Eine Büchse vom ersten Schützenfest
Start der Serie „Virtueller Rundgang durch die neue Abteilung im Carl-Schweizer-Museum“: Ein Zeugnis aus der Renaissance
Wegen der Kontaktbeschränkungen infolge der Coronapandemie musste die Eröffnung und Einweihung der neuen stadtgeschichtlichen Abteilung im Carl-Schweizer-Museum verschoben werden. Darum gibt Museumsleiter Christian Schweizer den Lesern der Murrhardter Zeitung im Rahmen eines virtuellen Rundgangs vorab erste Einblicke in die Ausstellung.

Die originalgetreue Nachbildung einer Vorderlader-Hakenbüchse samt dem Auflegestock ist ein Blickfang der neuen Abteilung. Sie steht für das erste dokumentierte Murrhardter Vereins- und Schützenfest Ende des 16. Jahrhunderts. Foto: E. Klaper
Von Elisabeth Klaper
MURRHARDT. Sie umfasst eine Fülle verschiedener Objekte, teils neu erworben, teils aus der Sammlung des Museums, die chronologisch nach Epochen geordnet sind. Für die Serie haben wir außergewöhnliche Exponate ausgewählt als repräsentative Zeugnisse für die jeweiligen Zeitabschnitte. Sie erzählen gleichsam von zum Teil noch kaum bekannten historischen Besonderheiten. Alle haben einen klaren Bezug zur und stammen auch meist aus der Walterichstadt.
Die erste Vitrine im Durchgangsbereich zwischen der römischen und der klostergeschichtlichen Abteilung zeigt verschiedene Objekte und Aspekte zur Stadtgeschichte von der Mitte bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Ein Blickfang ist die originalgetreue Nachbildung einer über einen Meter langen Vorderlader-Hakenbüchse, samt dem dazugehörenden Auflege- oder Schießstock. „Diese damals gebräuchliche Schusswaffe war durchschnittlich 15 Kilogramm schwer, sodass sie selbst ein kräftiger erwachsener Mann nicht freihändig halten konnte“, erklärt Christian Schweizer.
„Die Büchse steht für das erste dokumentierte Murrhardter Vereins- und Schützenfest, das im Oktober 1591 auf den bis heute sogenannten Schießwiesen zwischen Bahnhofstraße und Erich-Schumm-Straße stattfand. Das Schützenhaus stand etwa an der Stelle des heutigen Postamtes“, erläutert der Museumsleiter. Das Fest veranstaltete ein sich als „Bruderschaft der Büchsen- und Zielschützen“ bezeichnender Verein. Dieser ging laut Schweizer wohl aus der Sebastiansbruderschaft hervor, die den Ölberg stiftete. Aus solchen Anfängen entwickelte sich später das Sportschießen und Schützenvereinswesen.
Schützenfeste waren schon in der Renaissancezeit sehr populär
Die meisten Mitglieder der Schützenbruderschaft waren Handwerker, die Holz und Metall in verschiedenen verfeinerten Verfahren technisch und mechanisch verarbeiteten. Sie bildeten zugleich das Aufgebot der Schützen zur Landesverteidigung, welches vom Kloster zu stellen war, sowie eine Vorläufer-Organisation der Feuerwehr. Ein Vorstandsmitglied war der Schmied Nikodem Zügel aus der bekannten großen Murrhardter Familie Zügel. Er amtierte auch als Richter des städtischen Gerichts, das für die sogenannte niedere Gerichtsbarkeit und kleinere Delikte wie Diebstähle zuständig war. Überdies war Zügel Gastwirt, vermutlich vom Gasthof zum Engel, erzählt der Museumsleiter.
„Damals gab es zwei Typen von Schusswaffen: Büchsen hatten glatte, Zielschützenwaffen hingegen gedrehte Läufe mit Zügen und Feldern, Kerben oder Spiralen. Diese stabilisierten die Flugbahn der damals üblichen Bleikugeln als Geschosse, wodurch gezielte Schüsse möglich waren. Dagegen waren Schüsse aus Büchsen ungenau. In jener Epoche benutzten militärische Schützen weitgehend Büchsen, Jagdschützen dagegen meist die präziseren Schusswaffen“, verdeutlicht Schweizer.
Schützenfeste waren schon in der Renaissancezeit sehr populär. Interessante Details dazu vermittelt eine auf 31. Dezember 1590 datierte Einladung der Murrhardter Schützen an die befreundeten Schützen von Sontheim zum Schützenfest am 18. Oktober 1591. In dessen Zentrum stand ein „kurzweiliges Schießen mit der Zielbüchse“, also ein sportlicher Schießwettkampf. Geschossen wurde stehend und freihändig auf „schwebende“ Zielscheiben, die frei an einer Kette aufgehängt waren. Die Distanz zwischen Schütze und Zielscheibe betrug ungefähr 45 Meter. Die Schüsse bewerteten sieben Schiedsrichter, drei von den Gästen und vier von den Gastgebern.
„Verschiedene Angaben über die Ziele und Entfernungen dokumentieren den technischen Stand des Schützenwesens und der Schusswaffen. Diese verfügten über eine einfache Mechanik: Man lud sie mithilfe eines Ladestocks, und eine glimmende Lunte entzündete das Pulver. Dessen Explosion lieferte die Energie, damit das Geschoss den Lauf mit hoher Geschwindigkeit verließ. Ein Problem war jedoch der starke, teils schmerzhafte Rückstoß“, hat Schweizer recherchiert.
Das Ende des 16. Jahrhunderts brachte gesellschaftlichen Umbruch
Laut Einladung sollten die fünf (nicht drei wie heute) besten Schützen als Preis namhafte Geldbeträge sowie Fahnen erhalten, weshalb jeder Schütze eine Startgebühr zu entrichten hatte. „Zum Rahmenprogramm gehörte auch ein kleiner Umzug sowie Darbietungen von Gauklern und Musikgruppen, Tanz und ein üppiges Festessen, aber auch ein Gottesdienst. Insofern lief das Schützenfest anno 1591 bereits ähnlich ab wie heute noch zum Beispiel in Bayern. Der Erlös diente dazu, die Mitglieder sozial abzusichern, sowie die Organisation der Walterichswallfahrt zu finanzieren“, erzählt der Museumsleiter. Weiter verdeutlicht er, dass nach der Reformation und den Konfessionskriegen das Ende des 16. Jahrhunderts im Zeichen eines gesellschaftlichen Umbruchs stand.
So erfolgte während der Regierungszeit von Herzog Christoph und dessen Sohn Herzog Ludwig die erste Stadtsanierung. Dabei beseitigte man die Schäden an städtischen Gebäuden und am Kloster, Folgen des Bauernkriegs 1525 und des Schmalkaldischen Kriegs 1546/47, als spanische Soldaten die Walterichstadt besetzt hatten. Zudem legte man neue Frisch- und Abwasserleitungen sowie Brunnen an.
Hinzu kamen ein neues Handwerkerrecht und eine Neuorganisation der Zünfte, verbunden mit deutlichen arbeitsrechtlichen und sozialen Verbesserungen für die Beschäftigten. Die Gesellschaft in der Stadt stabilisierte sich unter anderem durch ein neues Stadtrecht. Weiter betrieben die Landesherren aktive Wirtschaftsförderung durch die Gründung von Glashütten um Murrhardt herum, wie in Mettelchristbach und Fischbach bei Sulzbach an der Murr. Ebenso mit ersten Bergbauversuchen, um Salz zu gewinnen in der „Schwarzen Lache“ bei Siegelsberg, und Lettenkeuperkohle im „Geistloch“ bei Kirchenkirnberg.