Entführung in gotische Zeiten

Astrid Fritz hat im Heinrich-von-Zügel-Saal aus ihrem historischen Roman „Der Turm aus Licht“ gelesen. Für rund eine Stunde konnten die Zuhörer in die Epoche eintauchen, in der das Freiburger Münster entstand, und sich mit ganz anderen Lebensszenarien befassen.

Astrid Fritz hat in ihrer Lesung viele spannende Figuren auftreten lassen, deren Leben sie in ihrem neuen Roman entfaltet. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Astrid Fritz hat in ihrer Lesung viele spannende Figuren auftreten lassen, deren Leben sie in ihrem neuen Roman entfaltet. Foto: J. Fiedler

Von Christine Schick

MURRHARDT. Autorin Astrid Fritz, Christian Lätzig von der Buchhandlung BücherABC und Stadtbüchereileiterin Jutta Brasch begrüßen ihre Gäste mit Abstand, Kontaktdaten werden eingesammelt und die Einzelnen an die weit voneinander entfernt stehenden Stühle geleitet. Die Zweier- und Einzelplätze wirken wie kleine Inseln im Heinrich-von-Zügel-Saal, ausgerichtet auf den Tisch für Astrid Fritz, die am Abend ihren jüngsten Roman vorstellt. „Ich freu mich riesig, dass die Lesung noch stattfinden kann“, sagt Jutta Brasch angesichts der ab kommendem Montag geltenden neuen Coronaverordnungen, zu denen auch die Schließung von kulturellen Einrichtungen wie Theater, Museen oder Kinos sowie Gaststätten gehört und damit auch der Heinrich-von-Zügel-Saal als Kernstück der Städtischen Galerie. „Lesungen sind für uns wie das Salz in der Suppe.“ Zudem ist Astrid Fritz als Autorin in der Stadtbücherei keine Unbekannte. „Ihre historischen Romane werden sehr oft ausgeliehen.“

Das freut die erfolgreiche Schriftstellerin, die mittlerweile seit fast drei Jahren in Murrhardt zu Hause ist, ihren „Turm aus Licht“ eigentlich schon im Frühjahr in der Walterichstadt vorstellen wollte und nun gerade noch im sich bald wieder schließenden Zeitfenster die Möglichkeit hat, einige Szenen aus dem Buch zu lesen. Da sie lange in Freiburg gelebt hat, lag nahe, dass sie sich irgendwann mit dem berühmten Bauwerk und dem „schönsten Turm der Christenheit“ literarisch beschäftigen würde. Somit wurde das Freiburger Münster zur steinernen Hauptfigur, um die sich ein gesellschaftliches Panorama des Mittelalters entwickelt: Baumeister, Steinmetze, kriegswütige Grafen, Bürger, denen das Bauwerk immer mehr zur Herzenssache wurde, kleine Leute wie ein junger Viehdieb und auch Frauen, die ihren eigenen Kopf haben, erzählt Astrid Fritz. Bevor sie sich ans Schreiben machte, hieß es aber auch noch mal in ihre alte Wahlheimat zu fahren, um zu recherchieren – in der Münsterbauhütte, im Augustinermuseum und schließlich im Münster sowie auf einer Besteigung des Turms, bei der sie ihre Höhenangst in die Schranken gewiesen hat.

Die Lesung ist, so auch ihr Wunsch, eine Entführung in eine Epoche weit ab moderner Pandemiezeiten. Astrid Fritz steigt dabei ganz am Anfang ein, als der künftige Baumeister Gerhard von Straßburg mit seiner Frau Odilia und seinem Bautross in die Stadt einzieht. Es entstehen plastische Bilder, und die Figuren werden vorgestellt. Odilia, die ihren Mann anstupst, den am Wegesrand versammelten Leuten winkend für ihren Empfang zu danken, Gerhard wiederum, der von der neuen französischen Bauweise – der Gotik – völlig hingerissen ist.

Zwei Wochen später haben sich die Bauleute bereits in ihr Projekt vertieft, sind schwer am Arbeiten, als Graf Konrad sich mit seinem Erstgeborenen ein Bild vom Projekt machen will. Vater und Sohn bilden ein ungleiches Gespann. Zeigt sich Konrad als ruhiger, besonnener Graf und Stadtherr, scheint Egino viel zu wenig von diesen Eigenschaften seines Vaters abbekommen zu haben. Dass er sich gerade Jecklin, der als Hühnerdieb seine Strafe in Fußketten auf der Baustelle abarbeitet, aussucht, um ihm ein paar demütigende Schläge zu verabreichen, macht ihn nicht gerade besonders sympathisch. Das wiederum ruft Odilia auf den Plan, die versucht dazwischenzugehen und sich damit auf gefährliches Terrain begibt. Gott sei Dank verstehen sich die beiden Männer – Konrad und Gerhard – gut und brennen für das Bauwerk.

Gekonnt legt Astrid Fritz weiter ihre Köder aus, sodass man als Zuhörer wissen will, wie es mit den einzelnen Figuren weitergeht. Jecklin entwickelt sich zum Mitglied der Bautruppe und als er seine Strafarbeitszeit abgeschlossen hat, ist er alles andere als erfreut; nicht nur, weil er nicht weiß, wohin, sondern weil er sich bei den Schaffern wohlfühlt, sie seine Familie geworden sind. Dass er dann als Hüttenknecht nach gemeinsamer Abstimmung bleiben darf, macht ihn glücklich. Gerhard zeigt sich von seiner besten Seite als Ehemann, der Odilia nicht vorenthält, dass sie eine wunderbare Köchin – es gibt Hühnerklein mit Blutsoße –, sondern auch ein wunderbares Weib ist.

Graf Konrad lässt sein Leben im Krieg, kehrt im Leichensack zurück.

Doch man ahnt es schon, so gut werden auch im „Turm aus Licht“ die Zeiten nicht bleiben. Graf Konrad stirbt im Krieg, kommt im Leichensack zurück in die Stadt, und der emotional aufbrausende Egino rückt langsam in die Position, in der er andere seine Macht spüren lassen wird. Gar nicht begeistert ist er über einen Baumeister Gerhard, der aus seiner Sicht nicht gerade spurt und sogar personelle Unterstützung fordert, als es um die Anfertigung der steinernen Bildnisse der Familie geht. „Diese Kirche wird mir zur Last“, klagt er seiner Mutter, Gräfin Sophia von Zollern, sein Leid. Die kann ihn noch ein wenig im Zaum halten und erinnert ihn daran, dass die neue Pfarrkirche ein Herzenswunsch des Vaters war. Dass der junge Mann aber durchaus auch strategisch vorgehen kann, zeigt sich in dieser letzten Szene, und es liegt nahe, dass er zu einem ernst zu nehmenden Gegenspieler heranwächst.

Nach rund einer Stunde literarischen Ausflugs macht sich Astrid Fritz noch daran, einige ihrer Bücher zu signieren und hinter einem Plexiglasschutz ein paar persönliche Fragen zu beantworten. Dann begeben sich die Besucher auf den Weg nach Hause. Wer sich zu den historischen Hintergründen des Romans noch mal in Ruhe informieren möchte, kann das über die Homepage der Autorin tun: www.astrid-fritz.de.

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Erstellt:
31. Oktober 2020, 06:00 Uhr

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