Medien.

Während in Rio de Janeiro die Kugeln und Drohnen fliegen, tobt nämlich in den sozialen Netzwerken der Kampf um die Deutungshoheit. Es gibt hunderttausendfach abgerufene mit KI erstellte Clips, die die Sicherheitskräfte als Helden bezeichnen und Lula als einen Komplizen der Drogenbande darstellen. Dessen Regierung kritisiert wiederum, der Einsatz sei völlig außer Kontrolle geraten. Ihre Anhänger werfen der Polizei vor, mit illegalen Waffenverkäufen an die Banden die Gewalt angeheizt zu haben.

Justizminister Ricardo Lewandowski forderte, der Gouverneur müsse zugeben, dass er nicht in der Lage sei, die Sicherheit des Bundesstaates zu garantieren. Dann müsse er und um eine Intervention des Bundes oder den Ausnahmezustand bitten. Dann könnten die Streitkräfte für die Sicherheit des Bundesstaates sorgen.

Zum Artikel

Erstellt:
29. Oktober 2025, 13:52 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen