Erste Regierungserklärung

Die Neuerfindung des Friedrich Merz

Bei seiner Regierungserklärung zeigt sich der neue Bundeskanzler von einer neuen Seite. Ausgleichend, versöhnend – und mit Anleihen bei Angela Merkel.

Premiere für den neuen Kanzler: Friedrich Merz bei seiner Regierungserklärung in Berlin.

© Kay Nietfeld/dpa

Premiere für den neuen Kanzler: Friedrich Merz bei seiner Regierungserklärung in Berlin.

Von Tobias Heimbach und Tobias Peter

Es ist eine Neuerfindung. Der Mann, der an diesem Mittwoch im Bundestag hinter dem Rednerpult steht, hat vom Auftreten her nichts mit dem Friedrich Merz zu tun, wie er hier als Oppositionsführer aufgetreten ist. Der in aggressiver Rede miserable Zustände im Land beklagte, die aus seiner Sicht unzureichende Politik des damaligen Kanzlers Olaf Scholz geißelte – der die einen mitgerissen und die anderen abgestoßen hat.

Der Friedrich Merz, der nun auftritt, ist einer, der zeigen will: Ich bin Kanzler. Und so verhalte ich mich auch – in jeder Hinsicht. Der einen Auftritt hinlegt, der nicht nur kanzlerhaft ist, sondern fast schon präsidial.

Das zeigt sich schon direkt am Anfang. Merz, der seinen Amtsvorgänger einmal als „Klempner der Macht“ verspottet hat, sagt nun: „Sie, Herr Kollege Scholz, und Ihre Regierung haben Deutschland durch Zeiten außergewöhnlicher Krisen geführt. Ihre Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine war wegweisend und sie war historisch.“ Scholz sitzt bei der SPD mittlerweile in der zweiten Reihe, neben dem künftigen Generalsekretär Tim Klüssendorf.

Merz lehnt sich in der Außenpolitik an den früheren CDU-Kanzler Helmut Kohl an, der immer Wert darauf gelegt hat, dass Deutschland eine prägende Rolle in Europa spielt. In der Wirtschaftspolitik orientiert er sich am prägenden Minister der Wirtschaftswunderjahre Ludwig Erhard. Und letztlich lässt sich doch auch einiges von seiner Dauerwidersacherin Angela Merkel, der Langzeit-CDU-Kanzlerin, die ihn in die Politik zurückgetrieben hat, erkennen.

Außenpolitik als Schwerpunkt der Regierungserklärung

Aber der Reihe nach. Merz, der bereits in der ersten Woche seiner Amtszeit in die Ukraine gefahren ist, hält eine sehr außenpolitische Regierungserklärung. Hier liegt seine Leidenschaft. Hier hat er bereits bei den ersten Begegnungen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem Ukrainer Wolodymyr Selenskyj gezeigt, dass es ihm liegt, einen menschlich guten Draht zu anderen Staatsmännern aufzubauen. Dafür gab es später anerkennende Worte der Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge. Merz hat hier mehrere starke Momente. Er lässt keinen Zweifel daran, dass Deutschland an der Seite der Ukraine steht – und dass der russische Präsident Wladimir Putin sich bewegen müsse. Vor allem aber setzt er eine Botschaft, die hoffentlich auch tatsächlich bis nach Washington zu US-Präsident Donald Trump durchdringt. „Es ist von überragender Bedeutung, dass sich der Westen nicht spalten lässt“, sagt Merz. Deshalb werde er „alle Anstrengungen unternehmen“, um größtmögliche Einigkeit zwischen den europäischen und amerikanischen Partnern herzustellen.

Eine zentrale Botschaft von Merz geht zurück bis in die Anfangsjahre der Bundesrepublik. „Wir wollen regieren, um das Versprechen vom Wohlstand für alle zu erneuern“, sagt er. Das ist das Versprechen Ludwig Erhards, des Wirtschaftsministers von 1949 bis 1963. Damit würde Merz – auch wenn er die Worte hier sehr gesetzt spricht – jeden CDU-Parteitag begeistern. Obwohl Merz nicht detailliert wird, wie er dieses Versprechen erfüllen wird.

Merz nimmt Anleihen bei Merkel

Merz – der älteste Kanzler seit Konrad Adenauer – wandte sich dabei auch direkt an die junge Generation. „Die neue Bundesregierung wird mit aller Kraft dafür arbeiten, dass wir einen neuen Generationenvertrag verwirklichen.“ Und: „Wir wissen, dass es Eure Chancen sind, für die wir heute arbeiten.“

So gesehen ist dann auch etwas Merkel in Merz‘ Rede zu finden. Er trägt – ganz im schwarz-roten Koalitionsstil – auch einige Punkte vor, welche die SPD durchgesetzt hat: die Priorität auf das Thema bezahlbares Wohnen. Den Wunsch nach einer Stärkung der Tariflöhne. Und selbst beim Thema Mindestlohn sagt Merz, dass die Vorstellung des Koalitionspartners erreichbar sei – auch wenn man das nicht gesetzlich regeln werde. Als Merz von der Abschaffung des Bürgergeldsystems spricht, rühren sich bei den Sozialdemokraten aber nur sehr wenige Hände. Es zeigt, dass in dieser großen Koalition noch viel Konfliktpotenzial steckt. Über die Begrenzung der illegalen Migration spricht Merz auch. Aber es klingt viel ausgewogener, viel weniger emotional als im Wahlkampf.

Die zentrale Botschaft des neuen Kanzlers ist: „Der Staat sind wir alle.“ Und: „Wir können alle Herausforderungen, ganz gleich, wie groß sie auch sein mögen, bewältigen.“ Merz bezieht sich auf die außenpolitischen Herausforderungen und die Frage eines neuen wirtschaftlichen Aufschwungs – und nicht wie Merkel damals auf die Herausforderungen durch die hohe Zahl an Flüchtlingen. Es klingt aber trotzdem ein bisschen nach: „Wir schaffen das.“

Alice Weidel:„Sie sind der Kanzler der zweiten Wahl.“

Die neue Oppositionsführerin Alice Weidel von der AfD tritt nach Merz ans Rednerpult. Sie verweist zunächst auf Merz‘ Kanzlerwahl in der Vorwoche, bei der er als erster Kanzler überhaupt erst im zweiten Wahlgang gewählt wurde. „Schwäche und Instabilität sind die Zeichen, die von Ihrem historischen Fehlstart ausgeht“, sagt Weidel. „Sie sind der Kanzler der zweiten Wahl.“ Weidel spielte auch darauf an, dass die Zustimmung der Linkspartei für einen schnellen zweiten Wahlgang nötig war. „Sie sind ein Kanzler der Linken“, ruft Weidel – worauf mehrere Abgeordnete bei den Linken in schrilles Lachen ausbrechen.

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge fordert von Merz ein : „Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Kanzler aller Menschen in diesem Land sind.“ Merz müsse Brücken bauen. „Gerade ein Bundeskanzler muss für alle Menschen da sein, gerade für die Schwächsten in diesem Land. Und daran werden wir Sie messen.“

Und wie reagiert der frühere Oppositionschef auf die Anwürfe aus der Opposition? Die Rede seiner wohl schärfsten Gegenspielerin Weidel verfolgt Merz größtenteils ungerührt. Er vermeidet es, sie anzugucken, wischt auf seinem Handy herum und tauscht ein paar Worte mit Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) aus. Dass er noch vor wenigen Monaten gemeinsam mit Weidels Partei einen umstrittenen Antrag zur Migration im Parlament verabschiedet hat, scheint in diesem Moment fast undenkbar.

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Erstellt:
14. Mai 2025, 17:36 Uhr
Aktualisiert:
14. Mai 2025, 18:21 Uhr

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