Die Zeit der Schönredner

Nach den NRW-Kommunalwahlen sind CDU und SPD froh, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein.

Von Eidos Import

Es ist wieder die Zeit der Schönredner – quer durch nahezu alle Parteien. Dass die AfD nun auch in den Rathäusern Nordrhein-Westfalens angekommen ist und mit 14,5 Prozent ihr Ergebnis von vor fünf Jahren fast verdreifacht hat, wird von CDU und SPD eher erleichtert als zerknirscht kommentiert, ganz nach dem Motto: Es hätte viel schlimmer kommen können. Ob das indes der richtige Weg ist, den immer selbstbewusster auftretenden Rechtsaußen Paroli zu bieten, ist zu bezweifeln.

Und so üben sich die Parteigranden an Rhein und Ruhr vor allem darin, ihr eigenes Ergebnis ins rechte Licht zu rücken. Die CDU gibt sich stolz, mit Abstand stärkste kommunale Kraft in dem Bundesland zu bleiben. Dass sie erneut ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren hat, wird abgehakt. Das bescheidene Wahlziel von über 30 Prozent wurde erreicht, also alles gut? Ministerpräsident Hendrik Wüst sagt es offen: Viel mehr ist für eine Volkspartei nicht mehr zu holen.

Arbeiten statt jammern, lautet Wüsts Devise. Da gibt es wirklich viel zu tun. Wo etwas faul ist in diesem Staat, zeigt sich vor allem in Städten und Gemeinden. Noch immer trauen die meisten Menschen dem milliardenschweren Berliner Investitionsprogramm nicht über den Weg. Noch immer sind viele skeptisch, ob davon etwas in den Gemeinden ankommt. Noch immer spüren gerade im Ruhrgebiet viele Menschen die Folgen der Armutszuwanderung aus dem Osten vor ihrer Haustür. Noch immer befürchten zahlreiche Familien, Opfer der Energiewende zu werden und ihren Arbeitsplatz zu verlieren – nicht nur bei Thyssen-Krupp. Die Grünen, immerhin Teil der Landesregierung, haben das an der Wahlurne besonders schmerzhaft zu spüren bekommen. Noch immer ist nicht gewiss, welches Ergebnis am Ende der abstrakten Debatten um soziale Gerechtigkeit und das Bürgergeld herauskommen wird. Dass die Wahlbeteiligung mit über 58 Prozent so hoch war wie zuletzt vor 30 Jahren, zeigt den Druck im Kessel.

Man muss dem AfD-Landeschef Martin Vincentz wohl zähneknirschend zustimmen, wenn er behauptet, die Kommunalwahl in NRW sei zwar eine Abrechnung mit der Politik in Berlin, aber es gebe inzwischen auch eine „tiefe Überzeugung von AfD-Wählern für unsere Themen“. Ist die AfD also auf dem Weg zur Volkspartei? Im Westen noch lange nicht, aber auch hier scheint es inzwischen nicht mehr unmöglich.

SPD-Co-Chef Lars Klingbeil wünscht sich in dieser Lage naiv, die Gesellschaft möge aus ihrem „Alles ist immer kritisch“-Modus herauskommen. Dann könne eine positivere Grundhaltung im Land „helfen, die AfD kleiner zu kriegen“. Als ob man so den anhaltenden Abwärtstrend stoppen könne. Immerhin will SPD-Co-Chefin Bärbel Bas ihre Partei fragen, „wie wir aus diesem Tief wieder herauskommen“. Demnächst.

Auch für die CDU wird die Lage nicht leichter. Wie lange die Brandmauer zur AfD zumindest auf kommunaler Ebene hält, ist ungewiss. Schließlich zeigen Tausende von neuen AfD-Ratsmitgliedern, dass die Partei politisch zwar ein ultrarechter Ausleger ist, aber in der gesellschaftlichen Mitte vieler Städte und Gemeinden angekommen ist.

Für die AfD zu kandidieren scheint kein politischer Makel mehr zu sein. Wenn die Union da ihre Verbündeten noch bis hinein ins extremlinke Lager finden muss wie bei den Oberbürgermeister-Stichwahlen in zwei Wochen, wird die Zustimmung im bürgerlich-konservativen Milieu dadurch nicht wachsen. CDU-Chef Friedrich Merz hat bereits Konsequenzen angekündigt: bei der Wahlkampfführung, bei der Behandlung von Themen und der Auseinandersetzung mit Wettbewerbern. Man darf gespannt sein, was dann aus den Schönrednern wird.

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Erstellt:
15. September 2025, 22:04 Uhr
Aktualisiert:
15. September 2025, 23:54 Uhr

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