Friedrich Merz bei Maybrit Illner

„Die Koalition muss noch etwas nachholen“

Im ZDF-Talk bedauert der Kanzler, dass im Koalitionsvertrag zu wenig über die Reform der Sozialversicherungen steht. Und er weicht beim „Taurus“ wieder aus.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Bundestag

© Kay Nietfeld/dpa

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Bundestag

Von Christoph Link

Welche Erwartungen kann Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nach dem „schwierigen Start“ noch erfüllen, fragte ZDF-Moderatorin Mabrit Illner am Donnerstagabend den Kanzler, der einen Tag nach seiner Regierungserklärung 60 Minuten lang die Bühne des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zur Nachlese nutzte. Die Meldungen des Tages zeugten ja ähnlich wie bei der Ampel schon wieder von Streit, meinte die Moderatorin und zählte den Zündstoff auf: Aus der SPD höre man ein starkes „Nein“ gegen eine Lieferung des Taurus, gegen die Abschaffung der Lieferkettengesetzes aber für eine Einzahlung der Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung – auf der anderen Seite wolle Außenminister Wadepuhl (CDU) fünf Prozent des BIP für die Verteidigung.

„Haben Sie mehr Abweichler als die 18?“ wollte Illner wissen, was Merz in seiner knappen Art mit „Glaube ich nicht“ beantwortete. Es sei doch so, dass keiner mit dem Eintritt in eine Koalition seine Ansichten an der Garderobe abgebe und natürlich wollten alle am Anfang „Akzente“ setzen. Bindend sei der Koalitionsvertrag. Was das Lieferkettengesetz anbelange, das werde auf europäischer Ebene um zwei Jahre verschoben und in der Zeit werde Deutschland auf Änderungen drängen, damit Unternehmen nicht Nachweise bringen müssten, die sie gar nicht bringen könnten. Aber der Kern werde bleiben, dass Kinderarbeit und Menschenrechtsverletzungen bei Lieferanten ausgeschlossen werde.

Nur die Hälfte der Sozialdemokraten geklatscht

Als er in seiner Rede über Verteidigung gesprochen habe, da hätten im Bundestag nur die Hälfte der Sozialdemokraten geklatscht, bemerkte Maybrit Illner. Aber auch hier sieht sich Merz auf der richtigen Seite und schenkte den Genossen ein klein wenig ein mit dem Hinweis, dass der Bundesverteidigungsminister – Boris Pistorius von der SPD – von der notwendigen „Kriegstüchtigkeit“ Deutschlands gesprochen habe. „Gut, ich selbst spreche von Verteidigungsfähigkeit“, so Merz. Was die Fünf-Prozent-Idee von Wadepuhl anbelangte, so wolle er sich nicht auf Zahlen festlegen, meinte Merz. Diese Prozentrechnereien mit dem BIP seien doch ein Hilfskonstrukt. „Wichtig ist, welche Fähigkeiten müssen wir entwickeln, um unseren europäischen Kontinent zu verteidigen.“ Und dazu werde der Nato-Gipfel im Juni einige Hinweise geben.

In seiner Regierungserklärung hatte Merz das Wort „Taurus“, den Marschflugkörper, den er als Oppositionsführer noch an die Ukraine liefern wollte, mit keiner Silbe erwähnt. Selbstverständlich bohrte Illner da nach, konfrontierte ihn mit alten Pro-Taurus-Aussagen und verblüffend war dann doch, wie vage die Antwort von Merz ausfiel: Der Taurus werde als Waffe „hochgejazzt“, Frankreich und Großbritannien lieferten schon jetzt solche Raketen und eine Entscheidung darüber stehe jetzt nicht an, denn so eine Lieferung brauche ja auch einen Vorlauf an Ausbildung. Im übrigen wolle er Putin nicht den Gefallen tun, öffentlich über Waffenlieferungen zu diskutieren. Diesen Fehler habe die Ampel dreieinhalb Jahre gemacht. „Der Putin kann doch auch Deutsch und guckt die Tagesschau.“

So schwammig die Taurus-Antwort auch ausfiel, so felsenfest war der Kanzler überzeugt vom Erfolg seiner europäischen Ukraine-Initiative mit dem Treffen von vier europäischen Regierungschefs in Kiew – verbunden mit einem Ultimatum und einem Sanktionspaket gegen Russland, das übrigens schon nächsten Dienstag in Kraft treten könne. Man müsse sich diplomatisch und militärisch bemühen, zum Frieden zu kommen, und dass sei ein Prozess, der könne noch Wochen und Monate dauern. Die meisten Kriege endeten mit der Erschöpfung eines Gegners – solange wolle man nicht warten. Dass der ukrainische Präsident alleine nach Istanbul geflogen ist – ohne Putin oder Trump zu treffen – sieht der Kanzler nicht als Rückschlag. Alle europäischen Unterhändler seien da, im übrigen habe sich Putin jetzt mit seiner Nichtteilnahme „ins Unrecht gesetzt“.

Baldiges Treffen mit Trump

Mit dem US-Präsidenten Donald Trump will sich Merz „bald“ treffen. Auf verschiedenstes Nachhaken von Illner, ob Trump nicht längst die „westliche Wertegemeinschaft verlassen habe“, ging Merz nicht ein. Er sei überzeugt davon, dass die USA beim Westen, in Europa und in der Nato bleiben werden. Trump sei ein demokratisch gewählter Präsident, mit dem man verhandeln könne. Dass habe schon EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in der ersten Amtszeit Trumps bewiesen, der die damaligen US-Zölle wieder wegverhandelt habe.

In der Migrationspolitik betonte Merz, dass die jetzige Durchführung der Rückweisung an der Grenze rechtlich zulässig sei, aber dies sei für eine Übergangszeit gedacht, bis EU-Regeln zur Einreise reformiert sind und der Schutz der Außengrenzen verbessert worden sei. Beim Thema Wirtschaft überraschte der Kanzler dann doch mit einem Eingeständnis. Nachdem er den Zeitplan für bessere Unternehmensabschreibungen genannt hatte – noch in dieser Legislaturperiode – und die bekannte Terminstaffel für die Senkung der Körperschaftssteuer wiederholt hatte, wollte Maybrit Illner wissen, was die Koalition denn „für die kleinen Leute“ tue? Die litten unter der Inflation und den ständig steigenden Beiträgen für Renten- , Kranken- und Pflegeversicherung. „Ich gebe zu, wir hätten über eine Reform der Sozialversicherung mehr in den Koalitionsvertrag schreiben müssen. Dazu hatte die Zeit nicht gereicht. Das werden wir nachholen müssen.“

Klimaschutz nicht moralisierend angehen

Da liege noch eine gehörige Aufgabe vor der Koalition, die Systeme zu entlasten. Der Vorschlag von Arbeitsministerin Bas – Beamte in die Rente – könne „ein Element“ sein, er sei aber noch nicht davon überzeugt. Er habe bei den drei fälligen Reformen – Rente, Kranken- und Pflegekasse – „noch keine abschließenden Antworten.“ Als Profit für alle Bevölkerungsschichten betrachtet es Merz, wenn der Konjunkturmotor wieder anspringt. Die Wirtschaft müsse nach drei Jahren der Stagnation wieder auf Wachstumskurs.

Das Thema Klimaschutz kommt neuerdings in Talkrunden kaum noch vor, in dieser immerhin am Ende. Die Ampel habe aufgrund des Drucks der Grünen einen überhöhten und moralisierenden Klimaschutz betrieben, meinte Merz, das habe dem Thema auch in der Bevölkerung geschadet und es sei in der Priorität deshalb nach hinten gerutscht. Die neue Koalition werde Klimaschutz „ohne erhobenen Zeigefinger machen“ und mit ihm werde man die Unternehmen „nicht aus dem Land“ treiben. Schließlich lobte der Kanzler die „Diversität“ in seinem Kabinett und die verschiedensten Berufe und Lebenswege, die da versammelt seien. Eine Ministerin sei schwanger und werde im Juni ein Kind bekommen. „Sie sind ein Fan ihres Kabinetts“, konstatierte Maybrit Illner. Jetzt müsse nur noch die Bevölkerung ein Fan der Regierung werden. Merz lächelte, wie immer verschmitzt.

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Erstellt:
15. Mai 2025, 22:00 Uhr

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