Friedrich Merz
Ein Hauch von Olaf Scholz liegt in der Luft
Bundeskanzler Friedrich Merz stellt sich den Fragen der Hauptstadtjournalisten – und weicht viel aus. An einer Stelle wird es aber sehr konkret.

© Michael Kappeler/dpa
Wie steht die Bundesregierung nach zehn Wochen da? Friedrich Merz muss sich kritischen Fragen stellen.
Von Tobias Peter
Als die erste Frage gestellt wird, sieht Friedrich Merz ungefähr so begeistert aus wie ein kleiner Junge, der sich gern feiern lassen und sein Geburtstagsgeschenk auspacken möchte. Dem dann aber gesagt wird: „Tut uns leid, aber erst mal musst Du dein Zimmer aufräumen.“
Es ist Tradition, dass der Kanzler oder die Kanzlerin sich einmal im Jahr im Sommer in der Bundespressekonferenz den Fragen der Hauptstadtjournalisten stellt. Diese Sommerpressekonferenz ist also ein weiteres erstes Mal für den Regierungschef Friedrich Merz – auch wenn es nicht so glamourös ist wie der erste Besuch beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron oder so nervenaufreibend wie die Antrittsvisite bei US-Präsident Donald Trump.
Der Außenkanzler Friedrich Merz
Dort, in Paris und Washington, hat Merz starke Auftritte hingelegt. In der Bundespressekonferenz in Berlin gelingt ihm das nur so halb. Das bestärkt noch einmal das Bild vom Außenkanzler, der zwar Deutschland international wieder stärker in eine Führungsrolle gebracht hat. Der aber im Inland bislang nicht so sehr als durchsetzungsstarker Reformer gilt. Auch wenn er diese Sicht nicht teilt.
Der Kanzler möchte an diesem Tag in Berlin also gern darüber sprechen, dass die Bundesregierung auch im Innern in den ersten zehn Wochen schon viel geschafft habe. Darüber, dass wichtige Gesetze beschlossen worden seien, um Investitionen anzureizen. Merz sagt das alles auch – in seinem Eingangsstatement. Dabei schaut er nach rechts, nach links und in die Mitte des Saals. Botschaft angekommen? Darauf hofft er.
Dann geht es mit den Fragen los. Eigentlich kann es ihn kaum überraschen, dass zuerst nach der Koalitionskrise gefragt wird, in der sich Schwarz-Rot durch den Eklat um die gescheiterte Wahl von Richtern für das Verfassungsgericht befindet. Weil es in ihrer Fraktion zu viele Abweichler gab, hat die Unionsführung in letzter Minute die versprochene Zustimmung für die von der SPD nominierte Bewerberin Frauke Brosius-Gersdorf zurückgezogen. Seitdem taumelt die Koalition ins Sommerchaos.
Ein Vorbild für die Union?
In der ersten Frage verweist eine Journalistin darauf, dass der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl sich von seiner ursprünglichen Kritik an Brosius-Gersdorf distanziert habe und zugegeben habe, „falsch informiert“ gewesen zu sein. Die Staatsrechtslehrerin hat eine liberale Haltung zu Abtreibungsrecht, die von Rechtspopulisten in kampagnenartigen Angriffen im Internet aber falsch dargestellt worden ist.
„Wäre diese Stimme des Bedauerns aus der katholischen Kirche ein Vorbild für Unionsabgeordnete, die möglicherweise auch nicht so gut informiert waren und sich von der AfD haben treiben lassen?“, will die Journalistin wissen. Merz gefällt die Frage nicht. Er versucht einen Trick und schlägt vor, ob man nicht zwei, drei Fragen zusammennehmen könne, damit die Zeit reiche. Der Kollege, der mit der nächsten Frage am Zug ist, lässt aber erkennen, dass er zu Nahostpolitik fragen wolle. Das passt beim besten Willen nicht. Merz antwortet also doch direkt.
Zu der Richterwahl sei bereits alles gesagt worden, sagt er. „Wir sprechen in der Koalition darüber, wie wir jetzt weiter vorangehen“, fügt er hinzu. Es gebe keinen Zeitdruck. Er vertraue auch darauf, dass die beiden Bundestagsfraktionen von Union und SPD ihrer Aufgabe gut nachkämen.
Substanziell viel mehr ist aus Merz nicht herauszubekommen. Der Kanzler verurteilt die Anfeindungen und Drohungen im Internet gegen die von der SPD nominierte Staatsrechtlerin deutlich: „Das, was Frau Brosius-Gersdorf in den letzten Wochen erlebt hat, ist völlig inakzeptabel.“ Er betont zugleich, er könne Abgeordneten nicht vorschreiben, worin sie eine Gewissensfrage sehen und worin nicht.
Nimmt Merz sich ein Vorbild an Scholz?
Insgesamt liegt nach zahlreichen Fragen und ausweichenden Antworten von Merz zu dem Thema ein Hauch von Olaf Scholz in der Luft. Der war auch meist der Meinung, alles schon in der Vergangenheit ausreichend beantwortet zu haben.
Merz gestikuliert gerade im ersten Teil der Pressekonferenz sparsam. Und er spricht auch immer mal wieder recht leise an diesem Tag. Das hat Scholz bekanntlich ständig getan. Manchmal konnte man meinen, Scholz tat dies immer dann besonders gern, wenn er den Eindruck hatte, schon die Frage hätte besser niemand gehört. Nimmt sich Merz nun ein Beispiel an seinem Vorgänger?
Ganz so viel Vergleichbarkeit will Merz dann doch nicht aufkommen lassen. In der zweiten Hälfte setzt er die eigenen Hände doch noch stärker zur Untermalung des Gesagten ein – und versucht seinem Vortrag mehr Lebendigkeit einzuhauchen. Merz sieht sich schließlich auch als Motivator. Als einer, der den Deutschen Mut machen und ihnen sagen will, dass sie alle ihre Probleme – auch die ökonomischen – bewältigen können. „Ich bin davon überzeugt, die Bundesrepublik Deutschland, unser Land, ist stark genug, um diese Aufgaben auch aus eigener Kraft lösen zu können“, sagt Merz.
„Für uns ist so häufig das Glas halbleer, statt mal zu sagen, es ist halbvoll“, sagt Friedrich Merz. „Ich würde sogar sagen, es ist dreiviertel voll.“ Man merkt hier Merz die amerikanische Prägung – natürlich aus der Zeit vor Donald Trump – an. Im Grunde setzt er dieselbe Botschaft wie Bill Clinton, der in seiner erste Amtsantrittsrede sagte: „Es läuft nichts falsch in Amerika, das nicht von dem, was richtig ist an Amerika, geheilt werden könnte.“
Die Sache mit Angela Merkel
Gilt dieser Optimismus auch für die schwarz-rote Koalition? Es gebe in jeder Regierung „immer mal wieder Meinungsverschiedenheiten“, beschwichtigt Merz. Die Regierung sei nicht in der Krise, auch wenn die Lage besser sein könnte. „Das wollen wir, das schaffen wir“, sagt Merz. Die Formulierung erinnert an Angela Merkel, die bei ihrer Sommerpressekonferenz vor zehn Jahren mit Blick auf die Aufnahme syrischer Flüchtlinge gesagt hatte: „Wir schaffen das.“ Merz, ein langjähriger Kritiker Angela Merkels, erklärt daraufhin auf Nachfrage, Deutschland habe bei der Integration nicht das geschafft, was die damalige Kanzlerin sich vorgenommen habe.
Eine Aussage, an der er selbst einmal gemessen werden dürfte, macht Friedrich Merz dann noch. Nach den Sozialbeiträgen für Gesundheit, Rente und Pflege gefragt, sagt Merz: „Ich möchte eine Stabilisierung in dieser Wahlperiode erreichen.“ Das alles hänge aber stark davon ab, welche Reformen die Koalition sich zutraue. Merz schärft sogar noch nach, diese Stabilisierung sei das, was er „mindestens“ erreichen wolle. Der Kanzler sagt, er wisse, dass schon das sehr schwierig werde.
Momentan drohen Beitragssteigerungen. Das könnte noch viel Gesprächsstoff geben für Merz’ Sommerpressekonferenz im nächsten Jahr. Das Zimmer ist noch lange nicht aufgeräumt.