Nachruf auf Horst Singer

Der Kopf des Göppinger Handball-Wunders ist tot

Der gebürtige Ulmer Horst Singer und seine Kameraden sorgten mit dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft im Jahr 1954 für das Handballwunder von Frisch Auf Göppingen.

Horst Singer wurde  im März diesen Jahres in die Hall of Fame von Frisch Auf aufgenommen.

© Baumann

Horst Singer wurde im März diesen Jahres in die Hall of Fame von Frisch Auf aufgenommen.

Von Jürgen Frey

Seine Auftritte in der EWS-Arena waren seltener geworden. Doch am 8. März diesen Jahres, wenige Tage nach seinem 90. Geburtstag, ließ es sich Horst Singer in der Halbzeit des Bundesligaspiels gegen Flensburg nicht nehmen, ein paar Worte an die 5200 Zuschauer zu richten. Sie waren von großer Emotionalität und Dankbarkeit geprägt – riesiger Applaus brandete ihm entgegen. Das Göppinger Handball-Idol wurde an diesem Tag in die Hall of Fame von Frisch Auf aufgenommen, als zweiter Spieler nach Bernhard Kempa.

Legendäres Team

Horst Singer zählte zu der legendären Frisch-Auf-Mannschaft, die vor 71 Jahren die erste deutsche Meisterschaft unter den Hohenstaufen holte. Wie das damals so war? Horst Singer, geboren am 2. März 1935 in Ulm, und deshalb auch von allen nur „Spatz“ genannt, erinnerte bei dieser Frage an das Wesentliche: „Wir haben am Endspielort in Krefeld die ganze Nacht durchgetanzt“, berichtete er über die Feierlichkeiten im Februar 1954 nach dem überraschenden 10:7-Finalerfolg über den SV Polizei Hamburg.

Singers Ehefrau Helga hörte bei diesen Antworten mit einem Schmunzeln im Gesicht aufmerksam zu. Die beiden waren treue Stammgäste bei den Spielen von Frisch Auf: In der Bundesliga, aber auch bei den Jugendspielen, wo Enkel Justin (Jahrgang 2003) zum Sprungwurf ansetzte. Seine Bodenständigkeit, sein trockener Humor, seine ihm eigene Ironie und die Herzlichkeit zeichneten Horst Singer aus. Nun, im Alter von 90 Jahren, hat am Wochenende sein großes grün-weißes Herz aufgehört zu schlagen.

Er war nach Bernhard Kempa der bekannteste Handballer, den Frisch Auf je hervorbrachte. Mit dem Triumph 1954 hatte die große Ära des Vereins begonnen. In den 50er Jahren feierte Göppingen noch zwei Meisterschaften im Feldhandball und drei in der Halle: Insgesamt holte der württembergische Traditionsclub elf deutsche Meisterschaften (die letzte 1972) und sechs Europapokaltitel. Singer wurde 1955 Weltmeister.

Die Führungsfigur

Er war als Regisseur die Führungsfigur auf dem Spielfeld. Anfangs wirbelte er neben Kempa auf dem Spielfeld, später hatte der 15 Jahre ältere und 2017 verstorbene Monsieur Handball als Trainer das Kommando. Eine innige Freundschaft verband die beiden nie. „Was wäre selbst ein Kempa, stünde nicht Horst Singer auf dem Platz, der nicht nur ein gelehriger Schüler des Altmeisters geworden ist, sondern diesen vielleicht gar übertroffen hat?“, fragten damals die Gazetten. Singer war der Star der sogenannten Kempa-Buben. 1970 gelang ihm mit dem 22:18-Endspielsieg gegen den VfL Gummersbach in Frankfurt der letzte sportliche Coup mit Frisch Auf: „Spatz“ Singer, der spielintelligente und wuchtige Linkshänder, holte mit der Mannschaft den insgesamt zehnten deutschen Meistertitel.

Dabei war Handball keine frühe Bestimmung für ihn gewesen. Am 16. März 1944, zwei Wochen nach Horst Singers neuntem Geburtstag, war das ursprüngliche Wohnhaus in Ulm durch eine Fliegerbombe zerstört worden. „Wir hatten damals nicht nur Riesenglück, weil wir unten im Keller saßen, sondern vor allem weil es einen Durchgang zum Nachbarhaus gab, über den wir uns ins Freie flüchten konnten“, hat Singer einmal erzählt. Notgedrungen folgte früher als geplant der Umzug nach Göppingen, wo der Vater bereits längere Zeit bei der Luftabwehr Dienst schob.

Für Singer sollte nach dem Abschied aus Ulm bald ein radikal neuer Lebensabschnitt beginnen. Allerdings: „An Handball habe ich da aber überhaupt nicht gedacht. Zu Kriegszeiten gab’s in Ulm nicht viele Sportmöglichkeiten.“ In Göppingen kam er zu Frisch Auf, weil dort geturnt wurde. Doch der sportliche Horst fiel dem legendären Handball-Jugendleiter Heinrich Zeller auf. „Der Dr. Zeller trainierte uns, bis wir 18 waren“, sagte Singer. Aus dieser Mannschaft gehörten 1954 fünf Talente zu dem von Kempa als Spielertrainer angeführten Team, das sowohl in der Halle als auch auf dem Feld deutscher Meister wurde. 1962, nach einigen Jahren beim Berliner SV 92 und bei der Turnerschaft Göppingen, holte Horst Singer mit Frisch Auf auch noch den Europapokal der Landesmeister – durch ein 13:11 im Finale in Paris gegen RK Partizan Bjelovar aus Kroatien.

Es sollten nicht die einzigen sportlichen Höhepunkte bleiben. Mit 36 Jahren machte er 1971 sein Abschiedsspiel, doch wegen Personalmangels schlüpfte er im Derby gegen den TV Neuhausen/Erms mit 41 Jahren nochmals ins Frisch-Auf-Trikot. Später übernahm Singer in Göppingen auch als Trainer und Abteilungsleiter Verantwortung.

Manager der Tochter

Seinen Sportsgeist hat er an seine beiden Töchter Nina und Christina weitergegeben. Christina, die jüngere, geboren am 27. Juli 1968, war eine Top-Tennisspielerin im Profizirkus. Im September 1995 stieß sie immerhin bis auf Platz 41 der Weltrangliste vor. Horst Singer, der bis zu seiner Pensionierung am Hohenstaufen-Gymnasium in Göppingen unterrichtete, fungierte zu ihrer besten Zeit auch als ihr Manager. Sein Ballgefühl, aber vor allem seine Siegermentalität hat er ihr vererbt.

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Erstellt:
15. Juni 2025, 14:40 Uhr
Aktualisiert:
15. Juni 2025, 15:07 Uhr

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