Schwarz-Rot
Die nächsten Konflikte sind bereits in Sicht
Bürgergeld, Arbeitszeitgesetz, hohe Gesundheitskosten: Nach dem Eklat um die gescheiterte Richterwahl könnte weitere Konflikte in der Regierungskoalition hochkochen.

© Kay Nietfeld/dpa
Kann das gut gehen? SPD-Chef Lars Klingbeil (li.) und Kanzler Friedrich Merz (CDU) müssen die Koalition zusammenhalten.
Von Tobias Heimbach, Tobias Peter und Norbert Wallet
Eigentlich hatte sich die Koalition aus Union und SPD eines fest versprochen: Öffentlicher Streit wie zu Ampel-Zeiten sollte es nicht geben. Doch nach nur zwei Monaten gibt es genau das. Anlass ist ein Streit um die Besetzung einer offenen Stelle am Bundesverfassungsgericht.
Mit dem Konflikt steht die Bundesregierung von Kanzler Friedrich Merz (CDU) vor einer Bewährungsprobe: Findet sie schnell zurück zur konstruktiven Arbeit oder greift der Streit auf andere Felder über? Denn zwischen den Koalitionspartnern gibt es genug kontroverse Themen. Wo es in Zukunft knirschen könnte – ein Überblick.
Bürgergeld
Friedrich Merz hat angekündigt, die Bundesregierung werde bereits im Herbst ein Gesetz zur Bürgergeldreform auf den Weg bringen – mit der sich dann das Parlament befassen könne. Das ist ehrgeizig. Es mag zwar Einigkeit darüber herrschen, dass die Sozialleistung nicht mehr Bürgergeld heißen soll, sondern Grundsicherung. Doch im Detail sind im Koalitionsvertrag zahlreiche Konflikte versteckt. Einerseits soll der Regelsatz für Totalverweigerer komplett gestrichen werden. Andererseits geloben Union und SPD die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts einzuhalten. Wie lassen sich diese beiden Anforderungen in der Praxis so zusammenbringen, dass die Regeln tatsächlich härter sind als bislang? Das wird ohnehin eine komplizierte Detailarbeit. Wenn diese nun in einem schlechten Koalitionsklima erfolgen müsste, wäre es schwierig, überhaupt zu Ergebnissen zu kommen.
Arbeitszeitgesetz
Es ist ein Thema, das dem Kanzler wichtig und zugleich sehr schwierig für die SPD ist. Man wolle, so heißt es im Koalitionsvertrag, „die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen“. Der Acht-Stunden-Tag ist aber gerade den Gewerkschaften wichtig – mit denen die SPD eigentlich nicht in Konflikt kommen möchte. Verdi bereitet sogar schon eine Kampagne vor. „Da werden wir voll in die Eisen gehen“, hat Verdi-Chef Frank Werneke gewarnt. Die Versuchung für SPD-Abgeordnete, hier bei der Umsetzung des Koalitionsvertrags nicht mitzuziehen, wird hoch sein, falls sie glauben, dass die Union nicht mitzieht, wenn es an anderer Stelle für sie schwierig wird.
Gesundheitspolitik
Die lamentable Finanzsituation der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Pflegeversicherung birgt gewaltigen politischen Sprengstoff. Es ist kein Zufall, dass zunächst Kommissionen Vorschläge erarbeiten sollen. Das ist im Kern nur eine Vertagung des Problems. Irgendwann stellt sich unvermeidlich die gesundheitspolitische Gretchenfrage: Mehr Selbstverantwortung oder mehr Solidarität? Oder drastischer – und damit realitätsnäher – formuliert: Leistungskürzungen oder mehr Finanzierung aus dem Steuertopf? Ganz sicher ist mit der Union der Ausbau der Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung nicht zu machen. Sie könnte mit der Forderung nach der Einführung von Karenzzeiten in die Reformdebatte einsteigen. So könnten bei der Pflege die Leistungen der entsprechenden Pflegestufe erst nach einer gewissen Frist in Anspruch genommen werden. Die Arbeitgeber haben solche Vorschläge bereits vorgelegt. Für die SPD ist das nicht akzeptabel.
Finanzen
Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD den Bürgern einiges versprochen: Rund dreißig Mal finden sich darin die Worte „entlasten“ oder „Entlastung“. Doch wer Unternehmen und Bürger entlastet, der verzichtet auf Einnahmen – dabei plagen die Bundesregierung schon jetzt Finanznöte. Für die Haushalte der Jahre 2027 bis 2029 sollen bislang 144 Milliarden Euro fehlen. Das schränkt den Spielraum ein. Denn wo man sparen kann, da gibt es zwischen Union und SPD unterschiedliche Vorstellungen. Die Union wird Kürzungen im Sozialen anvisieren. Für die SPD ist das tabu.
Wenn der Streit eskaliert, dann könnte die SPD auch teure Herzensprojekte der CSU infrage stellen. Dazu gehört die nächste Ausbaustufe der Mütterrente oder die ermäßigte Mehrwertsteuer für die Gastronomie. Dies wäre eine kräftige Provokation, schließlich haben sich die Regierungspartner gerade geeinigt, dass diese Dinge bald umgesetzt werden sollen.