Rüstungsausgaben
Eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft
Beim Nato-Gipfel in Den Haag soll eine Steigerung der Militärausgaben auf fünf Prozent beschlossen werden. Diese Entscheidung bedeutet mehr als den bloßen Kauf von Waffensystemen.

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Die Europäer sollen sich in Zukunft nicht mehr verstecken müssen. Nato-Generalsekretär Mark Rutte verkündet, dass sich alle Mitglieder beim Gipfel in Den Haag auf das Fünf-Prozent-Ziel festlegen werden.
Von Knut Krohn
Spanien ist von Russland sehr weit entfernt. Die Geografie beeinflusst in diesem Fall das Gefühl der Bedrohung. Das ist einer der Gründe, weshalb sich die Regierung in Madrid innerhalb der Nato gegen die drastische Erhöhung der Rüstungsausgaben stemmt. Einen anderen Blick auf Moskau haben natürlich die baltischen Staaten oder Polen, der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine findet direkt vor deren Haustür statt. Fünf Prozent des Bruttoinlandprodukte (BIP) sollen die Mitglieder der Verteidigungsallianz deshalb in Zukunft in ihre Verteidigung investieren, das soll am Mittwoch auf dem Nato-Gipfel in Den Haag beschlossen werden. Generalsekretär Mark Rutte spricht von einem „historischen Schritt“, doch die Ausgangslage könnte unterschiedlicher nicht sein: Litauen bewegt sich schon jetzt in Richtung sechs Prozent, während Spanien im Moment knapp über einem Prozent dümpelt.
Ein Griff in die politische Trickkiste
Kurz vor Gipfelbeginn kam aus Madrid die Erfolgsmeldung, dass Premierminister Pedro Sanchez eine Ausnahme ausgehandelt habe. Davon will man im Nato-Hauptquartier allerdings nichts wissen, denn es geht die Angst um, dass dann auch andere Staaten dasselbe fordern könnten. Aber in Brüssel umschiffte man die drohende Eskalation und griff in die politische Trickkiste. Das heißt: der Zeitraum wurde von sieben auf zehn Jahre gestreckt, in dem die gesteckten Marken erreicht werden sollen. Zudem soll jedes Land selbst entscheiden, in welchem Jahr es auf dem Weg zum Fünf-Prozent-Ziel wie viel investiert. Und zudem werden in manchen Fällen nun Fähigkeitsziele definiert, die auch mit weniger Investitionen erreicht werden könnten. Schon vorher war vereinbart worden, dass nur 3,5 Prozent des BIP tatsächlich in den Militärhaushalt fließen sollen. Die restlichen 1,5 Prozent entfallen auf Investitionen in militärisch nutzbare Infrastruktur, Cyberabwehr, Grenz- und Küstenschutz oder auch Katastrophenschutz.
Deutschland spielt eine größere Rolle
Abzusehen ist, dass Deutschland in Zukunft nicht nur wegen der militärischen Aggression Russlands eine größere Rolle bei der Verteidigung spielen wird. Die USA haben angekündigt, schrittweise ihre Fähigkeiten aus Europa abzuziehen. Allein durch die geplante Ausgabensteigerung auf 3,5 Prozent wird das deutsche Militärbudget von aktuell rund 90 Milliarden Euro auf 160 Milliarden Euro steigen. Dieses Ziel soll nach den Planungen von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) im Jahr 2029 erreicht sein.
Beim Aufbau der neuen Kapazitäten werden natürlich die Lehren aus dem Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland gezogen. Es zeigt sich, dass ein Land auch weit hinter der Front geschützt werden muss. Deshalb ist die Verteidigung militärischer und ziviler Ziele gegen Angriffe aus der Luft eine Kernaufgabe, die in Europa allerdings lange vernachlässigt wurde. Für die deutsche Luftwaffe, die aktuell nur noch ein Flugabwehrraketengeschwader hat, bedeutet dies wohl mindestens einen zweiten Verband. Denn es soll insgesamt wieder mehr und andere Luftverteidigungssysteme geben: Patriot, Iris-T und das israelische System Arrow 3 sollen ein mehrschichtiges Abwehrsystem bilden. Aber auch Kampfflugzeuge leisten im Verbund einen Verteidigungsbeitrag, wenn sie gegnerische Marschflugkörper abschießen.
Das Truppenteile werden besser ausgestattet
Auch die Marine soll besser ausgestattet werden, der wegen der zunehmend angespannten Lage in der Ostsee große Bedeutung bekommt. Inzwischen hat die Marine ihre Ziele öffentlich gemacht. Bis 2035 soll die Zahl der Fregatten auf mindestens 15 steigen, darunter 6 der modernen Klasse F127. Die Marine soll dann auch 6 bis 9 Korvetten der Braunschweig-Klasse (K130) und 9 bis 12 moderne U-Boote U212A/CD haben.
Ein sehr wichtiger Pfeiler bei der Verteidigung ist das Bundesheer, das als größte Teilstreitkraft deutlich wachsen muss. Militärplaner gehen davon aus, dass insgesamt bis zu 60 000 zusätzliche Soldaten benötigt werden, davon allein rund 40 000 für das Heer. Diese müssen dann noch ausgerüstet und mit Material versorgt werden. Die im Moment fehlenden Soldaten sollen auch durch die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht rekrutiert werden, was bereits zu scharfen Diskussionen führt. Diese Entwicklung zeigt, dass das Fünf-Prozent-Ziel der Nato nicht nur eine Frage der Ausstattung mit modernen Waffensystemen ist. Ein Land verteidigungsfähig zu machen, ist eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft.