Psychische Erkrankung
Borderline: Wie damit umgehen? Wie Betroffene verstehen?
Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung erleben Gefühle mit einer enormen Wucht. Wie kann man als Freundin oder Partner unterstützen?

© Imago/BSIP
Selbstverletzendes Verhalten wie „Ritzen“ ist eine häufig auftretende Reaktion von Borderline-Erkrankten.
Von Markus Brauer/dpa
Psychische Krankheiten und Störungen werden heute sehr viel häufiger diagnostiziert als noch vor einigen Jahrzehnten. Dabei sind die Menschen heutzutage nicht deutlich anfälliger für Psycho-Leiden als früher.
Studien zeigen: Psychische Störungen wie Depression, Schizophrenie oder Persönlichkeitsstörungen haben nicht oder zumindest nicht dramatisch zugenommen. Wohl aber fühlen sich viele Menschen angesichts stärkerer beruflicher oder familiärer Belastungen immer kränker.
Die Grenzen zwischen Befindlichkeitsstörung und echter seelischer Erkrankung sind dabei allerdings fließend und der Spielraum für Diagnose und Therapie des behandelnden Arztes, Psychologen oder Psychotherapeuten entsprechend groß. Das wird auch deutlich beim Stichwort Borderline.
Borderline-Persönlichkeitsstörung
Starke innere Spannungen, intensive Gefühle oder das Gefühl, sich selbst nicht zu spüren: All das kann Ausdruck einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) sein. Die Erkrankung betrifft besonders junge Menschen. Sie geht mit instabilen Emotionen, Beziehungen und einem unsicheren Selbstbild einher.
Impulsivität und Instabilität von Emotionen und Stimmung, der Identität sowie zwischenmenschlichen Beziehungen sind charakteristisch für Borderline. Von einem auf den anderen Moment braut sich ein Orkan aus extremen Gefühlen zusammen, der einen mitreißt: Das ist Alltag für Menschen mit einer BPS.
Erstmals verwendete der Psychiater Charles H. Hughes im Jahr 1884 den Begriff „borderland“ (Grenzland) für die Beschreibung diagnostischer Grenzfälle zwischen Gesundheit und psychischer Krankheit. Der Psychiater Adolph Stern beschrieb 1938 die häufigsten Merkmale der BPS und bezeichnete die Symptome als „border line group“. Damit prägte er den heute verwendeten Terminus technicus.
Männer und Frauen zeigen mitunter unterschiedliche Symptome
Emotionen schlagen mitunter blitzartig um, dazu kommt ein hohes Level an innerer Anspannung. „Typisch sind die starke Angst vor dem Verlassenwerden, Selbstverletzungen oder riskantes Verhalten wie beispielsweise Rasen auf der Autobahn“, beschreibt die Psychotherapeutin Petra Beschoner die Auswirkungen. Sie ist Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie sowie Psychosomatische Medizin und Ärztliche Leiterin der Akutklinik Bad Saulgau.
- Frauen tendieren eher zu Selbstverletzungen. Bei ihnen stehen oft die emotionale Instabilität und konfliktreiche Beziehungen im Vordergrund.
- Männer mit Borderline richten ihr Verhalten tendenziell eher nach außen, was sich in Aggressionen, Drogenkonsum oder Raserei ausdrücken kann.
Wie eine Borderline-Persönlichkeitsstörung entsteht
Auf eine einzige Ursache lässt sich eine Borderline-Persönlichkeitsstörung meist nicht zurückführen. Neben der Genetik spielen auch biografische Erfahrungen und Umweltbedingungen eine Rolle. „Traumatische Erlebnisse, Missbrauch, Vernachlässigung oder fehlende Bindungen in der Kindheit verstärken das Risiko erheblich“, erklärt Petra Beschoner.
Klar ist: Das Gehirn von Borderline-Betroffenen arbeitet anders als das gesunder Menschen:
- Die Amygdala ist aktiver. In diesem Bereich passiert die Verarbeitung von Emotionen.
- Der präfrontale Kortex ist beeinträchtigt. Er ist unter anderem für die Impulskontrolle zuständig.
- So lässt sich das Gehirn von Borderline-Betroffenen mit einem hochempfindlichen Alarmsystem vergleichen, das Gefühle schnell und heftig ausschlagen lässt.
Wie das Umfeld mit den Stimmungsschwankungen umgehen kann
Eine Borderline-Persönlichkeitsstörung wirkt sich auch auf zwischenmenschliche Beziehungen aus. Denn mitunter sehnen sich Menschen mit Borderline in einem Moment nach Nähe und idealisieren ihr Gegenüber, stoßen es kurz danach aber zurück.
Petra Beschoners Rat: „Partner und Angehörige sollten versuchen, wie ein Fels in der Brandung zu sein – ruhig, klar und stabil.“ Auch wenn es schwerfällt, sollten sie emotionale Ausbrüche nicht persönlich nehmen, sondern sich klarmachen: Dahinter steckt eine Erkrankung. Außerdem rät die Expertin dazu, die Gefühle der Person mit Borderline nicht kleinzureden, sondern sie anzuerkennen und Verständnis zu zeigen.
Wichtig für nahestehende Menschen ist aber auch, auf die eigene Gesundheit zu achten. Sie sollten also keine Scheu haben, Auszeiten, Selbsthilfegruppen und Therapieangebote in Anspruch zu nehmen.
Wie sich Borderline behandeln lässt
Wie bei jeder anderen psychischen Erkrankung gilt auch hier: Familie und Freude können zwar unterstützen, professionelle Hilfe können sie aber nicht ersetzen.
Es gibt Strategien, um besser mit dem Orkan aus Gefühlen zu leben. „Am wirksamsten sind Therapien, die gezielt den Umgang mit Gefühlen und Beziehungen trainieren“, erläutert Beschoner. Ein Beispiel dafür sind die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT): Das ist eine Form der Verhaltenstherapie, bei der Betroffene lernen, Emotionen zu regulieren und Krisen ohne Selbstverletzung zu meistern.
Während der Therapie können Medikamente als Stütze hilfreich sein. Mittel speziell gegen Borderline gibt es zwar nicht, einzelne Symptome wie Angst, Impulsivität und Depression lassen sich aber durch entsprechende Medikamente lindern.