Zukunftsfahrplan Baden-Württemberg

Das Vermächtnis des grünen Dauer-Ministers

Seit eineinhalb Jahren diskutiert das Land über einen Bahnfahrplan für die Zukunft – zur Bilanz gibt es von Verkehrsminister Winfried Hermann auch versöhnliche Töne zu Stuttgart 21.

In Baden-Württemberg sind so viele Menschen in Nahverkehrszügen unterwegs wie noch nie.

© IMAGO/Arnulf Hettrich

In Baden-Württemberg sind so viele Menschen in Nahverkehrszügen unterwegs wie noch nie.

Von Andreas Geldner

Zukunft? Das ist kein Begriff, den man aktuell mit der Stimmung in Deutschland verbindet. Doch um eine Vision bis in die 2040er Jahre hinein ist es jetzt in Stuttgart bei einem Treffen zum „Zukunftsfahrplan“ des Landes gegangen.

Seit eineinhalb Jahren touren Vertreterinnen und Vertreter des baden-württembergischen Verkehrsministeriums durch die Regionen im Südwesten, um Wünsche und Ideen für den Schienenverkehr des Landes zu sammeln. Nun zog der grüne Landesverkehrsminister Winfried Hermann eine erste Bilanz.

Erst der Fahrplan, dann die Strecke

Das Konzept wurde aus der Schweiz abgeschaut: Dort diskutiert man erst unter breiter Beteiligung darüber, welchen Fahrplan man haben möchte und richtet darauf über Jahre und Jahrzehnte die Infrastrukturplanung aus. In Deutschland hingegen schreibt man im Verkehrswegeplan einen unkoordinierten, politisch motivierten Wunschzettel mit Projekten auf – die dann doch nicht gebaut werden.

Für die Bundesrepublik ist so ein „Zukunftsfahrplan“ bisher einmalig. „In Bayern haben wir das nicht“, sagte ein Teilnehmer. „In Rheinland-Pfalz müssen wir jedem Zug hinterher rennen“, sagte ein anderer.

Doch sind hochfliegende Pläne, wie ein noch mehr ausgebauter Halbstundentakt angesichts der Finanzlage nicht ungedeckte Schecks? Selbst das vor zehn Jahren ausgegebene Ziel eines flächendeckenden Stundentakts in Baden-Württemberg ist aktuell erst zu 85 Prozent erreicht.

Lieber mehr Verlässlichkeit als mehr Züge

Bei einer Umfrage unter den anwesenden Bahnplanern und -nutzern war der Wunsch nach noch mehr Zügen mit 15 Stimmen deutlich abgeschlagen. 51 Teilnehmer wünschten sich hingegen schlicht eine Infrastruktur, die so ausgebaut wird, dass sie zum Fahrplan passt. Ganz oben auf der Liste: Mehr Zuverlässigkeit und Robustheit, etwa durch Fahrzeitenpuffer.

„Dass die Menschen sich nicht auf den Fahrplan verlassen können, ist das größte Problem“, sagte auch der Landesverkehrsminister. Noch nie seien die Menschen im Land so viel Zug gefahren – und noch nie sei so viel geschimpft worden: „Vielleicht wird ja auch so viel geschimpft, weil so viel gefahren wird?“

Für den aktuellen Standard fehlt Infrastruktur

„Wir würden ja gerne den Landesstandard fahren, aber wir haben einfach nicht die Infrastruktur dafür“, sagte der Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Rhein-Neckar (VRN), Michael Willes. Er bemängelte etwa, dass der „wichtigste Gewerbesteuerzahler des Landes“, der IT-Gigant SAP in Walldorf immer noch unzureichend an den Schienenverkehr angebunden sei.

„Sie in der Rhein-Neckar-Region hatten halt kein Stuttgart 21“, erwiderte Hermann. Man sei rund um Heidelberg und Mannheim im Gegensatz zur Landeshauptstadt nicht gezwungen gewesen, den dortigen Schienenknoten grundlegend weiterzuentwickeln „Sie würden bei so etwas aber natürlich oben bleiben“, sagte der Verkehrsminister in Anspielung auf die Kritik am zu eng dimensionierten, unterirdischen Stuttgarter Bahnhof.

Hermann: Stuttgart 21 hat Zukunftsvision angetrieben

Der bekennende S-21-Kritiker klang in der aktuellen Endphase der Projekts und seines langen Ministerdaseins eher versöhnlich. „Es ist sehr viel diskutiert worden, es hat lange gedauert, aber am Ende ist es doch realisiert worden“, sagte der Verkehrsminister. Stuttgart 21 habe letztlich auch eine Zukunftsvision angetrieben – etwa bei der Digitalisierung des Schienennetzes.

Hermann wird 2026 seine Karriere in der Landespolitik beenden und hat dann 15 Jahre als Verkehrsminister durchgehalten – länger als alle seine aktuellen Kolleginnen und Kollegen in Bund und Ländern. Er sieht den Zukunftsfahrplan offensichtlich als sein Vermächtnis.

Ergebnis erst Monate nach der Landtagswahl

Ein wenig schimmerte bei ihm Frustration durch, dass er seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin nach der Landtagswahl im März keinen fertigen Plan auf den Tisch legen kann. Den Abschlussbericht wird es erst in einem Jahr geben.

„Ich habe gedacht: Warum dauert das so lange?,“ sagte Hermann. Aber nach Schweizer Muster minutengenaue Fahrpläne zu basteln, nach denen man über Jahre und Jahrzehnte im voraus den Ausbau von Strecken plant, ist hierzulande neu. „Wir haben erkennen müssen, dass wir dafür mehr Zeit brauchen“, sagte Gerd Hickmann, der Abteilungsleiter für den Öffentlichen Verkehr im Ministerium.

Was am Ende finanzierbar ist, bleibt ungewiss. Hermann warb hier um mehr Optimismus: „Es geht einem nie so lange schlecht wie man denkt,“ sagte er auch in Richtung der Kommunen, die seiner Ansicht nach in den aktuellen Haushaltsnöten viel zu schnell über Kürzungen beim Nahverkehr nachdächten. Das Sondervermögen des Bundes für die Infrastruktur sei beispielsweise doch auch überraschend gekommen.

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Erstellt:
25. Oktober 2025, 08:42 Uhr
Aktualisiert:
25. Oktober 2025, 09:07 Uhr

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