Der Würfel hatte ein Wörtchen mitzureden

Konrektor Ernst Morlock geht nach 38 Jahren am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium Murrhardt in den Ruhestand. Dass die Wahl auf das Lehramt fiel, hat er einer unkonventionellen Entscheidungsfindung zu verdanken. Er hat es nie bereut.

Ernst Morlock hat fünf Schulleiter während seiner Laufbahn erlebt – Dietwart Schwälble, Otto Mischka, Jan Christiansen, Christoph Brechtelsbauer sowie Henning Zimmermann. Bevor dieser kam, hat er das Gymnasium ein Jahr lang selbst kommissarisch geleitet. Fotos: J. Fiedler/privat

© Jörg Fiedler

Ernst Morlock hat fünf Schulleiter während seiner Laufbahn erlebt – Dietwart Schwälble, Otto Mischka, Jan Christiansen, Christoph Brechtelsbauer sowie Henning Zimmermann. Bevor dieser kam, hat er das Gymnasium ein Jahr lang selbst kommissarisch geleitet. Fotos: J. Fiedler/privat

Von Christine Schick

MURRHARDT. Der Endspurt sah für Ernst Morlock, der nach Abschluss des Schuljahres ausscheidet, ziemlich anders aus als erwartet. Es war ein Schulalltag unter völlig neuen Bedingungen. Die Zeit nach dem Lockdown und der allmählichen Wiederöffnung der Schule unter Coronaschutzmaßnahmen war nicht immer ganz einfach. Zu Beginn des zweiten Schulhalbjahres stehen normalerweise rund drei Stundenplanänderungen ins Haus. „Mittlerweile sind wir bei Nummer zwölf, für die letzten sechs Wochen haben wir für jede einzelne einen separaten Plan gemacht“, erzählt Ernst Morlock. Die Teilung der Klassen und das rollierende System plus Online-Unterricht bedeuten eine hohe Arbeitsbelastung. Wenn sich bei einer Kollegin die Unterrichtsstunden schon fast verdoppeln, „muss ich mich fragen, ob ich das noch verantworten kann“, erzählt der Konrektor. „Die Kollegen sind da schon an ihre Grenzen gekommen.“ Gleichzeitig hieß es, die Schüler nicht nur für kurze Unterrichtseinheiten einzubestellen, weil die teils von weiter außerhalb mit dem Bus zur Schule kommen. Richtig gut funktioniert habe es mit der Technik, auf Moodle als Lernplattform zu setzen war für Ernst Morlock ein echter Glücksgriff und die Unterstützung der Kollegin Nicole Wurst Gold wert. Auch wenn er sich für den Abiturjahrgang natürlich einen gewohnten Ablauf und Abschied gewünscht habe.

Er selbst hat 1974 seine Reifeprüfung am Friedrich-Schiller-Gymnasium in Marbach am Neckar abgelegt. Nach der Bundeswehrzeit stand für ihn die Frage an, in welche Richtung es beruflich gehen sollte. In die engere Wahl kamen Lehramt und Maschinenbau. Weil er sich nicht so recht entscheiden konnte, hat Morlock den Zufall um Mithilfe gebeten. „Ich habe gewürfelt, und da hatte das Lehramt die Nase vorn.“ Er schrieb sich an der Universität Stuttgart für die Fächer Chemie und Physik ein. Als er nach einem Jahr beim Immatrikulationsamt nachfragte, wie es wäre, wenn er von Chemie zu Mathematik wechseln würde, drückte ihm der Zuständige sofort eine fertige Bescheinigung für Mathematik/Physik in die Hand. Auch diesen, wie soll man sagen, Halbzufall oder Zufallsstupser hat er nie bereut. „Mathe ist ein tolles Fach, ich habe es gerne unterrichtet.“

1980 beendete er sein Studium und fing im Januar 1981 als Referendar am Gymnasium in Stuttgart-Freiberg an. Gemeinsam mit 14 weiteren Referendaren hieß es, in einem von Hochhaussiedlungen geprägten sozialen Umfeld erste berufliche Erfahrungen zu sammeln. „Wir waren um jeden Schüler froh, der da war“, erzählt er. Als er dann pflichtgemäß im zweiten Jahr die Schule wechselte und nach Murrhardt ans Heinrich-von-Zügel-Gymnasium kam, erlebte er einen ziemlichen Kontrast, den er vor allem an den Unterschieden von Stadt und Land festmacht. Er erinnert sich noch gut an die große Verwunderung einer Kollegin, die genau zur selben Zeit als Referendarin in die Walterichstadt versetzt wurde und nach ihrer beider ersten Stunde irritiert feststellte, wie extrem ruhig es im Unterricht zugegangen sei. „Das hat sich dann natürlich schon verändert“, sagt Ernst Morlock mit einem Lächeln und denkt dabei auch an die eigenwilligen Typen von Lehrern, die seine Zeit prägten und die Schule damals ausmachten. Beispielsweise Jürgen Hestler und seine Haltung – Schüler dürfen Fehler machen, wichtig ist vor allem, dass sie lernen, selbst mitzugestalten – oder Biologielehrer Gerhard Schröppel, der das Schulgelände auch schon mal um ein Gewächshaus bereicherte. Auch gab es Abgrenzungspotenzial, bei einem Kollegen brauchte er nicht lange, um zu wissen, dass er so nicht werden will, weil der Umgangston schnell aufgeregt und laut werden konnte.

Die Entscheidung, die der Würfel mit gefällt hat, war die richtige, das spüre er jedes Jahr, insbesondere wenn der Abschluss der Abiturienten ansteht. Besonders hat er sich über den Abschiedsbesuch einer ehemaligen Schülerin gefreut. Die Sulzbacherin ist mittlerweile Mutter von sechs Kindern, von denen fünf bereits Abitur am Gymnasium gemacht haben.

Schüler seiner ersten Klasse, eine elfte, waren bei Ernst Morlocks Polterabend und Hochzeit dabei.

„Als junger Lehrer hat man noch einen intensiveren Kontakt“, sagt Morlock. „Meine erste Klasse war eine elfte, denen war ich vielleicht zehn Jahre voraus.“ Es wurden Fußball- und Handballturniere zusammen bestritten und die Schüler begleiteten seinen Polterabend und seine Hochzeit. Ein Foto aus dieser Anfangszeit macht auch den familiären Hintergrund deutlich – seine Eltern betrieben eine Metzgerei in der Schillerstadt, vor 20 Jahren hat ein Mitarbeiter das Geschäft übernommen. Aber Morlock lässt es sich nicht nehmen, samstags beim Verkauf am Stand in der Fußgängerzone vor dem Laden zu helfen.

Sein eigenes Familienprojekt in seiner Heimatstadt Marbach wuchs – Ernst Morlock hat heute zwei erwachsene Kinder, seine Tochter mittlerweile zwei kleine Söhne, und sein Sohn arbeitet an seiner Promotion. Am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium in Murrhardt hat es ihm immer gut gefallen, sagt er. Allerdings hat er sich Anfang der 1990er-Jahre nach der Anfrage des Kultusministeriums auf die Stelle des Konrektors am Marbacher Gymnasium beworben, geklappt hat es nicht. 2007 übernahm er genau diesen Job dann am Heinrich-von-Zügel-Gymnasium. Wollte er auch den Schritt nach ganz vorne wagen? „Da sprechen Sie einen wunden Punkt an“, sagt Ernst Morlock. Nach der Pensionierung von Jan Christiansen bewarb er sich um den Schulleiterposten. Doch die Wahl fiel auf Christoph Brechtelsbauer, der von einer Verwaltungsstelle im Regierungspräsidium wieder an eine Schule wechseln wollte. Als dieser nach vier Jahren relativ kurzfristig wiederum nach Korntal ging, übernahm Morlock 2014 dann die Schulleitung kommissarisch. Keine ganz leichte Situation. Die Möglichkeit, sich mit einem befreundeten Schulleiter immer mal wieder beraten zu können, half ebenso wie der gute Zusammenhalt im Kollegium sowie die intensive Unterstützung von Frank Gröll sowie Annette Zickler-Maier, die auch seine Nachfolgerin sein wird.

Morlock hat viele Bildungsreformen erlebt. Als er in Murrhardt startete, gab es in der Oberstufe Leistungsfächer mit fünf Wochenstunden und drei für die Nebenfächer, nach verschiedenen Varianten ist das heute auch wieder so. Was das G8 angeht, versteht er, dass die Eltern am G9 hängen. Die Schüler haben einfach mehr freie Nachmittage zur Verfügung und der Stoff lässt sich besser verteilen. Zudem ist sein Eindruck, dass viele Abiturienten nach den acht Jahren noch nicht wissen, welche berufliche Laufbahn sie einschlagen sollen und auf ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr setzen. Natürlich auch nicht die schlechteste Variante.

Auf die Frage, was besonders schwer und fordernd im Job war, räumt Ernst Morlock zwar ein, dass es nicht ganz einfach sei, wenn Eltern die Lehrer dafür verantwortlich machten, wenn die Schulkarriere scheitert. Aber Probleme wie diese habe es wenige gegeben. „Die Welt in Murrhardt ist schon noch in Ordnung, und wir haben hier eine unglaublich unterstützende Elternschaft“, sagt er. Allein die Tatsache, dass, als es vor Jahren um die Organisation eines Mittagstischs mit einer Mahlzeit pro Woche ging, sich 74 Mütter und Väter gefunden hätten, die die erforderliche Gaststättenunterweisung auf sich genommen haben, spräche für sich.

Dem Kollegium hat Ernst Morlock noch die Mitarbeit an den kommenden Stundenplänen zugesagt, die vermutlich die ersten anderthalb Ferienwochen in Anspruch nehmen wird. Und dann? Langweilig wird es ihm vermutlich nicht werden. Morlock setzt seine lokalpolitische Arbeit fort – seit über 20 Jahren ist er im Gemeinderat Marbach sowie seit über zehn Jahren im Ludwigsburger Kreistag für die SPD aktiv. Zudem rechnen seine beiden Enkel schon fest mit einer guten Betreuung – und seine Tochter, auch sie ist Lehrerin.

Unkonventionelles, bekennendes Outfit aus frühen Schuljahren: Ernst Morlocks Eltern betrieben eine Metzgerei, noch heute hilft er beim Nachfolger in Sachen Straßenverkauf aus.

Unkonventionelles, bekennendes Outfit aus frühen Schuljahren: Ernst Morlocks Eltern betrieben eine Metzgerei, noch heute hilft er beim Nachfolger in Sachen Straßenverkauf aus.

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Erstellt:
24. Juli 2020, 06:00 Uhr

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