Das Einhorn im Carl-Schweizer-Museum

Vor über 50 Jahren hat Rolf Schweizer einen Pferdekopf als Einhorn für eine Apotheke präpariert. Seit drei Jahren hängt das Präparat oberhalb des Eingangsbereichs der zoologischen Abteilung als besondere Attraktion für Kinder.

Den Pferdekopf, aus dem das Einhorn wurde, hat Rolf Schweizer seinerzeit selbst präpariert. Foto: Elisabeth Klaper

Den Pferdekopf, aus dem das Einhorn wurde, hat Rolf Schweizer seinerzeit selbst präpariert. Foto: Elisabeth Klaper

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. Märchengestalten und Fantasiewesen sind besonders bei Kindern überaus beliebt und werden auch erfolgreich im Tourismusmarketing eingesetzt: Bestes Beispiel ist unsere Schwäbische Waldfee als zauberhafte Repräsentantin der Region. Davon inspiriert hat auch das Carl-Schweizer-Museum seit geraumer Zeit eine außergewöhnliche Attraktion, die auf großes Interesse vor allem der kleinen Gäste stößt. Im Eingangsbereich zur naturkundlichen Abteilung, hoch oben an der linken Wand über einer Schaugruppe von Albinotieren, befindet sich ein Einhorn.

Es ist der Kopf eines Pferdes mit braunem Fell, aus dessen Stirn ein ungefähr 50 Zentimeter langes, perlmuttartig glänzendes, gerades und schraubenförmig gewundenes Horn „hervorwächst“. Seniormuseumschef Rolf Schweizer, der jahrzehntelang als zoologischer Präparator eine Vielzahl von Tieren verschiedenster Art überaus kunstvoll naturgetreu und lebensecht gestaltet hat, erzählt dazu eine spannende Geschichte.

Für Kinder hat Schweizereine ausführliche Erklärung parat

„Anfang der 1970er-Jahre habe ich dieses Präparat selbst angefertigt – als Auftragswerk für eine Apotheke in Heilbronn. Nach etwa zehn Jahren gab es dort einen Besitzerwechsel. Der neue Verantwortliche wollte das Präparat nicht mehr, also haben wir es zurückgeholt.“ Seitdem befand es sich im Magazin des Hauses für Natur und Geschichte. Als der Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald sich in jüngster Zeit immer mehr in ein „Märchen- und Feenland“ verwandelte, kam die Familie Schweizer „auf die Idee, das Einhorn zu reaktivieren und als Märchenfigur im Museum zu präsentieren“.

Seit drei Jahren blickt das Fabeltier nun mit großen Augen herab auf die vielen Museumsbesucherinnen und -besucher. „Unser Einhorn ist das einzige weit und breit, das ins Museum gekommen ist, und vor allem für Kinder sehr wichtig und interessant“, so Rolf Schweizer. Deshalb gelte es dazu viele Fragen zu beantworten, „denn die Mädchen und Jungen haben noch nie ein ‚echtes‘ Einhorn gesehen. Es lebt ja auch nur in ganz dicht bewaldeten, abgelegenen Schluchten und Klingen, wo keine Wege und Stege hinführen und daher auch kaum jemand hinkommt“, erklärt er den Kindern. „Nur wer ganz viel Glück hat, kann einem Einhorn begegnen. Im Winter hat es wie Rentiere ein weißes Fell, daher sieht man es nicht, wenn Schnee liegt, und im Sommer ein braunes Fell. Vor vielen Jahren haben wir dieses Einhorn in einem verborgenen Winkel unseres Naturparks tot aufgefunden und fürs Museum präpariert“, berichtet Rolf Schweizer augenzwinkernd.

Sagen, Legenden und Märchen rund um das Tier sind schon alt

Er weist aber darauf hin, dass das Einhorn schon in der Antike aus Sagen, Legenden und Märchen bekannt war. Und seit der Spätantike ist es ein christliches Symbol, denn das als Physiologus bekannte Volksbuch über die Naturlehre deutet Tiere, Pflanzen und Steine allegorisch im Sinne des Christentums. Darin wird das Einhorn als „kleines Tier wie ein Böckchen“ beschrieben: „Friedlich ist es und ganz sanft, doch der Jäger kann ihm nicht nahe kommen, weil es gar so stark ist.“ Es sei indes mithilfe „einer reinen Jungfrau“ zu fangen: „Es springt ihr in den Schoß, und sie streichelt das Tier und führt es in den Palast des Königs.“

Bezogen auf fehlerhafte Bibelübersetzungen deutet der Physiologus das Einhorn als Symbol für Jesus Christus. Daraus entwickelte sich das künstlerische Motiv der „mythischen Jagd“, die besonders im Spätmittelalter zwischen 1400 und 1550 populär war. Auf Altarbildern, Bildteppichen und weiteren bildlichen Darstellungen zeigten Künstler, wie der Erzengel Gabriel als Jäger vergeblich versucht, das Einhorn zu jagen. Es kann schließlich nur von der Jungfrau Maria gezähmt werden, die es liebkosend in ihre Arme schließt, wobei sie sich oft in einem „Paradiesgärtlein“ befindet.

Ausgehend von dieser Deutung im Physiologus können diese Einhorndarstellungen als Variationen der Verkündigung der Geburt des Heilands an Maria verstanden werden. Zudem gilt das Einhorn, das sich im Lauf der Zeit vom Böckchen in ein größeres, edleres Pferdewesen verwandelte, als Sinnbild der Reinheit und Keuschheit. Diese Interpretation war im Mittelalter und der Frühen Neuzeit weit verbreitet, ebenso der Glaube, dass Einhörner wirklich existieren. Deshalb finden sich Darstellungen des Fabelwesens noch heute in vielen Kirchen, sogar im Petersdom in Rom.

„Es gibt ein Tier, das im arktischen Ozean lebt: der Narwal. Er hat zwar kein Horn, aber einen Stoßzahn, der genauso aussieht“, weiß Rolf Schweizer. Die Stoßzähne, die bis zu drei Meter lang werden können, „waren schon vor 1000 Jahren begehrte Trophäen. In Mitteleuropa wusste aber niemand, wie ein Narwal aussieht, deshalb hat sich dessen Stoßzahn in der Fantasie der Bevölkerung in ein Horn verwandelt und ist auf die Stirn eines pferdeähnlichen Tiers projiziert worden“, verdeutlicht der Seniormuseumschef. So galt der Narwalzahn seit dem Mittelalter als Stirnwaffe des in Fabeln beschriebenen Einhorns.

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Erstellt:
1. September 2022, 06:00 Uhr

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