Desaster und Erfolgsgeschichte
Nach dem Ende der Ära Assad gibt es in Syrien Anzeichen für eine Bewältigung der Krise.
Von Eidos Import
Eine ungewählte islamistische Regierung, Massaker an Minderheiten, israelische Bombardements – ein halbes Jahr nach dem Ende der Ära Assad ist die Zukunft von Syrien ungewiss. Das Land liegt nach 14 Jahren Bürgerkrieg in Trümmern, bewaffnete Banden rauben und morden, der Islamische Staat meldet sich zurück. Und doch sind seit Dezember fast eine halbe Million Syrer aus den Nachbarländern heimgekehrt, viele weitere dürften folgen. Sie hoffen auf ein besseres Leben für sich und ihre Kinder. Völlig unbegründet ist diese Hoffnung nicht, trotz aller Probleme und Risiken.
Als Baschar al-Assad am 8. Dezember aus Syrien nach Moskau floh, ließ er ein Land zurück, das von seinem Vater und ihm in mehr als 50-jähriger Familienherrschaft zugrunde gerichtet worden war. Der Bedarf an Geld und Hilfe ist so groß, dass die Übergangsregierung unter Präsident und Ex-Terrorist Ahmed al-Scharaa nicht weiß, wo sie anfangen soll. Strom etwa gibt es nur ein paar Stunden am Tag, und bevor das reiche Emirat Katar seine Zusage zum Bau neuer Kraftwerke umsetzen kann, müssen die syrischen Behörden das Stromnetz reparieren und Banden bekämpfen, die Stromleitungen stehlen.
Viele Syrer glauben dennoch, dass ihr Land die Talsohle der Krise durchschritten hat. Scharaa hat wichtige Erfolge erzielt, die sein Regime und das Land retten könnten. Der Westen hat Sanktionen abgeschafft, und auch von der Türkei und arabischen Staaten kommen Geld und Unterstützung für den neuen syrischen Staat.
Das sind keine selbstlose Wohltaten dieser Länder. Sie wollen die Rückkehr von Flüchtlingen ermöglichen und mit am Tisch sitzen, wenn über die Zukunft Syriens gesprochen wird. Der Iran muss nach den Rückschlägen für seine regionale Expansionspolitik im Libanon und in Syrien erst einmal kürzer treten, hat sein Ziel, in Syrien mitzumischen, aber nur zurückgestellt, nicht aufgegeben. Scharaas Regierung ist zu schwach, um diese Einmischungsversuche zurückweisen zu können.
Neben dem wirtschaftlichen Wiederaufbau ist die Errichtung eines einigermaßen gerechten Staates eine Voraussetzung für eine gute Zukunft Syriens. Scharaa verspricht Demokratie, hat freie Wahlen aber um Jahre verschoben. Er verdankt seine Macht nicht der Bevölkerung, sondern bewaffneten Kämpfern. Viele Syrer beobachten den Übergangspräsidenten wegen seiner Vergangenheit im sunnitisch-islamistischen Extremismus und der ungebrochenen Macht der Milizen mit Misstrauen.
Scharaa tut nicht genug, um das zu ändern. Radikale Sunniten wollen das Land in einen Staat nach ihrem Geschmack verwandeln. Sie verübten die Massaker an der alawitischen Minderheit im Frühjahr, Konsequenzen gab es kaum. Scharaa muss beweisen, dass er sich vom Rebellenchef zum Staatsmann gewandelt hat. Noch vor ein paar Monaten kämpfte er mit den sunnitischen Milizen gegen Assad – jetzt muss er seinen früheren Kampfgenossen Einhalt gebieten, wenn er Glaubwürdigkeit gewinnen will.
Mit den Kurden, die den Nordosten des Landes beherrschen, hat sich Scharaa geeinigt und damit bewiesen, dass im neuen Syrien eine Balance zwischen Zentralmacht und Minderheiten gefunden werden kann. Unter Aufsicht der USA will Scharaas Regierung außerdem 3500 ausländische Kämpfer in die syrischen Streitkräfte eingliedern.
Diese Vereinbarungen sind nicht perfekt und könnten zu Zerreißproben für den neuen Staat führen, doch angesichts der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen des Landes sind sie besser als nichts. Ein halbes Jahr nach Assad hat Syrien viele Probleme – aber zum ersten Mal seit Jahrzehnten auch eine Chance.