Einige Grafiken gilt es noch zu finden

Die Eröffnung der Sonderausstellung „Reinhold Nägele – das grafische Werk“ in der städtischen Kunstsammlung Murrhardt ist ein Publikumsmagnet. Thomas F. Naegele, der Sohn des Künstlers, ruft die Gäste per Videobotschaft dazu auf, jedes Bild genau zu studieren.

Die Gäste betrachten die Bilder ganz genau – und folgen damit dem Rat von Thomas F. Naegele, dem Sohn des Künstlers. Fotos: Elisabeth Klaper

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Die Gäste betrachten die Bilder ganz genau – und folgen damit dem Rat von Thomas F. Naegele, dem Sohn des Künstlers. Fotos: Elisabeth Klaper

Von Elisabeth Klaper

Murrhardt. „Knapp 30 verzeichnete grafische Blätter von Reinhold Nägele sind bis jetzt noch nicht wiedergefunden“, da deren Verbleib nicht bekannt ist, berichtet Kunsthistorikerin Carolin Wurzbacher. Sie ist Kuratorin der Sonderausstellung in Murrhardt und gibt einen Überblick zu Reinhold Nägeles facettenreichem grafischen Werk. Deren Eröffnung am Wochenende ist so eine große Attraktion, dass einige Gäste im Heinrich-von-Zügel-Saal keine Sitzplätze mehr bekommen.

Wurzbacher ruft in ihrer Einführung alle dazu auf, aktiv mitzuwirken bei der Suche nach vermissten und unbekannten Grafiken. Einige dieser Raritäten sind dank der Unterstützung des Freundeskreises Reinhold Nägele bereits entdeckt worden, elf davon sind als Leihgaben in der Ausstellung zu sehen. Die Konzeption der Ausstellung orientiert sich an den Kapiteln und Inhalten des Werkverzeichnisses, das die Kunsthistorikerin aktuell erstellt, es soll am 8. Oktober zur Finissage präsentiert werden. Den Auftakt bildet Nägeles erste Radierung „Das Erste Blatt seinem Wilhelm Fehrle“, gestaltet in München, als er bei diesem Künstlerfreund die Radiertechnik erlernte.

Die Münchner Kunstszene prägt auch Reinhold Nägeles Stil

Sie war „Startschuss“ für sein grafisches Werk, Münchens Kunstszene prägten damals Kunstakademieprofessor Heinrich von Zügel, der „Blaue Reiter“ und die satirische Wochenzeitschrift „Simplicissimus“. Im Blatt „Selbst im Atelier“, Covermotiv des Werkverzeichnisses, verdichtet Nägele Aspekte, die Leitlinien seiner künstlerischen Praxis werden, und stilistisch prägende Elemente. So zum Beispiel das satirisch Erzählende, das Ornamentale des Jugendstils, den magischen Realismus und Parallelen zur Neuen Sachlichkeit. Er zeigt sich in seinem Atelier, umgeben von architektonischen Wahrzeichen Münchens, hinzu kommen eine Szene mit einfachen Arbeitern, eine Bahnlinie und eine Figur im Sog von drei weiblichen Musen.

Die Auswahl der Radierungen, Gemälde und Fotografien gibt einen kompakten Überblick zu Lebensstationen und biografischen Bezugspunkten des 1884 geborenen Künstlers. 1921 heiratete er die Ärztin Alice Nördlinger, wegen deren jüdischer Wurzeln die Familie 1939 in die USA emigrierte. Doch in New York Fuß zu fassen und eine neue Existenz aufzubauen, fiel schwer. „Reinhold war in Stuttgart in den 1930er-Jahren eine bestens vernetzte Künstlerpersönlichkeit und hatte einen einflussreichen Freundeskreis“, betont Wurzbacher.

Eine Rückkehr in die Heimat nach Kriegsende kam nicht infrage wegen traumatisierender Erlebnisse vor Kriegsausbruch. Erst nach Alices Tod 1961 kam Nägele 1963 zurück, zog ins Murrhardter „Häusle“ und hielt sich oft im Schullandheim Hallwangen bei seiner Großnichte Elisabeth Banzhaf auf, wo er ein kleines Atelier einrichtete. 1972 starb der Künstler, sein Grab steht nahe der Walterichskirche.

„Jedes Blatt, jeder Abzug ist für Nägele ein eigenes Werk.“

Nägele schuf sein Radierwerk zwischen 1910 und 1933, verbunden mit seinen Gemälden und Zeichnungen, wie verschiedene Motive und Elemente zeigen und diese Ausstellung erstmals veranschaulicht. „Jedes Blatt, jeder Abzug ist für ihn ein eigenes Werk“, wobei er mit Druckfarben, -techniken und Papiersorten experimentierte und in diversen Druckwerkstätten Abzüge herstellen ließ. Bei seiner Arbeit in einem New Yorker Kunstverlag lernte er Siebdruck und Schablonentechnik kennen, die seine künstlerische Arbeit beeinflussten. Ab 1947 kreierte er flächige, abstrahierende, auf wenige Farben begrenzte, daher druckgrafisch gut reproduzierbare Werke, und einige Gemälde dienten Ende der 1960er-Jahre als Siebdruckvorlagen, so Wurzbacher.

Die Ausstellung solle „Appetit“ auf das Werkverzeichnis machen: „Nehmen Sie sich Zeit, um die Bilder genau zu studieren“, empfiehlt Reinhold Nägeles 98-jähriger Sohn Thomas F. Naegele in einer Videobotschaft aus New York. So sollen die Betrachter die Inspirationen und Gedanken, Eindrücke und Erlebnisse des Künstlers vermittelt bekommen. „Von meinem Opa Reinhold Nägele habe ich viel gelernt: Dank seiner Bilder erhielt ich ein Bild von Europa und Deutschland aus der Zeit zwischen den Weltkriegen“, erzählt Jolyon Naegele, Thomas F. Naegeles ältester Sohn.

Reinhold Nägele, einer der bedeutendsten Maler der Walterichstadt, regte den Aufbau der städtischen Kunstsammlung an als Präsentationsforum für alle Murrhardter Künstlerinnen und Künstler. Doch Nägeles Werk war stets ein Arbeitsschwerpunkt aller Kuratorinnen und Kuratoren, betont Bürgermeister Armin Mößner. Er dankt dem Freundeskreis Reinhold Nägele, vor allem Gudrun und Heinz Scheib, für die Unterstützung, Kunsthistorikerin Carolin Wurzbacher für die Erarbeitung von Ausstellung und Werkverzeichnis. Ein Violoncelloduo aus Lehrkraft Iris Mack von der Musikschule Schwäbischer Wald/Limpurger Land und Musikstudentin Amelie Brune umrahmte die Vernissage mit Werken aus Barock, Romantik und Moderne.

Die Ausstellung

Öffnungszeiten Die Ausstellung ist bis
8. Oktober an Samstagen, Sonn- und Feiertagen von 13 bis 17 Uhr geöffnet, der Eintrittspreis beträgt drei Euro.

Programm Zur Ausstellung gibt es ein Begleitprogramm mit diversen Veranstaltungen, genaue Informationen finden sich im Veranstaltungskalender unter www.murrhardt.de. Das Kulturamt bittet um Anmeldung spätestens eine Woche vorher unter kultur@murrhardt.de. Dort kann man auch das Werkverzeichnis bestellen.

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Erstellt:
3. April 2023, 06:00 Uhr

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