Union
Das Prinzip Spahn und seine Grenzen
Der Fehlschlag bei der Richterwahl fällt auf Unionsfraktionschef Jens Spahn zurück. Es ist nicht das erste Problem unter seiner Führung. Was läuft schief?

© Katharina Kausche/dpa
In der Bredouille: Jens Spahn.
Von Tobias Peter
Jens Spahn ist einer, der gern im Mittelpunkt steht. In diesem Moment hätte der Unionsfraktionschef aber sicher gern darauf verzichtet, persönlich angesprochen zu werden.
„Meine Damen und Herren, heute ist ein schlechter Tag für das Parlament, für die Demokratie und für das Bundesverfassungsgericht“, sagt die Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann am Rednerpult im Bundestag. „Es ist eine unverantwortliche Situation, in die Sie, Jens Spahn, uns gebracht haben.“ Sie spricht zunächst nicht laut, sondern ein bisschen wie eine Lehrerin, die mit leiser Stimme dem Problemschüler in der Klasse den Ernst der Lage deutlich machen will. Es gibt Applaus auch aus den Reihen von Spahns Koalitionspartner, den Sozialdemokraten.
Der Unionsfraktionschef hat eben noch auf sein Handy geschaut. Jetzt legt der 45-Jährige es auf das Pult in der ersten Reihe vor sich. Spahn blickt mit halb gehobenem Kopf nach vorn. Er ist tief in seinen Stuhl gesunken. Das soll Lässigkeit demonstrieren. Oder würde er jetzt vielleicht gern, samt seiner Sitzgelegenheit, nach hinten raus aus dem Raum verschwinden?
Spahn musste die Reißleine ziehen
Es ist ein schlechter Tag für das Parlament und für Spahn. Eigentlich hätten jetzt drei Richterstühle am Bundesverfassungsgericht besetzt werden sollen: ein Kandidat, den die Union vorgeschlagen hat, und zwei Kandidatinnen, die von der SPD ins Rennen geschickt worden sind. Spahn hatte zugesagt, dass die Zustimmung aus der Unionsfraktion steht.
Doch je näher die Wahl rückte, umso deutlicher zeigte sich: Die Zahl der Abweichler in Reihen der Union war gefährlich hoch. Es gab Bedenken gegen die Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf. Sie ist eine angesehene Staatsrechtslehrerin mit einer liberalen Haltung beim Abtreibungsrecht, gegen die Rechtspopulisten mit Halb- und Unwahrheiten im Internet Stimmung machten. Spahn musste die Reißleine ziehen. Er hatte die Mehrheit versprochen und konnte nicht liefern.
In der SPD hatten anfangs viele gefürchtet, der konservative Spahn könnte in der Union zu viel Macht haben. Jetzt sind ihm viele, die ihn als Fraktionschef haben wollten, nicht gefolgt. Es ist schon das zweite Mal, dass die Fraktion unter Spahns Führung nicht gestanden hat. Merz ist, historisch bislang einmalig, bei der Kanzlerwahl im ersten Wahlgang durchgefallen – es haben wahrscheinlich auch Stimmen aus der Union gefehlt haben. Der Kanzler dürfte es nicht vergessen haben.
Das Chaos der verschobenen Richterwahl und andere Probleme haben Spuren hinterlassen. Gerade einmal 18 Prozent der Bundesbürger halten ihn laut aktuellen Forsa-Zahlen für geeignet für sein Amt. Mehr als zwei Drittel sagen: Spahn kann es nicht. Selbst unter den Unionsanhängern hält ihn nur ein Viertel für die richtige Besetzung. Ein Desaster. Spahn ist damit noch kein Fraktionschef auf Abruf. Ein Angeschlagener ist er aber schon. Das gilt erst recht, weil Spahn in diesen Tagen seine Zeit als Minister in der Corona-Pandemie wieder einholt. Der Bericht einer Sonderermittlerin aus dem Gesundheitsministerium, einer Sozialdemokratin, die noch von Spahns SPD-Vorgänger Karl Lauterbach eingesetzt worden ist, weist auf teure Maskenkäufe zu Beginn der Pandemie hin. In einer E-Mail an einen Firmenchef schrieb er betont locker und mit Smiley: „Jetzt will ich erst mal rechtlich verbindlich das Zeug ;) – mit Folgen, die den Steuerzahler eine hohe Summe kosten könnten.
Teure Masken, flapsige Mail
Gibt es aus seiner Zeit als Gesundheitsminister in der Pandemie einen Fehler, den er sich selbst nicht verzeihen kann? Spahn überlegt beim Interview in seinem Büro im Deutschen Bundestag einige Momente, welche Antwort keinen falschen Klang hat. „Wenn es etwas gäbe, dass ich mir nicht verzeihen könnte, säße ich jetzt nicht hier“, sagt er dann.
Der CDU-Politiker beugt sich leicht vor, während er – ruhig, aber deutlich – sagt, mit dem Wissen von heute habe man zu viele Masken zu teuer gekauft. Es habe aber begründete Sorge gegeben, im weltweiten Kampf um Masken selbst nicht genug zu bekommen. Unsicherheit ist ihm nicht anzumerken. Selbstverteidigung kann der Mann mit seinen 120 Prozent Selbstbewusstsein gut. Es gibt aber auch in der Union einige, die glauben, Spahn sei durch die Vergangenheitsbewältigung abgelenkt worden. Unter anderem davon, rechtzeitig zu erkennen, wie groß die Probleme beim Thema Richterwahl in der Fraktion waren.
Spahn ist eine der spannendsten Persönlichkeiten der deutschen Politik. Er polarisiert, er erlitt Rückschläge und er stand immer wieder auf. Der gelernte Bankkaufmann aus dem Münsterland zog bereits mit 22 Jahren erstmals in den Bundestag ein. Im Alter von 37 Jahren wurde er Gesundheitsminister. Er gilt als begabter Netzwerker und ist ein schlagfertiger Redner. Jetzt sitzt er mit 45 als Unionsfraktionschef an einem der wichtigsten Schalthebel der Republik. Was ist das Prinzip Spahn – und warum stößt es gerade an seinen Grenzen?
Provozieren, Ellbogen raus und im richtigen Moment einfach mal sitzen bleiben: Spahn wusste schon früh, wie man Aufmerksamkeit bekommt. Im Jahr 2016 kritisierte Spahn in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“, bei ihm im Fitnessstudio gebe es Hinweisschilder, die das Duschen in Unterhose erlaubten. „Zu viele arabische Muskelmachos standen da vorher mit ihrer Unterhose drunter, weil sie sich nackt genierten“, sagte er. „Das ist eine gesellschaftliche Veränderung, die ich nicht will.“
Spahn setzte sich Ende 2016 gegen Kanzlerin Angela Merkel bei einem CDU-Parteitag beim Thema doppelte Staatsbürgerschaft durch. Im Jahr 2018 sicherte sich der Münsterländer einen Platz als Bundesgesundheitsminister an Merkels Kabinettstisch – obwohl er sicher kein persönlicher Favorit der Kanzlerin für einen Posten in ihrem Kabinett war.
Spahns Meisterleistung
Auch dass Spahn unter einem Kanzler Friedrich Merz Fraktionschef werden würde, schien lange unwahrscheinlich. Er kandidierte erst selbst einmal gegen Merz um den CDU-Vorsitz. Und dann im Team mit Armin Laschet. Dass er am Ende trotzdem Merz’ Vertrauen gewann, ist eine Meisterleistung. Noch in den Sondierungen sollte er erst eigentlich gar nicht zum Kernteam gehören. Aber er war zum Thema Finanzen geladen. Und blieb einfach sitzen. Sein Verhandlungsgeschick überzeugte.
Hochintelligent, charmant, brutal – diese drei Worte sind über Spahn immer wieder zu hören. Er sei ein Vollprofi, kenne aber auch kaum Grenzen. „Jens Spahn kann sehr vereinnahmend sein“, sagt ein langjähriger Abgeordneter, der ihn aus unterschiedlichen Funktionen kennt. „Aber man merkt immer: Es geht ihm um den Zweck – und nicht um das Zwischenmenschliche.“ Für jemanden wie Spahn sei es deshalb schwer, wenn er dann sagen müsse: „Wenn du aus keinem anderen Grund zustimmen willst, dann tu es bitte für mich.“ Das sind die Grenzen des Prinzips Spahn.