„Er war das Symbol ihrer Macht“

Das Interview: Die Autorin Astrid Fritz, die seit zwei Jahren in Murrhardt lebt, hat ihren neuesten historischen Roman „Der Turm aus Licht“ vorgelegt. Er wirft Schlaglichter auf das Leben um 1270 und die Emanzipation des Freiburger Bürgertums.

Astrid Fritz lebt seit rund zwei Jahren in Murrhardt. Als Autorin historischer Romane fasziniert sie das Ensemble rund um die ehemalige Klosteranlage der Walterichstadt sehr. Foto: O. Kühl/Agentur Artismedia

Astrid Fritz lebt seit rund zwei Jahren in Murrhardt. Als Autorin historischer Romane fasziniert sie das Ensemble rund um die ehemalige Klosteranlage der Walterichstadt sehr. Foto: O. Kühl/Agentur Artismedia

Von Christine Schick

Ihr Roman „Der Turm aus Licht“ erzählt die Baugeschichte des Freiburger Münsters, genauer des Westturms. Man könnte also sagen, die Entwicklungen all Ihrer Figuren konzentrieren sich auf ein furchtbar ehrgeiziges Projekt. Inwieweit gab es Überlegungen, dass dieses Streben auch etwas von Hybris im Sinne einer steingewordenen christlichen Symbolik hat, die vor allem Macht ausstrahlt?

Ja, das wird auch im Roman thematisiert. Ursprünglich eine viel kleinere, romanische Kirche, sollte das neue Münster in diesem schönen französischen Stil, der Gotik, entstehen, wie allerorten in Frankreich, dem Vorbild. Die Freiburger Bürger und ihre gräflichen Stadtherren waren sich in diesem Punkt zunächst noch einig. Dabei haben sie in die Bischofsstadt Straßburg geschaut. Dort entstand das Straßburger Münster, das ursprünglich sogar einen Doppelturm erhalten sollte. Das hat schon ein bisschen was von Hybris und wurde von manchen Laien und der Geistlichkeit abgelehnt. Sie kritisierten dies als Selbstüberschätzung, die den Zorn Gottes hervorrufen wird. Gleichzeitig stehen Kirche und Bau für das wachsende Selbstbewusstsein des Bürgertums. Die Bürger hatten die Grafenherrschaft satt. Sie mussten ständig für die Kriegszüge ihrer Grafen aufkommen, die Stadt wurde mehrfach verpfändet, die Grafen waren hoch verschuldet. Die Bürger wollten sich von ihnen lösen und haben tatsächlich die Bauherrschaft erkämpft. So kam ein neuer Plan zum Tragen, der eines besonders mächtigen und prächtigen Turms. Er war das Symbol ihrer Macht.

Ihre Figuren sind ganz oben in der herrschenden Klasse, der erstarkenden Bürgerschaft und weiter unten wie bei den Bediensteten angesiedelt. Wen haben Sie am allerliebsten auf dieser Reise begleitet?

Ich glaube, am liebsten bin ich mit den Menschen aus dem kleineren Bürgertum unterwegs gewesen. Also nicht unbedingt mit der aufstrebenden Oberschicht, den Kaufleuten, sondern heute würde man sagen der Mittelschicht wie Handwerker, die viel arbeiten mussten, um ihr Auskommen zu haben. Im Buch geht es beispielsweise um eine Bäckerstochter, ihr Vater kommt aus ärmlichen Verhältnissen. Sie hab ich sehr gern begleitet. Das gilt auch für die Frau des ersten Baumeisters, Odilia. Sie ist eine Schneidertochter und hat selbst als Schneiderin gearbeitet, das war im Mittelalter gar nicht unüblich und erst in der Neuzeit verboten. Oder auch ein junger Mann, der Josef. Er ist ein Findelkind, das heißt er bewegt sich am Rande des Bürgertums. Bei den Herrschern hat es mir eher Spaß gemacht, die Szenen mit einer leisen Ironie zu schildern. Und die armen Taglöhner und Bettler kommen auch vor, beispielsweise der arme Hühnerdieb Jecklin, der zur Zwangsarbeit verdonnert wird. Bei ihnen bin ich auch sehr gerne, aber sie nehmen nicht den Raum einer Hauptfigur ein.

Sie haben ja ein unglaublich umfangreiches Personal. Wie behalten Sie da den Überblick? Und wo ziehen Sie die Grenze, wenn es darum geht, sich bei zentralen Figuren zu beschränken?

Am Münster haben so viele Menschen gearbeitet, da musste ich mich von vornherein beschränken. Ich nehme punktuell Einzelne als Vertreter bestimmter Gruppierungen raus, beispielsweise einen Baumeister und aus seiner Mannschaft noch zwei wichtige Mitarbeiter, einen Lehrling und einen Parlier. Dann vom Bürgertum ein paar typische Vertreter wie einen Kaufherrn und dessen Widersacher. Zudem ist eine Zeitspanne über 60 Jahre zu berücksichtigen. Da beschränke ich mich auf die Figuren, die die Handlung weitertreiben.

Sie haben an anderer Stelle gesagt, der Westturm der Kirche ist so etwas wie die Hauptfigur. Wenn man jetzt literarisch denkt – wie hat er sich bei Ihrem Schreiben entwickelt? Zu welchem Ziel tendiert er? Gebaut zu werden oder die Menschen scheitern zu sehen?

Er hat das eindeutige Ziel, gebaut zu werden. Er trägt keine Hybris in sich, sondern ist einfach ein Zeugnis eines wunderschönen Gotteshauses. Den religiösen Menschen war er auch ein Zeichen der Ehrfurcht. Als Turm steht er mit seiner Symbolik für eine Verbindung zum späteren Himmelreich, also zwischen dem sehr schweren irdischen Leben und dem, was einmal kommen soll, dem ewigen Leben. Er zeigt wie ein Finger in den Himmel. Er hatte die Gewissheit, gebaut zu werden und alles zu überstehen.

In einer Reihe Ihrer Bücher wird klar, dass Ihr Herz für aneckende, widerspenstige Frauenfiguren schlägt, deren Geschichten Sie erzählen. Was treibt Sie dabei an? Schreibend zu überlegen, wie diese Frauen es geschafft haben könnten, sich nicht unterkriegen zu lassen, oder den Leserinnen Mut zu machen, weil die Voraussetzungen ja heute oft besser sind?

Ich glaub, beides. Da ist mein Erkunden, wie mögen die Frauen damals gelebt haben. Sie waren ja nicht dümmer, weniger neugierig oder ängstlicher, haben vielleicht nur anders gedacht, sind in diesem religiösen Kontext aufgewachsen, in einem festen Herrschergefüge. Es hat mich immer interessiert, wie die Menschen in bestimmten Epochen gelebt haben, während der Pest, des 30-jährigen Kriegs oder im spätmittelalterlichen Freiburg. Und das andere ist, die Rückmeldung von Leserinnen zu bekommen, die sich in die Zeit und Frauen hineindenken und merken, was wir heute alles schon erreicht haben. Von einigen Männern habe ich das Feedback, dass ihnen die Romane gefallen, weil sie so starke Frauenfiguren haben, und das freut mich natürlich sehr.

Ein Roman verlockt ja dazu, Figuren so anzulegen, dass sie ihrem Schicksal trotzen. In der Geschichte lernt man allerdings auch, dass es nicht nur Selfmademänner und -frauen gibt. Erleben Sie das als Widerspruch, wenn Sie einen historischen Roman schreiben?

Es ist einer. Aber ein Roman ist auch keine Eins-zu-eins-Abbildung der damaligen Lebensgeschichten, schon allein sprachlich nicht, weil die Menschen ganz anders gesprochen haben. Man kann auch sagen, viele sind gescheitert und hatten nicht so viel Glück wie meine Romanfiguren. Aber ein Roman hat auch das Ziel, zu unterhalten. Ich habe zwei Romane geschrieben, „Die Hexe von Freiburg“ und „Die Vagabundin“, da hatte die Hauptfigur eine historische Vorlage. Die Hexe von Freiburg wurde als vermeintliche Hexe hingerichtet und die Vagabundin in Nördlingen, weil sie sich Männerkleider angezogen hat und gereist ist. Ich hab viele Leser gefunden, aber gleichzeitig war die Rückmeldung, dass sie solch ein Schicksal, das mit dem Tod der Heldin endet, nicht gut ertragen konnten. Es hat etwas Versöhnliches, wenn ich fiktive Hauptfiguren entwickle, die ein gutes oder offenes, hoffnungsfrohes Ende bekommen. Es war auch für mich bei den beiden Büchern traurig, sie mit diesem schrecklichen Schluss enden zu lassen.

In Deutschland ist die Trennung zwischen ernster und unterhaltender Literatur immer noch deutlich zu spüren. Zu Recht oder zu Unrecht?

Man könnte auf diese Trennung verzichten wie in den USA und Großbritannien. Ich liebe zum Beispiel US-amerikanische Autoren wie Philip Roth oder Paul Auster. Sie haben etwas zu sagen, tun dies aber auf eine sehr unmanierierte Art, mit einem wunderbaren Erzählfluss. Bei uns, muss man sagen, im Land der Dichter und Denker, kann es sein, dass ein literarischer Autor manchmal ein bisschen krampfig daherkommt und vielleicht denkt, er muss gestelzt schreiben. Ich würde mich freuen, wenn die Grenzen da fließender sein könnten. Dann hätte man vielleicht eine weniger krampfige ernste Literatur und eine bisschen ernsthafter geschriebene Unterhaltungsliteratur.

Sie leben schon eine gewisse Zeit in Murrhardt, das auch seine Geschichte hat. Gibt es Ecken oder Gebäude, wo sich das im Alltag für Sie noch spüren lässt?

Ich bin nach wie vor begeistert von diesem kleinen Städtchen. Als wir vor zwei Jahren von Waiblingen hergezogen sind, bin ich stundenlang in der Stadt rumgelaufen. Schon allein dieses Klostergelände ist beeindruckend, da hab ich mir oft vorgestellt, wie es damals gewesen sein könnte. Murrhardt gehört ja neben Hirsau und Ellwangen zu den ältesten Klostergründungen. Auch die Stadtkirche und Walterichskapelle sind Gebäude, die mich nach wie vor faszinieren.

Die Geschichtsschreibung hat auch systematische Lücken, oftmals ist sie aus Herrschaftssicht geschrieben. Wenn Sie selbst eine Exkursion machen könnten und es ein Zeitreisetaxi gäbe, wo und bei wem würden Sie sich absetzen lassen?

Mich hätte es sehr interessiert, wie Hildegard von Bingen aufgewachsen ist. Ihr Familienleben, ihr Umfeld, die Klostergründung, ihr Leben als Äbtissin, das fände ich unglaublich spannend. Zuerst würde ich mich bei der noch kindlichen Hildegard von Bingen absetzen lassen, und später mit dabei sein, wie sie älter und reifer wird, um ihren Werdegang mitzuerleben.

Signierte Exemplare erhältlich

Astrid Fritz hat anderthalb Jahre an ihrem Roman gearbeitet. Die Recherche nahm viel Raum ein, da sie die Bau-, Stadt- und Kunstgeschichte umfasste. Da die Autorin in Freiburg studiert und viele Jahre dort gelebt hat, hat sie das Münster nicht nur oft besucht, sondern sich schon länger mit dem Gedanken getragen, die Entstehungsgeschichte in Form eines Romans zu erzählen. Neben der Arbeit am Schreibtisch in Murrhardt gab es immer wieder Rechercheexpeditionen nach Freiburg. Dazu gehörte auch die Turmbesteigung trotz Höhenangst. Weitere Infos unter www.Astrid-Fritz.de. Da zurzeit keine Lesungen stattfinden können, hat die Autorin dort auch eine Online-Kostprobe als Videolesung eingestellt.

Astrid Fritz’ historischer Roman „Der Turm aus Licht“ ist gestern im Rowohlt-Verlag erschienen und umfasst 816 Seiten. Er kostet 14 Euro, ISBN 978-3-499-00119-2. Astrid Fritz hat auch Exemplare persönlich signiert, die ab heute, Mittwoch, 20. Mai, in der Buchhandlung BücherABC, Grabenstraße 23, in Murrhardt erhältlich sind.

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Erstellt:
20. Mai 2020, 06:00 Uhr

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