#SkinnyTok
Ende von Body Positivity? Schlankheitswahn erobert Social-Media
Unter dem Hashtag #SkinnyTok verbreitet sich auf TikTok eine gefährliche Diätkultur. Sind die Zeiten von Body Positivity jetzt vorbei?

© Annette Riedl/dpa/dpa-tmn
#SkinnyTok: Junge Frauen teilen auf TikTok Tipps für einen vermeintlichen Traumkörper. (Symbolbild)
Von David Wirth
Mit dem Hashtag #SkinnyTok geben junge Frauen auf TikTok Tipps, wie man durch Diäten und Fitness-Routinen einen extrem schlanken Körper erreichen kann. Unter dem Motto „Skinny Girl Mindset“ vermitteln die Videos eine Lebenseinstellung, die auf dem Weg zum vermeintlichen Traumkörper unterstützen soll. Mit Aussagen wie „Wenn du ein Skinny Girl sein willst, dann denke wie ein Skinny Girl“ oder „Warum belohnst du dich mit einem Snack, du bist kein Hund?“ teilen Userinnen ihre Erfahrungen und Weisheiten. Die Inhalte haben dabei eins gemeinsam: die Verherrlichung des Schlankseins.
Der Trend erinnert stark an den Schlankheitswahn der 2000er und an Sätze wie die des Supermodels Kate Moss: „Nichts schmeckt so gut, wie sich dünn sein anfühlt“. Es scheint, als würde der „Heroin-Chic“-Look der 90er – abgemagerte Körperzüge, dunkle Augenringe und strähnige Haare – ein Comeback zu haben.
Das Ende von Body Positivity?
Der Wandel hin zu Body Positivity zu Beginn der 2010er – also inmitten des Aufstiegs der Social-Media-Plattformen – scheint, statt zu einer nachhaltigen Änderung eines gesellschaftlichen Körperideals, zu einem auslaufenden Trend zu mutieren. Hashtags wie #effyourbeautystandards (sch***ß auf deine Schönheitsstandards) wurden durch Schlagwörter wie #skinny, #modelbody, aber auch weniger eindeutige wie #healthyhabits oder #healthtipps ersetzt. Der Inhalt bleibt jedoch der gleiche. Junge Frauen, oft sogar Mädchen, die ihren dünnen Körper auf Social Media präsentieren.
Verkompliziert wird der Trend dabei auch durch die unklare Linie zwischen grundsätzlich harmlosen Abnehm-Tipps und potenziell gefährlichen Inhalten, die essgestörtes Verhalten beeinflussen können. So auch bei Liv Schmidt, der wohl bekanntesten Person der Skinny-Bubble. Die Inhalte der 23-jährigen Influencerin aus New York drehen sich fast ausschließlich um ein Thema: schlank sein und schlank bleiben. Auf ihrem Instagram-Profil finden sich unter anderem Vorher-Nachher-Vergleiche oder Danksagungen ihrer Follower, die Gewicht verloren haben.
TikTok sperrt Influencerin – Instagram folgt
Die Posts von Liv Schmidt erreichen viele Menschen, nicht zuletzt durch ihre Gruppe „The Skinni Société“, in der Mitglieder für 20 Dollar im Monat exklusive Inhalte erhalten. Dazu gehören Rezepte, Trainingsvideos und Tagebücher, in denen Schmidt dokumentiert, was sie den Tag über gegessen hat. In einem Gruppenchat werden Fortschritte und Essenspläne geteilt oder sich über Auswirkungen ihrer Diät – darunter Haarausfall oder Schwindel – ausgetauscht.
Die Inhalte gingen wohl so weit, dass TikTok Schmidts Konto im September letzten Jahres sperrte. Da hatte sie noch 670.000 Follower. Instagram folgte letzte Woche und schränkte ihr Konto aufgrund der kontroversen Gruppenchats ein. Auch ihr Profil bei Elite Model Management, die unter anderem Models wie Adriana Lima oder Kendall Jenner vertreten, ist seit letzter Woche nicht mehr erreichbar. Mit ihrer Skinni Société soll Schmidt laut Einschätzung der Air Mail bis zu 130.000 Dollar im Monat verdient haben.
Reaktionen auf den Schlankheitswahn
Die Inhalte rund um #SkinnyTok lösen dabei im Netz diverse Reaktionen aus. Viele sind verstört von den Inhalten, Kritiker besorgt über die Auswirkungen auf das Essverhalten junger Frauen. Oliver Zöllner, Professor am Institut für Digitale Ethik der Hochschule der Medien in Stuttgart (HdM), sieht die Gefahr, dass die ungesunden Körperideale eine Art Vorbildfunktion einnehmen, an der sich vor allem Mädchen orientieren. „Als falsche Lösung für ein vermeintliches Problem hungern sich manche Mädchen und junge Frauen auf ein gefährliches Körpergewicht herunter oder entwickeln Essstörungen – mit den bekannten Folgen.“
Basierend auf Daten der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) haben zwischen 2019 und 2023 Fälle von essgestörtem Verhalten, also Bulimie, Magersucht oder auch Binge Eating bei den 12- bis 17-jährigen Mädchen um fast 50 Prozent zugenommen.
Hashtag #SkinnyTok auf TikTok gebannt
Als Reaktion auf den anhaltenden Druck der Europäischen Kommission bannte Tiktok nun den Hashtag. Frankreichs Digitalministerin Clara Chappaz zeigte sich auf X (ehemals Twitter) erleichtert von dem Ergebnis, nachdem sie zuvor eine Petition mit 35.000 Befürwortern unterstützte und sich mit Vertretern des TikTok-Konzerns traf.
Versucht man nun, Inhalte unter dem Hashtag zu erreichen, wird stattdessen eine Meldung mit dem Titel „Du bist nicht allein“ angezeigt und Nutzern nahegelegt, sich an Personen zu wenden, denen man vertraut. Dazu noch ein Button, der auf eine TikTok-eigene Informationsseite zu Essstörungen weiterleitet.
Tiktok lässt den Hashtag 'skinnytok' nicht mehr zu und zeigt diese Seite, denn man danach sucht. Was denkt ihr dazu? Ich finde es absolut großartig pic.twitter.com/I4zcYboOHJ — Alica (@alica_ut) June 5, 2025
„Erinnere mich, ich bin so hungrig“
Davon lässt sich aber die Gen Z nicht beeinflussen. Mit einfachen Änderungen des ursprünglichen Hashtags lassen sich tausende weitere Videos finden, die das gleiche Mantra predigen. „Nichts schmeckt so gut, wie sich dünn sein anfühlt.“ In den Kommentaren wird nach der Workout-Routine gefragt, oder um Unterstützung bei der Diät gebeten: „Erinnere mich, ich bin so hungrig“, bittet eine Nutzerin, damit andere sie nochmals auf die Lebenseinstellung eines Skinny Girls einschwören.
Verteidiger des Trends argumentieren, dass die Tipps nur gesunde Verhaltensweisen fördern würden. Schritte zählen, Portionskontrolle und viel trinken: Empfehlungen, die auch Bestandteil vieler Gesundheitsratgeber sind. Wenn dann aber in Chatgruppen das Tagesergebnis des Kalorienzählers mit einer dreistelligen Zahl geteilt wird, besteht begründeter Grund zur Sorge.
Unternehmen Social-Media-Plattformen genug gegen gefährliche Trends?
Das Beispiel SkinnyTok veranschaulicht, wie stark Social-Media-Plattformen mit dem Umgang mit gefährlichen Trends zu kämpfen haben. Die EU-Kommission hat dazu bereits im letzten Jahr ein Verfahren gegen TikTok eingeleitet. Verdacht: Die Plattform komme ihrer Pflicht zum Schutz von Minderjährigen nicht nach.
Auch Oliver Zöllner sieht die Plattformen in der Verantwortung. „Wer mit Daten Geld verdient, trägt auch eine Verantwortung für das Wohlergehen seiner Datenproduzenten, die zugleich Plattform-Nutzer sind.“ Dabei habe TikTok ihm zufolge bereits gezeigt, dass unerwünschte Inhalte erfolgreich gefiltert werden können, so zum Beispiel tabuisierte TikTok politische Inhalte in China.
Statt nur auf einen Sinneswandel bei den Plattformbetreibern zu hoffen, sollte ein größeres gesellschaftliches Bewusstsein geschaffen werden, so Zöllner. Auch Nutzer sollten ihr eigenes Verhalten reflektieren und so gefährlichen Inhalten aus dem Weg gehen: „Haltung zählt hier ganz enorm“.