Ein Leben für die Kinder

Michaela Köhler skizziert das Wirken des Arztes Janusz Korczak, eigentlich Henryk Goldszmit, im Rahmen des VHS-Schwerpunkts Polen

Der polnische Arzt, Schriftsteller und Pädagoge Janusz Korczak wurde vor allem dadurch bekannt, dass er sein Leben opferte, um die ihm anvertrauten jüdischen Waisenkinder bei ihrem Transport ins Vernichtungslager Treblinka zu begleiten. In ihrem Vortrag beleuchtete Michaela Köhler sein Leben, seine Arbeit und seine Erziehungsmethoden, mit denen er seiner Zeit weit voraus war.

Michaela Köhler hat der Lebensweg von Henryk Goldszmit (Foto), der unter seinem literarischen Pseudonym Janusz Korczak bekannt wurde und seine Arbeit Kindern gewidmet hat, tief beeindruckt. In der Volkshochschule zeichnete sie wichtige Stationen des polnischen Arztes nach. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Michaela Köhler hat der Lebensweg von Henryk Goldszmit (Foto), der unter seinem literarischen Pseudonym Janusz Korczak bekannt wurde und seine Arbeit Kindern gewidmet hat, tief beeindruckt. In der Volkshochschule zeichnete sie wichtige Stationen des polnischen Arztes nach. Foto: J. Fiedler

Von Annette Hohnerlein

MURRHARDT. Man kann Janusz Korczak wohl als eine Art Märtyrer bezeichnen. Nur, dass er nicht aus religiösen Motiven, sondern aufgrund seiner Liebe zu Kindern handelte. Er konnte zwar die Deportation und Ermordung der rund 200 jüdischen Kinder aus dem Warschauer Waisenhaus Dom Sierot 1942 nicht verhindern. Aber obwohl er die Möglichkeit gehabt hätte, sich in Sicherheit zu bringen, bestand er darauf, sie zu begleiten und ihnen beizustehen bis zu ihrem letzten Augenblick. Dafür nahm er den eigenen Tod in Kauf.

Michaela Köhler, die als Naturparkführerin und Limes-Gästeführerin tätig ist, hatte während ihres Studiums zur Grund- und Hauptschullehrerin einen Film über Janusz Korczak gesehen, der sie tief beeindruckt hat. „Das ist mir noch lange nachgegangen“, erinnert sie sich.

Korczak wird 1878 oder 1879 unter dem Namen Henryk Goldszmit als Sohn eines jüdischen Warschauer Rechtsanwalts geboren und wächst zunächst in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. Aber schon den Fünfjährigen beschäftigt ein Problem: „Was war zu tun, dass es die schmutzigen, verwahrlosten und hungrigen Kinder nicht mehr gab, mit denen ich auf dem Hof nicht spielen durfte?“, schreibt er später in einem Brief. Als Henryk 17 Jahre alt ist, stirbt der Vater, und die Familie erlebt einen drastischen sozialen Abstieg. Um Geld zu verdienen, gibt der Gymnasiast Nachhilfe und schreibt Zeitschriftenartikel. Michaela Köhler las einen Text aus dieser Zeit mit dem Titel „Frühling“ vor, der die rund ein Dutzend Zuhörer im Murrhardter Grabenschulhaus begeisterte.

1899 gewinnt der 20-Jährige unter dem Pseudonym Janusz Korczak einen literarischen Wettbewerb und behält den Namen aufgrund des zunehmenden Antisemitismus bei.

Es folgt ein Medizinstudium in Warschau und anschließend von 1904 bis 1911 eine Anstellung in der Kinderklinik. Parallel entstehen Romane, die ihn so bekannt machen, dass er zum Modearzt avanciert. Und er schreibt über das Schicksal von Straßenkindern, wie Michaela Köhler ausführt: „Gleichzeitig arbeitete er im Warschauer Armenviertel und schrieb wütende Zeitungsartikel über die schrecklichen Verhältnisse, unter denen die Armen damals leben mussten.“ 1911 bekommt er die Möglichkeit, ein Waisenhaus nach seinen Vorstellungen zu errichten. Im „Dom Sierot“ (polnisch für Waisenhaus) werden jüdische Kinder bis zum Alter von 14 Jahren aufgenommen. Korczak bekommt den pädagogischen Spielraum, um das Haus nach Prinzipien zu führen, die für die damalige Zeit revolutionär waren: Kinder werden als vollwertige Menschen und Individuen gesehen, die ein Recht auf Achtung haben. Die Einrichtung wird von den Kindern selbst verwaltet, es gibt ein Kinderparlament, ein Kameradschaftsgericht, die Älteren tragen Verantwortung für die Jüngeren.

Korczak übernimmt ein weiteres Waisenhaus, dem auch eine Schule angegliedert ist, und arbeitet daneben als Dozent, Sachverständiger, Redakteur einer Kinderzeitung und Rundfunkmitarbeiter. Er verfasst weiterhin Kinderbücher, Erzählungen und pädagogische Schriften, darunter sein bekanntestes Werk „Wie man ein Kind lieben soll“.

1939 beginnt mit dem Polenfeldzug der Zweite Weltkrieg, 1940 müssen die Kinder des „Dom Sierot“ und mit ihnen Janusz Korczak ins Warschauer Getto umsiedeln, wo unsägliche Bedingungen herrschen. „Freunde versuchten, ihn zum Fliehen zu überreden“, berichtete Michaela Köhler. „Es gab einen Pass, ein Visum, Fahrkarten. Aber umsonst, Korczak weigerte sich, seine Kinder zu verlassen.“

Anfang August 1942 werden die rund 200 Kinder des Waisenhauses von der SS zum Abtransport in das Vernichtungslager Treblinka abgeholt. Der Komponist und Pianist Wladyslaw Szpilman wird Augenzeuge und beschreibt die Szene in seinen Memoiren: „Er wollte es ihnen leichter machen. Sie würden aufs Land fahren, ein Grund zur Freude, erklärte er den Waisenkindern. Endlich könnten sie die abscheulichen, stickigen Mauern gegen Wiesen eintauschen, auf denen Blumen wüchsen, gegen Bäche, in denen man würde baden können, gegen Wälder, wo es so viele Beeren und Pilze gäbe. Er ordnete an, sich festtäglich zu kleiden, und so hübsch herausgeputzt, in fröhlicher Stimmung, traten sie paarweise auf dem Hof an.“ Korczaks Tagebuchaufzeichnungen enden mit dem 5. August 1942.

Nach seinem Tod wurde Janusz Korczak auf vielfältige Weise geehrt. Es entstanden Bücher und Filme über sein Leben, Straßen und Schulen wurden nach ihm benannt. 1972 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, seit 1978 steht ein Denkmal auf dem nach ihm benannten Platz in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.

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Erstellt:
26. Februar 2020, 06:00 Uhr

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