Bosnien-Herzegowina

Das Paradies der Wildpferde ist bedroht

Die Herden von Livno sind eine Attraktion für Touristen. Doch es ist nicht der Wolf der den Nachkommen frei gelassener Nutztiere den Garaus machen könnte.

Ohne Besitzer und ohne Schutz: ein verwildertes Pferde am Cincar-Berg in Bosnien-Herzegowina

© imago//Armin Durgut

Ohne Besitzer und ohne Schutz: ein verwildertes Pferde am Cincar-Berg in Bosnien-Herzegowina

Von Thomas Roser

Pferdeäpfel weisen auf dem steilen Anstieg hoch über der westbosnischen Provinzstadt Livno den Weg. Meckernd zieht eine Ziegenherde über den steinigen Hang, während Josip Franjicevic seinen zum Ausflugsgefährt umfunktionierten Militärtransporter im ersten Gang die Flanken des 2006 Meter hohen Cincar-Berges hinauftuckern lässt. Schnaufend passiert das Geländefahrzeug mit acht Tagesausflüglern an Bord die Baumgrenze und die letzten bewirtschafteten Bergbauernhöfe. Hell gleißt auf der Hochebene die Sonne auf dem weißen Karstgestein, während der Tier- und Touristenführer des Reisebüros „Continental Adventure“ auf die dunklen Umrisse auf den Hängen und Rücken der umliegenden Hügel weist: „Die Pferde haben gerne eine freie Sicht, damit sie die Wölfe schon von weitem sehen können.“

Der zunehmende Einsatz von Traktoren und die Abwanderung vieler Bauern aus der kargen Herzegowina auf westeuropäische Baustellen und Fabriken im 20. Jahrhundert haben dazu geführt, dass hier heute eine der größten Wildpferdeherden des Kontinents lebt. Viele Bauern der Region hätten in den 60er und 70er Jahren ihre nicht mehr benötigten Pferde einfach freigelassen, berichtet Josip. Während des Bosnienkriegs von 1992 bis 1995 fanden weitere herrenlos gewordene Vierbeiner auf dem Krug-Plateau eine neue Heimat. Der Bestand habe sich in den vergangenen 15 Jahren von knapp 200 auf über 1000 Tiere vermehrt, erzählt Josip: „Seit die letzten Bergbauern ihre Höfe von der Hochebene näher an die Stadt verlegt haben, sind die Pferde hier praktisch unter sich.“

Manchmal beginnen die Hengste zu kämpfen

Ein leises Wiehern, ein entspanntes Schnauben: Vielleicht ist es ihr Haustier-Gen, das die langmähnigen Tiere gelassen auf die Touristen reagieren lässt, die in Jeeps oder auf Quad-Motorrädern kommen. Eine Herde zähle zwischen fünf und 35 Tieren, erzählt Josip, nachdem er sein Gefährt an einer Wasserstelle zum Halten gebracht hat. „Nähert euch den Pferden immer nur von vorne, nie von hinten. Und passt auf, dass ihr nicht zwischen zwei Gruppen geratet“, ermahnt er seine eifrig knipsenden Schützlinge: „Es ist Paarungszeit. Und manchmal beginnen die Hengste zu kämpfen.“

Die mehrstündigen Exkursionen zu den Wildpferden sind für Dutzende von Tourveranstaltern und Herbergen in Livno zu einer Einkommensquelle geworden. Für Probleme sorgen allerdings diejenigen Tiere, die das ausgestreute Streusalz im Winter an die um das Bergmassiv herum führenden Überlandstraßen lockt. Zwar werden Autofahrer durch Schilder vor den das Salz leckenden Tieren gewarnt. Doch im vergangene Jahrzehnt waren angefahrene Wildpferde in über 50 Unfälle verwickelt.

Touristenabgabe für Schutz der Tiere?

Das Tierleben im vermeintlichen Paradies ist keineswegs sorgenfrei. Josip weist auf eine Schlinge, die um den Hals einer Stute baumelt. Diebe hätten versucht, das Pferd zu stehlen: „Es sind Züchter von Kampfhunden, die sich für ihren enormen Fleischbedarf gerne ein Pferd klauen.“

Die Wildpferde sind ungeschützt. Nach einer von über 10000 Anwohnern unterzeichneten Petition hatte die Kommune die Tiere 2009 zwar kurzzeitig in Eigenregie unter Schutz gestellt. Doch als immer mehr Schadenersatzforderungen von Bauern und Autofahrern kamen, sah sich die Stadt bald wieder zu dessen Rücknahme gezwungen.

Eine lokale Bergsteigervereinigung kümmert sich freiwillig um die Wildpferde, hat aber weder die finanziellen noch rechtlichen Mittel zu deren Schutz. Denn wo kein Eigentum, da auch keine Diebe: Ein erster Prozess gegen Pferdefänger wurde eingestellt, weil das Gericht wegen der nicht feststellbaren Besitzer der Tiere auch nicht den Straftatbestand des Diebstahls bestätigt sah.

Die Kommune müht sich beim Kanton bislang vergeblich, das Cincar-Massiv zum Wildpferdereservat erklären zu lassen: Mit der Erhebung einer Touristenabgabe könnten Einzäunungen und Wächter finanziert werden – und den Tieren könnte endlich zu einem angemessenen Rechtsstatus verholfen werden.

Der Feind heißt Windkraftrotoren

Doch es sind vor allem die sich auch in der Herzegowina ausbreitenden Windkraftrotoren, die Naturschützer, Gastronomen und Tourveranstalter um den Bestand von Bosniens Wildpferdeldorado bangen lassen: Die an den Tieren wenig interessierte Kantonsverwaltung will auch den windreichen Cincar mit einem Energiepark beglücken.

Auf einem Aussichtsfels im Schatten des Gipfels kredenzt Josip seinen Gästen zum Abschied ein Glas Honig-Rakija. Von den in der Regel an ausländischen Energiekonzernen vergebenen Windkraftkonzessionen habe Bosniens Bevölkerung wenig, von den Wildpferden sehr viel, sagt er seufzend: „Das Problem sind die Straßen, die für den Bau und den Unterhalt eines Windparks angelegt werden müssten. Wenn der Berg für den Verkehr erschlossen wird, ist es mit dem Paradies der Wildpferde vorbei.“

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Erstellt:
4. Juli 2025, 14:10 Uhr
Aktualisiert:
4. Juli 2025, 14:37 Uhr

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