80 Jahre DRK-Vermisstensuche

Endlich Klarheit über Opas Schicksal

Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg – und genauso lange versucht der DRK-Suchdienst schon, das Schicksal Vermisster aufzuklären. Allein im vergangenen Jahr gingen rund 7000 Anfragen zum Schicksal von Menschen ein.

Werner Lustig zeigt ein Foto seiner Großeltern.  Erst seit 2002 weiß seine Familie aufgrund der DRK-Recherche, was mit dem Großvater 1945 passiert ist.

© dpa/Leonie Asendorpf

Werner Lustig zeigt ein Foto seiner Großeltern. Erst seit 2002 weiß seine Familie aufgrund der DRK-Recherche, was mit dem Großvater 1945 passiert ist.

Von Patrick Guyton

Werner Lustig erzählt: „Es war über Jahrzehnte eine große Belastung für meine Mutter und meine Großmutter. “ Der Vater und Ehemann, also Lustigs Großvater, wurde 1939 als Soldat in den Zweiten Weltkrieg eingezogen in die Panzerdivision – und kehrte nie zurück. Er hieß Martin Halbinger. „Sein Status war immer vermisst“, erinnert sich Lustig. Die Familie stammte aus Unterhaching bei München, heute ist das eine Vorstadt, früher war es ein Bauerndorf.

Was war mit Martin Halbinger geschehen? Diese Frage geisterte immer durch die Familien. Werner Lustig, heute 67 Jahre alt und pensionierter Polizist, kontaktierte den Vermissten-Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in München. Und siehe da, 2005 erhielt er einen Brief: Der Suchdienst hatte herausgefunden, dass der Großvater 60 Jahre zuvor, im März 1945, in einem russischen Kriegsgefangenenlager in einem kleinen Ort in Polen gestorben war. Eine manchmal quälende, offene Frage in der Familiengeschichte ist beantwortet. Und Lustig sagt heute: „Weitere Details will ich gar nicht wissen.“

Soldaten vermisst, Familien auseinandergerissen

Mit Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren am 8. Mai 1945 nahm der Vermissten-Suchdienst seine Arbeit auf. Europa war aufgrund der mörderischen Ideologie des NS-Regimes ein Trümmerfeld. In den Konzentrationslagern, auf den Kriegsfeldern, in den Gefangenenlagern waren tote Menschen. Soldaten waren vermisst, Familien auseinandergerissen und in alle Richtung vertrieben. Kinder wurden von den Eltern getrennt. Dies geschah infolge der Kriegswirren, doch zuvor auch ganz bewusst durch die Nazis. Regimegegnern nahmen sie Kinder weg und steckten sie in partreitreue Pflegefamilien.

Die DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt, einst eine führende CSU-Politikerin, spricht bei einer Veranstaltung in München von einer „humanitären Kernaufgabe“ des Roten Kreuzes, Auseinandergerissene zu vereinen. Der Suchdienst leistete und leistet „mit der Aufarbeitung der Folgend des Kriegs einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag“. Es ist eine Aufgabe, die viele Millionen Menschen betrifft.

Allein 7000 Anfragen im Jahr 2024

1945 bis 1959 erhielt der DRK-Suchdienst 14 Millionen Aufragen. Von 2,5 Millionen Anfragen 1959 wurden bis jetzt etwa 1,2 Millionen geklärt, also fast die Hälfte. Es kam zur Zusammenarbeit mit der damaligen Sowjetunion, viele Fälle konnten mit deren Gefangenenakten geklärt werden. 1992 wurde diese intensiviert, man erhielt auch Zugriff auf die Daten des russischen Staatsarchivs, daraus lassen sich weitere Informationen gewinnen.

Ist das ein Thema von gestern, das 80 Jahre nach Kriegsende abgeschlossen werden sollte? „Nein“, sagt Florian Neubauer vom DRK-Suchdienst. „Allein 7000 Anfragen zur Klärung von Vermissten-Schicksalen aus dem Zweiten Weltkrieg haben wir im Jahr 2024 erhalten.“ Die Partner oder Kinder der Vermissten sind zwar längst verstorben oder hoch betagt. „Doch nun interessiert sich die Enkelgeneration dafür“, meint Gerda Hasselfeldt. Diese sei auf der Such nach dem „fehlenden Bindeglied“. Die Vermisstensuche sieht sich auch als „ein Stück unserer Erinnerungskultur.“

Mehr als 500 Regalmeter umfasst das Archiv

Das DRK hat seine Zentrale in Berlin, die Vermissten-Suchstelle in Fällen des Zweiten Weltkriegs ist aber in München angesiedelt. Neubauer und sein Team führen durch die Suchstelle, die zu einem großen Teil aus Akten besteht. Mehr als 500 Regalmeter umfasst das Archiv, lange Gänge sind ausschließlich mit vergilbten Papieren in Aktenordnern bestückt. Derzeit wird alles digitalisiert. „Insgesamt“, so sagt Florian Neubauer, „sind 20 Millionen Personen auf irgendeine Art hier registriert.“ Die Mitarbeiter nehmen die Anfragen entgegen, sie schauen in den Archiven, sie prüfen beispielsweise Postkarten aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft.

Erfolgreich war etwa auch die Suche der heute 81-Jährigen Elfi Barthel nach ihrer tatsächlichen Identität. Als Vierjährige wurde sie im heutigen Bratislava von deutschen Soldaten aus dem Kindergarten verschleppt, weil die Rote Armee nahte. Ihre Mutter war zu dieser Zeit bei der Arbeit. In der DDR wuchs Elfi bei einer Pflegefamilie auf, von der sie nichts über ihre Identität erfuhr.

Auch Suche in aktuellen Kriegen und Konflikten

Als sie es dann doch herausbekam, recherchierte der DRK-Suchdienst und stieß auf die Mutter, die längst verstorben war. In einer DRK-Dokumentation sagt Elfi Barthel: „Meine echte Mutti hatte auch lange nach mir gesucht.“ Aber ohne Erfolg. Nun ist sie aber auf neue Familienmitglieder gestoßen: Barthel hat einen neuen Halbbruder und drei Cousins kennengelernt.

Der Suchdienst setzt sich auch für Versprengte aufgrund von aktuellen Kriegen und Konflikten ein. Dafür ist Frauke Weber von der Suchdienstleitstelle verantwortlich. „International sind die DRK-Vertretungen in 191 Ländern daran beteiligt“, sagt sie. Als Beispiele nennt Weber Vermisste und Suchende aus Vietnam, dem Iran, Irak, den Balkan-Staaten nach dem Krieg und aktuell Afghanistan und Syrien. „Es gehört zum Völkerrecht, mit seiner Familie zusammenleben zu dürfen“, sagt Weber.

Vom Bundesinnenministerium gefördert

Berlin Seit 1953 wird der Suchdienst vom Bundesinnenministerium in Berlin gefördert – mit zwölf Millionen Euro im Jahr. Der Dienst hilft auch in aktuellen Konflikten bei der Suche nach Vermissten.

München Drei Millionen Euro der Summe sind für den Standort München, wo das Schicksal von Weltkriegs-Verschollenen aufgeklärt wird. Doch diese drei Millionen seien bis 2028 befristet, sagte die DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt.

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Erstellt:
7. Mai 2025, 14:06 Uhr

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