Gegen Dooring-Unfälle
Bundesregierung will Einbau von Türwarnsystemen zur Pflicht machen
In Autos von Mercedes und Porsche sind Türwarnsysteme teils serienmäßig integriert, künftig könnten sie bei allen neuen Fahrzeugen Pflicht werden. Das Ziel: Dooring-Unfälle vermeiden.
© Kay Nietfeld/dpa, imago images/Jürgen Ritter
Die Bundesregierung um Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) will unter anderem Radfahrer vor Dooring-Unfällen schützen.
Von Rouven Spindler
Am Straßenrand parken, unaufmerksam sein und dadurch ohne nach hinten zu schauen die Fahrzeugtür öffnen – das kann beispielsweise für Fahrrad- und Rollerfahrer schlimme, tödliche Folgen haben. Die Rede ist vom sogenannten Dooring („door“ heißt im Englischen „Tür“).
Assistenzsysteme, die etwa der Technologiekonzern Bosch entwickelt, können diese immer wieder vorkommenden Unfälle verhindern – beispielsweise durch optische Hinweise, die den Fahrer letztlich warnen. In Autos von Mercedes-Benz und Porsche sind solche Systeme teils serienmäßig integriert. Wird ihr Einbau künftig sogar zur Pflicht für die Hersteller?
Bundesregierung arbeitet auf internationaler Ebene mit
Das jedenfalls plant die Bundesregierung, wie zunächst die Rheinischen Post unter Berufung auf eine Sprecherin von Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) berichtete. Auf Ebene der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) hätten die Arbeiten für eine internationale Regelung schon begonnen, teilt das Ministerium auf Anfrage mit. An diesen beteilige sich die Bundesregierung auch im kommenden Jahr, zusammen mit den UNECE-Vertragspartnern und Verbänden.
„Diese Regelung kann in Deutschland erst in Kraft treten, wenn sie auf UNECE-Ebene geeint ist und anschließend in das europäische Typgenehmigungsrecht übernommen wird“, heißt es weiter. Für alle Mitgliedstaaten sei das europäische Regelwerk verbindlich.
Ab wann die Systeme auf europäischer Ebene zur Pflicht werden, lässt sich Schnieders Ministerium zufolge derzeit noch nicht sagen. „Sofern die Regelung in Kraft tritt, gilt sie für neu entwickelte Fahrzeugtypen und etwa zwei Jahre später für neu zugelassene Fahrzeuge“, teilt es mit. „Es handelt sich ausschließlich um ein warnendes System, das rein audiovisuell funktioniert“, geht das Ministerium auf den vorgesehenen Assistenten im Fahrzeug ein.
„Es ist uns ein wichtiges Anliegen, vulnerable Gruppen wie zum Beispiel Radfahrende vor schweren Unfällen zu schützen“, erklärt Bundesverkehrsminister Schnieder und fügt hinzu: „Wenn technische Warnsysteme in Fahrzeugen dazu einen effizienten Beitrag leisten können, sollten wir dieses Potenzial bei der Zulassung künftiger Fahrzeuggenerationen nicht außer Acht lassen.“ Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) fordert die Autobauer auf, Warnsysteme serienmäßig zu integrieren, wenn die Sensorik vorhanden ist.
Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) äußert sich gegenüber unserer Zeitung ebenfalls zu dem Vorstoß. „Türwarnsysteme können Dooring-Unfälle spürbar verringern. Sie erkennen herannahende Radfahrende und warnen die Insassen oder blockieren sogar das Öffnen der Tür“, so Hermann. „Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung die Sicherheit von Radfahrenden verbessern will“, teilt zudem die Bundesgeschäftsführerin des Allgemeine Deutsche Fahrrad-Clubs, Caroline Lodemann, mit.
Beim Dooring müsse man aber genauer hinschauen. „Wenn eine Person auf dem Rad durch eine unvorsichtig geöffnete Autotür stürzt, fehlt dort ein sicherer Radweg“, so Lodemann, die fordert, dass die Wege mit genügend Sicherheitsabstand zu parkenden Fahrzeugen angelegt werden müssen. Diesen Beitrag können laut dem Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC) die Kommunen leisten. Auch Hermann findet: „Wir brauchen weiter klare Sicherheitsabstände zu parkenden Autos und gut gestaltete Radwege.“ Die Systeme würden keine sichere Radverkehrsinfrastruktur ersetzen.
Und „da es lange dauert, bis alle Fahrzeuge technisch nachgerüstet sind, bleibt auch die Aufklärung wichtig“, ergänzt er. Der ADAC sieht aus demselben Grund die „Aufklärung über die Gefahren, die vom ruhenden Verkehr für Radfahrende ausgehen“, als eine kurzfristig wirkende Maßnahme an.
Beide – Hermann und der Club – raten demnach Radfahrern, Abstand zu halten und Autofahrern vor dem Aussteigen zu schauen, ob alles frei ist. Der Landesverkehrsminister setzt dabei immer auf den „holländischen Griff“. Das heißt: auf der Fahrerseite mit der rechten Hand zur Tür greifen, auf der Beifahrerseite mit der linken. So dreht man den Oberkörper quasi automatisch zur Seite und sieht, ob sich im toten Winkel jemand nähert. Diese Technik kann Dooring verhindern.
Polizei Stuttgart: Kein Filter für Dooring-Unfälle
Ein besonders schwerer Unfall dieser Art ereignete sich erst vor wenigen Monaten: Die Schauspielerin Wanda Perdelwitz verstarb im Oktober an dessen Folgen. Sie war Ende September in Hamburg gegen eine geöffnete Beifahrertür geprallt.
In der bundesweiten Unfallstatistik taucht Dooring nicht gesondert auf. Auch bei der Polizei Stuttgart gebe es dafür keinen Filter, wie eine Sprecherin sagt. Die Polizei schätzt, dass es in der Landeshauptstadt 2024 eine niedrige zweistellige Anzahl an Dooring-Unfällen gab – was in Bezug auf die Gesamtunfallzahl ein niedriger Wert ist. In Berlin war das „verkehrswidriges Verhalten beim Ein- oder Aussteigen“ 2024 die dritthäufigste Hauptunfallursache gegenüber Radfahrern, wie aus dem Bericht zur Verkehrssicherheitslage hervorgeht. Und laut der Stadt Köln hat eine Auswertung der dortigen Polizei ergeben, dass sich im Vorjahr fast 120 Dooring-Unfälle in der Domstadt ereignet haben.
Parkende Autos als Unfallrisiko
Das Landesverkehrsministerium nennt auf Anfrage zu Unfallzahlen das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) und die Unfallforschung der Versicherer (UDV) als mögliche Quellen. Dem Difu zufolge steht jeder fünfte Unfall innerorts mit Personenschaden, bei denen Fußgänger und Radfahrer beteiligt sind, im Zusammenhang mit parkenden Autos. Geöffnete Fahrzeugtüren und Sichtbehinderungen durch parkende Fahrzeuge seien wesentliche Ursachen.
Im UDV-Forschungsprojekt „Unfallrisiko Parken für Fußgänger und Radfahrer“ heißt es: „Die wesentlichsten Probleme sind Dooring-Unfälle mit Radfahrern und generell Unfälle mit Sichtbehinderungen durch parkende Fahrzeuge.“ Mit 18 Prozent der Gesamtstichprobe stelle Dooring „insgesamt die häufigste der betrachteten Einzel-Unfallsituationen im Zusammenhang mit dem Parken dar“. Weiter heißt es: „In den detailliert betrachteten innerörtlichen Untersuchungsgebieten betrug deren Anteil sogar 41 Prozent.“
In Zukunft sollen solche Werte durch die Warnsystem-Pflicht zurückgehen. Ab wann diese gelten könnte und ab wann sich mögliche positive Effekte dadurch ableiten lassen könnten, ist noch unklar.
