Nach Absturz von Air-India-Flugzeug
Die schwierige Suche nach der Unglücksursache
Nach dem Absturz des Air-India-Fluges 171 steht die Frage nach den Gründen im Raum. Wie laufen die Untersuchungen solcher Katastrophen ab? Wie arbeiten die Ermittler?

© dpa/Ajit Solanki
Trümmerteile der Air-India-Maschine liegen in der Stadt Ahmedabad.
Von Frank Littek
Lag die Ursache in der Technik? Haben die Piloten einen Fehler gemacht? Nach dem Absturz eines Passagierflugzeugs der Air India mit mindestens 240 Toten stellen sich viele Fragen. Wieso stürzte das Flugzeug vom Typ Boeing 787 Dreamliner kurz nach dem Start am Flughafen Ahmedabad ab?
Wie fast immer in solchen Fällen, will die Öffentlichkeit möglichst schnell Antworten. Oft aber ist eine schnelle Erklärung nicht möglich. Zu komplex ist in vielen Fällen der Unfallhergang. Aufgeklärt werden Flugzeugunglücke weltweit nach identischen Regeln. Das dient vor allem dazu, aus den Ursachen der Katastrophe zu lernen.
Der Ablauf der Unfalluntersuchung ist dabei im Grundsatz immer gleich. Fachleute des betroffenen Flugzeugherstellers, der Airline und der zuständigen Luftfahrtbehörde nehmen am Ort des Unglücks die Arbeit auf. Könnte es sich bei der Ursache um einen Bombenanschlag oder eine Straftat handeln, schalten sich auch staatliche Behörden in die Untersuchung ein. Die Aufklärungsarbeit kann schnell gehen. Oft aber dauert sie Monate, manchmal sogar Jahre. Sie mündet immer in einen offiziellen Untersuchungsbericht, der auch veröffentlicht wird.
Die Ermittler beginne noch am Unglücksort ihre Arbeit
Das ganze Vorgehen hat eine formale Basis. Das ist ein Regelwerk der Internationalen Zivilluftfahrtbehörde ICAO, bei der es sich um eine Unterorganisation der UNO handelt. Das ist der sogenannte Annex 13 des Abkommens über die Zivilluftfahrt, auch als Chicagoer Konvention bezeichnet. Hier wird festgelegt, dass die Arbeit immer von einer unabhängigen Kommission durchgeführt werden muss.
Auch ein anderer sehr wichtiger Punkt ist in diesem Regelwerk definiert: der Grundsatz, dass das Ziel der Unfalluntersuchungen ausschließlich ist, künftige Unglücke zu verhindern. Es geht nicht um juristische Schuld- und Haftungsfragen. Diese sind Gegenstand von späteren eigenen juristischen Verfahren, die zum Beispiel Hinterbliebene gegenüber Fluggesellschaften oder Herstellern anstrengen können. Da kann dann der Untersuchungsbericht eine wichtige Basis sein.
Das Untersuchungsteam startet noch am Unglücksort seine Arbeit, begutachtet die Absturzstelle und die Wrackteile. Dann gibt es die sogenannte Black Box. In Wirklichkeit sind es zwei Kästen und sie sind nicht schwarz, sondern rot-orange. Das eine ist der Flugdatenschreiber, das andere der Cockpit Voice Recorder.
Ein Puzzle mit einer Millionen Teilen
Die Untersuchung der Wrackteile hat in vielen Fällen große Ähnlichkeit zu einem Puzzle. Ein besonders beeindruckender Fall war die Arbeit an der Aufklärung des Absturzes einer Boeing 747 der Fluggesellschaft TWA über dem Nordatlantik 1996. Die Trümmer der Maschine lagen auf dem Boden des Ozeans – und wurden bei der Untersuchung zu 98 Prozent geborgen.
Eine Millionen Stücke wurden dabei aus dem Meer gefischt, manche so klein wie eine Münze. Die Unfallermittler entdeckten an einigen Wrackteilen im Bereich des mittleren Tanks Ruß- und Brandspuren – ein Indiz für eine mögliche Explosion des Center Tanks. Jetzt sollte dieser Teil des Flugzeugs genauer in Augenschein genommen werden. Um das zu ermöglichen, wurde der Bereich des Rumpfes um den Center Tank herum mit den Wrackteilen auf einem Gerüst rekonstruiert. Dabei wies die Anordnung und Form der Wrackteile auf eine Explosion hin.
Was die Explosion verursacht hat, konnte nicht abschließend aufgeklärt werden. Aber die Ermittler näherten sich möglichen Erklärungen an. Sehr wahrscheinlich hatte ein schadhaftes Kabel den Tank zur Explosion gebracht. Die ganze Untersuchung kostete 100 Millionen US-Dollar.
Ein solcher Aufwand ist aber die Ausnahme. Oft geben Flugdatenschreiber und Cockpit Voice Recorder (CVR) die entscheidenden Erkenntnisse. Letzterer nimmt alle Gespräche und Geräusche im Cockpit auf. Aufgenommen werden aber auch der Funkverkehr, Geräusche, die aus der Betätigung von Hebeln und Schaltern entstehen oder Warnsignale aus den letzten Stunden des Fluges.
Der Flugdatenschreiber oder Flight Data Recorder (FDR) erfasst dagegen die Anzeige der Instrumente im Cockpit und zum Beispiel die Stellung von Schubhebeln und Trimmrädern. Zum Auslesen der Daten des FDR gibt es spezielle Software. Mit deren Hilfe kann später am Computer auch die Fluglage der verunfallten Maschine im Zeitablauf dargestellt werden.
Die Black Boxes halten extremen Temperaturen, Druck und Kräften stand
Die Black Boxes sind Pflicht in Flugzeugen. Sie sind so gebaut, dass sie über einen Zeitraum von 30 Minuten eine Temperatur von 1100 Grad Celsius und anschließend noch für zehn Stunden einer Temperatur von 260 Grad Celsius überstehen können. Die Geräte sind so konstruiert, dass sie einem Wasserdruck, wie er in einer Meerestiefe von 6000 Metern vorhanden ist, verkraften. Beim Aufprall bleiben sie bis zu einer Wucht des 3400-fachen der Erdbeschleunigung funktionsfähig. Die Batterien ermöglichen einen Sendebetrieb über die Dauer von 30 Tagen.
Die Arbeit der Unfallermittler mündet in einen standardisierten Untersuchungsbericht. Er stellt zunächst die Daten des Fluges und den Ablauf des Unglückes ausführlich dar und mündet in Haupt- und nebensächlichen Gründen, die zum Unglück geführt haben. Der Bericht nennt Empfehlungen, wie sich eine Wiederholung eines solchen Unfalls vermeiden ließe. Die Umsetzung ist jedoch nicht selbstverständlich. Ob und wie sie erfolgt, hängt auch vom öffentlichen Druck und möglichen Kosten ab.